Zum Liederabend am 23. April 1958 in Stuttgart

   

     Stuttgarter Zeitung, 25. April 1958     

  

Fischer-Dieskau singt Schubert

  

Am Quell des Liedes - das trifft wohl das Erlebnis des neuerlichen, enthusiastisch aufgenommenen Abends des Meistersingers und Meisterbaritons Dietrich Fischer-Dieskau am besten. Obwohl nach wie vor festgestellt werden muß, daß der Konzertsaal der Stuttgarter Liederhalle für dieses intime Erlebnis viel zu groß bleibt, und zudem das mit weiteren Zuhörern vollgepfropfte Podium einen störenden Anblick bietet (muß das eigentlich sein?). gelang es Fischer-Dieskau, die lauschenden Massen in den Bann seiner bezaubernden Kunst zu schlagen.

Der junge Bariton liebt es, seine Liederabende einem einzigen Komponisten zu widmen. Das letzte mal war es Robert Schumann, diesmal Franz Schubert, von dem er eine Auswahl Lieder sang, und zwar nicht die "populären"; das beweist seinen besonderen, dem Seltenen zugewandten Geschmack. Es war eine wohlüberlegte, wenn auch keineswegs auf Wirkung, sondern auf feine Kontraste abgestimmte Mischung zart poetischer und dramatisch deklamatorischer Gesänge (unter den letzteren auch Goethes "Prometheus" - man staunt heute noch, wie genial Schubert dieses freie, zur Vertonung gänzlich ungeeignet erscheinende Gedicht in Musik transponiert hat).

Bezwingend, wie intensiv Fischer-Dieskau gerade diese ungemein schwierigen, differenzierten Gesänge im Ausdruck gestaltet, aber noch bewundernswerter, wie still leuchtend er die feinsten Nuancen der Ausdrucksmittel moduliert. Er, der über ein von keinem anderen Bariton so beherrschtes, silbrig-reines Kopfregister verfügt und es auf einzigartige Weise zu verwenden weiß, geht dabei stets - das ist im Sinne höchster Interpretationskunst - vom Wortsinn und vom Dichterischen aus.

Fischer-Dieskau schafft damit jene Einheit des Musikalischen und des dichterischen Ausdrucks, die so vielen erlauchten Geistern, vor allem aber den romantischen Liedkomponisten, als Ideal vorgeschwebt hat; er ist nicht allein ein hervorragender Sänger, sondern ein mindest ebenso großer Gestalter, dessen innere Entwicklung vielleicht in der Zukunft noch Ungeahntes erwarten läßt. Besonders erwähnt werden sollen die beiden abschließenden Frühlingslieder ("Frühlingssehnsucht" und "Im Frühling"), sowie "Abschied" - sie waren wie ein einziger heller Fluß von Musik.

Sehr apart, wenn auch mitunter zu laut, begleitete wiederum am Flügel Günther Weißenborn.

ng

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