Münchner Merkur 09.03.2004
Dieskaus Stimme lässt den Lichthof des Rathauses erzitternEx-Kammersänger begeistert sein Publikum als RezitatorVaterstetten - Viele seiner Anhänger werden es bedauert haben, als Kammersänger Dietrich Fischer-Dieskau vor gut zehn Jahren seine Sängerlaufbahn beendete. Jetzt konnten seine Fans ihn in Vaterstettens Rathaus, im Rahmen eines Sonderkonzertes, erleben. Er hat das Melodram, ein selten gewordenes Sujet, wieder belebt - die Verbindung zwischen dem gesprochen Wort und der Musik. Dazu hatte er sich, als versierten und einfühlsamen Klavierbegleiter, Burkhard Kehring ausgewählt. Wie wichtig und richtig diese Wahl war, ließ sich bereits bei "Der Haidenknabe", von Friedrich Hebbel, arrangiert mit der Musik von Robert Schumann, erkennen. Dieskaus raumgreifende Stimme füllte das Rathausfoyer, ließ es fast erzittern. Unweigerlich kam da die Erinnerung an seine Interpretation der Ballade "Der Erlkönig", von Loewe, auf. Hier war es der, den Meister anflehende Haidenknabe und dort der, in des Vaters Armen sterbende Sohn. Dieskau wechselte Stimme und Charaktere perfekt und seine Stimme ließ die Worte zu Musik werden, ja klang, als ob sie manchmal sänge. Es war ein Zusammenmusizieren wie beim Liedgesang, in dem kurze Blickkontakte mit dem Begleiter genügen. Jedes Wort saß perfekt auf der entsprechenden Note, es saß aber nicht nur perfekt - jedes Wort war auch inszeniert! So ließen die beiden ein Gesamtkunstwerk aufleben, das einstmals sehr beliebt, und jedem großen Schauspieler vorgetragen, heute fast in Vergessenheit geraten ist. Der Zuhörer konnte gebannt lauschen, wie in Gottfried August Bürgers "Lenore", die verzweifelte Heldin mit ihrem toten Geliebten, nach einem gespenstischen Ritt, im Sarg die Hochzeit feiert. Ohne die Musik von Franz Liszt wäre diese Rezitation reines Deklamieren, doch durch Dieskaus Sprechgesang wird sie fast zum Kunstlied erhoben. Es ist der Vorteil, den Sänger gegenüber Schauspielern haben, dass sie mit ihrer Stimme nahezu alles machen können, ohne ihr dabei zu schaden. Die gesangsgeschulte Stimme ist modulationsfähiger und meist klingt schon ihre Sprache wie Gesang. Das anrührendste Werk war jedoch "Die Weise von Liebe und Tod des Cornetts Christoph Rilke", von Rainer Maria Rilke, das Viktor Ullmann im Konzentrationslager Theresienstadt vertonte und das dort einige Male aufgeführt wurde. Es gelang Fischer-Dieskau, dessen Interpretationen oft distanziert, über den Intellekt gesteuert wirkten, die Zuhörer im tiefsten Innern zu berühren. Am Ende des Werkes herrschte betroffene Stille, bevor ein nicht enden wollender, begeisterter Applaus einsetzte. Eine Verehrerin überreichte dem Grandseigneur des Liedgesangs eine rote Rose. wvs mm Datum: 09.03.2004 |
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