FESTSPIELKONZERT

Dietrich Fischer-Dieskau hat dem Singen Adieu gesagt, dem Podium tut er es hoffentlich noch lange nicht. Was er am Montag im Großen Saal des Mozarteums hören ließ, war ein Bravourstück tiefgründiger Vokal-Artistik. Als Rezitator hat Fischer-Dieskau sich zunächst Viktor Ullmanns "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" gewidmet und dann Arnold Schönbergs "Ode an Napoleon". Lord Byrons Gedicht ist plakativ und es fehlt im Text nicht an ironischen Elementen.

Gerade an solchen Wendungen hat sich Schönbergs Fantasie entzündet, und da blitzt in der "Ode an Napoleon" ein Sinn für Parodie auf, der - mit völlig anderen musikalischen Mitteln - an die Unmittelbarkeit der "Brettllieder" aus den Berliner Jahren erinnert. Noch etwas, was an diesem Abend durchaus an den frühen, expressionistischen Schönberg denken ließ: Im "Pierrot lunaire" hat er jene spezielle Art des Sprechgesangs umgesetzt, in Noten notiert und doch nicht zu singen, mit dem sich so viele Sängerinnen erfolglos abmühen. Genau da setzt Fischer-Dieskau an, macht unmittelbar Musik aus dem Text, kostet Vokale nicht bloß als Färbungen aus, sondern auch in richtigen Tonhöhen. Er stellte in der "Ode" einen schöpferischen, freien Umgang mit dem Text zur Diskussion: selbstbewusst, mit bewundernswerter stimmlicher Jugendfrische.

Eine ähnliche Strategie auch für Ullmanns "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke": Das Stück aus den letzten Lebenswochen des 1944 im KZ umgekommenen Komponisten hörte man hier in der Version für Klavier und Sprechstimme. Da gewinnen Rilkes symbol-befrachtete, in vagen Andeutungen oder assoziationsintensiven Sprachbildern schwelgende Verse noch zusätzlich an Rätselhaftigkeit. Symbolistische Stenogramme sind es, die zuerst punktuell den Text untermalen, dann (im zweiten Teil) sich deutlicher emanzipieren zu anschaulichen Musik-Bildern. Es war nicht nur Fischer-Dieskau, der da Gänsehaut beim Hören entstehen ließ, sondern zu einem Gutteil auch die akkurate Malerei seines Klavier-Mitgestalters Hartmut Höll, der übrigens auf ein Werk der Bayreuther Klaviermanufaktur Steingraeber setzte.

Zwischen Ullmann und Schönberg noch ein "letztes Ding", Beethovens "Große Fuge". Wie filigran und eigenständig näherte sich das Stadler Quartett diesem Werk! Das Ensemble gehört zurzeit zu den Maßstäbe setzenden Formationen im Bereich der Neuen Musik, und von diesem Erfahrungshorizont aus erschließt es für sich auch die "Große Fuge": zurückhaltend in der Tongebung, nicht nach einem kompakten Ton, sondern nach struktureller Durchdringung suchend.

REINHARD KRIECHBAUM © Salzburger Nachrichten / APA.05. August 2004


Hohn auf den Tyrannen

Dietrich Fischer-Dieskau rezitierte im Mozarteum Ullmann und Schönberg.

79 Jahre und kein bisschen müde: Immer noch füllt Dietrich Fischer-Dieskau - zwar nicht mehr als Sänger, wohl aber als Rezitator - die Konzertsäle. Diesmal machte er ein nicht eben populäres Programm mit Werken von Ullmann und Schönberg zum stürmisch akklamierten Ereignis.

Der Schönberg-Schüler Viktor Ullmann, 1944 in Auschwitz ums Leben gekommen, vollendete noch im Juli desselben Jahres im KZ Theresienstadt seine Version von Rilkes "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke". Ein Melodram für Sprecher und Klavier (oder Orchester), dessen zwölf Teile etwa die Hälfte von Rilkes hoch gestimmtem, nur vereinzelt das Sentimentale streifendem Text illustrieren.

Konzise, suggestive Tongestalten schon jenseits der Tonalitätsgrenze findet Ullmann für Rilkes berühmtes "Reigen, reiten, reiten . . .", für den Brand des Schlosses, den Tode des jungen Soldaten. Lieblich-tonal wird seine Tonsprache parallel zum Text immer dann, wenn Rilke das Bild der "Frauen" beschwört. Insgesamt ein Werk, das allein schon wegen der tragischen Umstände seiner Entstehung Respekt verdient.

Mit der Kraft seiner Persönlichkeit, seiner plastischen Diktion, der Modulationsfähigkeit seiner Stimme und seiner darstellerischen Potenz führte Fischer-Dieskau die Komposition, ergänzt um die nicht vertonten Textabschnitte, zum durchschlagenden Erfolg; Hartmut Höll assistierte markant (und nur manchmal zu laut).

Zweiter Eckpfeiler des Programms: Arnold Schönbergs "Ode an Napoleon Buonaparte" op. 41 für Sprecher, Streichquartett und Klavier auf einen Text von Lord Byron. Er verbindet den Hohn auf den gestürzten Tyrannen mit der utopischen Hoffnung auf die Demokratie Amerikas und musste im Jahre 1942 für Schönberg von besonderer politischer Brisanz sein. Hier verlieh Fischer-Dieskau Schönbergs Sprechgesang den Anschein höchster Natürlichkeit und pointierte den Text mit Witz und Schärfe - animiert begleitet von Per Rundberg am Klavier und dem ambitionierten Stadler-Quartett.

VON GERHARD KRAMER (Die Presse) 06.08.2004

 

zurück zu News