Neue Zürcher Zeitung 14. Mai 2003 Sänger und Interpret Fischer-Dieskaus Auseinandersetzung mit Hugo Wolf Sich konkurrenzlos ausführlich, intensiv und fast lebenslang mit Hugo Wolf auseinandergesetzt zu haben - nicht nur als Sänger, sondern auch als Biograph, denn rechtzeitig zum 100. Geburtstag des Komponisten ist seine umfangreiche Monographie «Hugo Wolf. Leben und Werk» erschienen -, dieses Verdienst ist im reichen Künstlerleben Dietrich Fischer-Dieskaus besonders hoch zu bewerten. Gleichsam als musikalische Illustration zum Buch dient jetzt eine Anthologie von sieben Compact Discs, die in bisher nicht zugänglichem Umfang Fischer- Dieskaus Bemühen um Wolfs Werk dokumentiert. Sie reicht von frühen Mono-Aufnahmen des Sängers aus dem Jahr 1952 bis hin zu 1996 entstandenen Einspielungen, mit denen der Dirigent Fischer-Dieskau an Wolfs Orchesterwerke erinnert. Selbstverständlich kann auch ein Grossprojekt wie dieses nur einen Ausschnitt des über 400 Lieder umfassenden lyrischen Œuvres von Hugo Wolf wiedergeben; immerhin sind es 174 Titel, wobei einige der bekanntesten Goethe- und Mörike-Lieder doppelt enthalten sind, da zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommen. Gerade diese Doubletten bieten wichtige Einblicke in Fischer-Dieskaus künstlerischen Entwicklungsprozess und geben zugleich Aufschluss über den Spielraum des Interpretationsansatzes, den Wolfs Lieder zulassen. Generell gilt, dass Fischer-Dieskaus frühere Aufnahmen durch die natürliche Spontaneität ihres Zugriffs beeindrucken, ihre Wirkung vor allem durch die Intensität und Unbefangenheit des Umgangs mit diesen Liedern erreichen. Die späteren Einspielungen verraten deutlich mehr Kalkül, einen stärker intellektuell geprägten Ansatz, offenbaren mehr - auch andere - Nuancen und Pointen. Steht zunächst mehr der Sänger Fischer-Dieskau im Vordergrund, der sich durchaus auch den rein stimmlich-sensualistischen Aspekten hingibt, so ist es später eher der differenzierter ausdeutende, penibler auslotende, deklamatorisch akzentuiertere Interpret. Überblickt man Wolfs Liedkosmos insgesamt, dann liegt die «Wahrheit» wohl in der Mitte. Denn Wolfs Melos ist gekennzeichnet von einer bruchlosen Verschmelzung von Rezitativ und gebundener Melodie, ist von sensibler, jeder Stimmungsnuance nachgebender Geschmeidigkeit. Da der musikalische Klang ein Eigengewicht zugemessen bekommt, nicht mehr nur dienend dem Wort untergeordnet wird, wächst dem Klavierbegleiter eine ganz neue, bedeutendere Rolle zu. In Wolfs Liedern ist das Gleichgewicht von Singstimme und Klavier deutlich zugunsten des Klaviers verschoben, ja es überflügelt nicht selten die Singstimme an Gewicht und Ausdruckskraft. Der wolfsche Klaviersatz ist nicht mehr bloss Stütze und Hintergrund, sondern Ort zentraler, formbestimmender musikalischer Vorgänge. Und der hier verlangte poetisch empfindende und gestaltende, oft wortführende Pianist ist Gerald Moore in hohem Masse. Kurt Malisch Hugo Wolf: Lieder und Orchesterwerke. Italienisches Liederbuch, Spanisches Liederbuch, Mörike-, Eichendorff-, Goethe-Lieder, Lieder nach verschiedenen Dichtern, Orchesterwerke. Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton), Gerald Moore (Klavier), Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, Leitung Dietrich Fischer-Dieskau. EMI 5 62188 2 (7 CD). Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG |
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