Süddeutsche Zeitung vom 26.9.2003 Im Dorf der tausend LiederDie Schubertiade im vorarlbergischen SchwarzenbergDie sanft geschwungenen, satten Matten, die Feldwege, die Waldhänge und ganz hinten die schroffen Felsen. Wir sind im bezauberndsten Naturfoyer eines Konzerthauses weit und breit. Lockte nicht ein attraktives Kammermusik- und Liedprogramm – niemand brächte uns in den Saal, der sich eher bescheiden und ohne Aufhebens in die Bregenzer Waldlandschaft duckt. Schwarzenberg, ein 1700-Seelen-Ort, dessen von dunkelbraunen Schindelbauten bestimmter Kern unter Denkmalschutz steht, hat erst 2001 zu seiner Bestimmung gefunden. Damals zog die 1976 gegründete „Schubertiade“ aus dem städtischen Feldkirch ins dörfliche Schwarzenberg, in den inzwischen für knapp 600 Besucher ausgeweiteten Saal, der nach der hier geborenen Malerin Angelika Kauffmann benannt ist – ein lichter, akustisch hellhöriger Raum, wie man ihn sich für die Schubertiade nicht geeigneter vorstellen kann. Gerd Nachbauer ist heute Inhaber und künstlerischer Leiter des rein privaten und ohne jede Subvention arbeitenden Festivals, das im vergangenen Jahr 32 100 Besucher anzog – ein Mann von Geschmack und offenbar optimalen Fähigkeiten im Veranstaltungsgewerbe. Kein Instrumentalist, kein Kammermusikensemble, schon gar kein Liedersänger von Rang, die hier nicht einkehrte. Dass das nicht ohne Programmüberschneidungen abgeht, versteht sich. Im Gegenteil, sie scheinen gewollt. Wo sonst gibt es „Die schöne Müllerin“ schon in Wochenfrist doppelt – mit Thomas Quasthoff und der Vorjahressensation Christopher Maltman? Wenn Schwarzenberg sich irgendwo unverwechselbar profiliert, dann als Zentrum des Liedes. Aus den Programmen lässt sich schließen, dass es nie so viele exzellente Liedkünstler in der jungen und mittleren Generation gab wie heute. Hier nimmt sich die Krise der Gesangskunst wie ein böses Gerücht aus. Ohne die überragende Nachkriegsleitgestalt eines Dietrich Fischer-Dieskau ist dieser Boom kaum vorstellbar. Zum anderen scheint es so, als habe die Phalanx der Jüngeren erst richtig durchzuatmen begonnen, seit der Übervater sich vom Podium zurückzog. Was der 78-Jährige in seinen Meisterkursen zu vermitteln hat, ist wissend, nicht besserwisserisch, dabei ganz leise und beinahe schon verschmitzt. Schlank und weichFischer-Dieskaus oder auch Elisabeth Schwarzkopfs Liedmanierismen, die außermusikalischen Mittel, zu denen sie gelegentlich griffen, haben die Jungen ad acta gelegt. Wer in der exzessiven Hingerissenheit seines Singens immer noch am ehesten an den großen Vorsänger erinnert, ist Roman Trekel in Brahms’ „Schöner Magelone“ – man ist in Schwarzenberg ja keineswegs auf Schubert fixiert. Trekel gebietet über eine derzeit womöglich vergleichslose Palette von Ausdrucks- und Farbnuancen – ein hoher Bariton, ganz schlank, dabei weich, zum tönenden Reflektieren fähig wie zu Brahms’ ritterlichem Strahlen. Ein elegantes, geschmeidiges Singen überdies, ein Wunder dynamischen Differenzierungsvermögens. Dazu: Ein fesselnderer Vorleser von Ludwig Tiecks Magelonenmärchen als Bruno Ganz, in seinem wie Wortmusik anmutenden Auf und Ab der Sprache, ist schwerlich denkbar. Ähnlich tiefe Eindrücke hinterließ Quasthoffs Version der „Müllerin“: ein Bassbariton, der nur erzen klang, wenn Abneigung gegen und Wut über den Jäger zu artikulieren waren. Ansonsten: Schubert-Gesang der Mezzavoce, häufig auch aus einem Piano, das einen Tenor suggeriert und damit eine noch tragischere Fallhöhe als ohnehin schon – die Retrospektive eines (zu) schönen, fernen Traums, auch eine todtraurige Geschichte von Aufbegehren und Resignation. Und beim abendlichen Lob des Müllermeisters für ein paar Takte auch eine Ballade, eine Miniatur-Oper. Oper – das wäre wohl auch das Stichwort für Violeta Urmanas Auftritt, zumal, wenn sie Schuberts Ossian-Vertonung „Cronnan“ ausbreitet, das Rhetorische und gewissermaßen Szenische bei Hugo Wolf herausstreicht, mit ihrem unverkennbaren Stimmkristall Wagners Wesendonk-Lieder erfüllt, und natürlich endgültig, wenn der Bayreuther Kundry und Sieglinde in einer Klavierfassung von Isoldes Liebestod ein so üppiger wie intimer Wagner-Belcanto gerät. Treuherzig TraktätchenhaftOper ohne Umschweife selbstredend, wenn an einem Abend der Wiener Virtuosen, der erste Teil dem Bühnenkomponisten Schubert eingeräumt ist – freilich auch eine Gelegenheit mehr, den Szeniker Schubert als Unglückswurm ohne dramatischen Impuls zu beklagen, auch wenn der (für Michael Schade eingesprungene) potente lyrische Tenor Markus Schäfer das Treuherzig-Traktätchenhafte der Texte erregt als letzte Weisheit verkündet und die Sopranistin Sibylla Rubens den Wunsch nach Opernbegegnungen weckt. Einspringer – ein Schwarzenberg-Apropos, das auch für einige Routine im Krisenmanagement spricht. Ausgerechnet Thomas Hampson hatte abgesagt – und immerhin eine Bernarda Fink wurde als (Luxus-)Ersatz aufgetrieben. Sie reüssierte mit einem Schubert/Berlioz/Schumann/Brahms-Programm, für das sie einen bezwingend spezifischen Vortragston entwickelte: ein heller, dabei warmer Mezzosopran, der ihr Zutritt zum Kreis der Erlauchten unter den Liedinterpreten verschafft. HEINZ W. KOCH |
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