Zum Liederabend am 13. Dezember 1955 in Berlin

Berliner Zeitung, 15. Dezember 1955
Die schöne Magelone

Dietrich Fischer-Dieskau unternahm es, die von Brahms komponierten Romanzen aus Tiecks "Schöner Magelone" in die Verlesung des Märchens einzustreuen. Wort und Gesang sind eifersüchtige Rivalen, und es bedarf schon besonders großer Kunst, sie zu friedlichem Verein zu bewegen. Hier gelang es in schönster Weise. Kaum hatte Wilhelm Borchert mit heiter gelesenem Erzählerton die Geschichte von Magelone und dem Ritter Peter begonnen, da verwandelte sich der große Hochschulsaal in ein intimes Zimmer. Fischer-Dieskaus nuancen- und empfindungsreiche Gesangeskunst entwickelte jedes Lied so zart und innig aus der Prosaerzählung, daß nicht der leiseste Bruch fühlbar wurde. Anfangs wollte es fast scheinen, als sollte der Erzähler dominieren, dann aber drang die singende Stimme neben der sprechenden immer voller, immer beseelter und beseeligender hervor. Dieser Fischer- Dieskau ist immer noch ein halbes Rätsel und ein ganzes Wunder. Keinem ist es wie ihm gegeben, uns fühlen zu lassen, daß "Lust nur tieferer Schmerz, Leben dunkeles Grab" ist. Seine mezza voce war diesmal von besonders vibrationsreicher Schönheit, und wenn er "ruhe, Süßliebchen, im Schatten" singt, so ist darin nicht die leiseste Beimischung von Sentimentalität oder Süßlichkeit. Seine getreue Helferin war wieder Hertha Klust.

K.W.

Berliner Morgenpost, 15. Dezember 1955

"Die schöne Magelone" rein und klar

Durchgeistigte Musik im Hochschulsaal

Um alle Vorzüge von Dietrich Fischer-Dieskau zu umschreiben, müßten sämtliche Superlative unserer Sprache aufgewendet werden. Dann bliebe aber immer noch dafür zu danken daß er auch das abseits vom breiten Wege liegende Liedgut mit letzter Hingabe pflegt. Den Zyklus "Die schöne Magelone" von Brahms hört man nicht oft. Wenn er dann geringen Eindruck macht, meint man allzu leicht, es liege an Brahms. Durch Fischer-Dieskau wird diese Liedfolge ein stilles, aber tiefes Erlebnis. Hertha Klust als Pianistin und Wilhelm Borchert, der Tiecks Novelle liest, sind die Mithelfer. Jeder der drei verehrungswürdigen Künstler gestaltet diese frühe Romantik so rein und klar, so ohne jeden falschen Ton, dabei so blutvoll und durchgeistigt, daß sie ihre Gemeinde im ausverkauften Hochschulsaal ganz in ihren Bann zwangen.Hfd

unbekannte Presse, 15. Dezember 1955 

Ein Ineinandergehen von Musik und Dichtung, wie es selten zu verzeichnen ist, ließ den Liederabend von Dietrich Fischer-Dieskau, der sich Brahms "Die schöne Magelone" gewählt hatte, zu etwas Einmaligem werden. Liedgestaltung und ausdrucksvolle Rezitation der Tieckschen Zwischentexte (Wilhelm Borchert) schlugen die Hörer in ihren Bann.

 

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