Zur Oper am 29. Juli 1958 in Salzburg

Die Welt, 1. August 1958

Hofmannsthal wäre begeistert gewesen

Richard Strauß‘ Oper "Arabella" auf den Salzburger Festspielen

Salzburg, 31. Juli 1958

[...]

Mit einer ungewöhnlichen Skala von Nuancen und einer ganz zur Musik gewordenen Bewußtheit gibt Lisa della Casa dies Mädchen, das sich der fragwürdigen Existenz ihrer Familie und dem "etwas ordinären und gefährlichen Wien" jener Tage gegenüberstellt. Ihre schöne, hochgewachsene Erscheinung wird belebt durch beseelten Blick und verhaltene Gestik der Hände. Daß die Künstlerin jeden Anflug von Zynismus und Herzenskälte beiseite läßt, unterstreicht die spezifisch wienerische Note der Aufführung.

Rudolf Hartmann inszenierte die Oper bereits 1942 und 1943 in Salzburg. Im Verein mit Bühnenbildern von Stefan Hlawa, der den prunkhaften Pomp eines Hotelpalastes der sechziger Jahre mit viel Raumgefühl und Geschmack realisiert, gab der Regisseur dem Werk jene innere Beschwingtheit, die den "Gesamtton" überzeugend trifft.

Am Pult der Wiener Philharmoniker, die wieder mit herrlicher Präzision und Klangschönheit musizierten, saß Joseph Keilberth, Münchens künftiger Generalmusikdirektor. Er betonte nicht so sehr die "lyrische Tragödie" als vielmehr den von Hofmannsthal gewünschten "heiteren Dramatiker Strauß" – eine in jedem Bezug überzeugende Leistung.

Man durfte erwarten, daß sich Dietrich Fischer-Dieskau als Mandryka neben dieser Arabella hervorragend behaupte, stimmlich wie darstellerisch. Die Erwartungen wurden bei weitem übertroffen. Mit ihm tritt wirklich, wie es Hofmannsthal wollte, "die Weite des großen halbslawischen Österreich herein in eine wienerische Komödie". Gleich hochgewachsen wie Arabella, mit einem leicht slawischen Zug im Ausdruck, ist das Urbild dieses Menschen aus einer halb fremden Welt, wild und sanft, aber ein großartiger Kerl. Er besitzt jene Dämonie der echten Leidenschaft, die Züge einer religiösen Mystik trägt. Mit dieser Zeichnung der Hauptfiguren wird das menschliche Ideal, das Strauß und Hofmannsthal in diesem Werk gestalteten, beispielhaft erfüllt.

Anneliese Rothenbergers Zdenka entspricht gleichfalls einem Idealtyp. Schlank und zart, vermag sie die Verkleidung ebenso glaubhaft zu machen wie jenes "ganz Herz sein", das schon ihrem Urbild, der sorgenden Figur Lucidor, nachgerühmt wird. Ihre Stimme ist nicht voluminös. reicht aber völlig aus. Das Wienerische verkörpert Otto Edelmann als Graf Waldner, während man der Mama, Adelaide, endlich einmal das Exaltierte glaubte, das ihr von Hofmannsthal in seinem Entwurf (wo sie Frau von Murska heißt) bescheinigte: "eine Närrin – aber von der angenehmen Sorte."

Recht schwach dagegen ist der Mattheo von Kurt Ruesche, im Spiel leicht hysterisch, im Stimmklang zu lyrisch und weich. Eta Köhrus’ Fiaker-Milli verbirgt nichts, ohne wirklich zu überzeugen; von der Regie aus ist sie weniger à la Offenbach gesehen, vielmehr als die Königin eines Vorstadtballes. Von den Verehrern Arabellas überragte der Graf Elemer von Helmuth Melchert.

Das Publikum war von Anfang an hingerissen und feierte Regie, Dirigenten und Darsteller mit fast südländischem Jubel.

Hans Georg Bonte


  

     FAZ, 1. August 1958     

  

Festspieloperette "Arabella"

Die zweite musikalische Neuinszenierung in Salzburg

    

Das Frohlocken über den diesjährigen Festspielstandard, das die Eröffnung mit "Don Carlos" ausgelöst hat, ist ein wenig gedämpft. Nicht etwa deshalb, weil man darüber streiten kann, ob "Arabella", Strauß-Hofmannsthals zweite "Maskerad’ nach dem Leben" und mehr Operette als lyrische Komödie, ein Festspielereignis abgeben kann, sondern weil eben dieser Festspielstandard nicht gewahrt wurde. Gewiß hat diese Aufführung Qualitäten, und ich muß gestehen, niemals bisher ein so charmantes Frauenterzett "gesehen" zu haben, wie es die hier ganz mädchenhafte Lisa Della Casa (Arabella), die so reizend burschikose Anneliese Rothenberger (Zdenka) und Ira Malaniuk, eine junge Gräfin-Mutter, wie sie sich die Autoren wünschten, abgegeben haben. Es ist gar nichts dagegen einzuwenden, daß der Wiener Lokalcharme so gut nach Salzburg verfrachtet und ins Spiel geworfen wurde, wobei man Rudolf Hartmann, in dessen ganz konventioneller Regie man die Schritte sozusagen vorher abzählen kann, sogar für einige Spritzer Ironie dankbar sein darf, und vor Stefan Hlawas dito konventionellen Bildern die bezaubernden Kostüme Erni Knieperts hervorheben muß.

Ja, wenn auch so gesungen worden wäre! Im "Parlando" ging’s noch an; aber bereits bei dem ersten Höhepunkt, dem Duett Arabella-Zdenka zeigte es sich, daß Lisa Della Casas Stimme, so berückend sie im piano klingt, viel an Güte und Timbre verliert, sobald ihr größeres Volumen abgefordert wird. Auch Anneliese Rothenbergers so lieblicher Sopran blieb nicht frei von Sprödigkeit, um sich gegenüber den "Wogen" des Orchesters zu behaupten. Nur der großartige und unverwüstliche Dietrich Fischer-Dieskau (Mandryka) dominierte mühelos, Otto Edelmann (Graf Waldner) und Georg Stern (Graf Dominik) hielten sich wacker, während die beiden Tenorpartien mit Kurt Rüsche und Helmut Melchert unzulänglich besetzt waren.

Gewiß wäre vom Pult her vieles auszugleichen gewesen. Aber dafür war Joseph Keilberths musikalische Leitung zu undifferenziert. Er musiziert so ohne Punkt und Komma dahin, man wartet so oft vergeblich auf eine vorbereitende Zäsur, auf die spontane, dem Sänger helfende, dynamische Reaktion. Unvorstellbar, wie das wohl geworden wäre, wenn er nicht vor den Wiener Philharmonikern gestanden hätte, denen die Strauß-Tradition in den Knochen sitzt. Und wie hat Karl Böhm so beispielhaft am folgenden Abend, auch mit Lisa Della Casa, Strauß’ Letzte Lieder dargeboten (zwischen einer klanglich beseeligenden "Freischütz-Ouvertüre" und der in gewaltigen, dynamischen Dimensionen angelegten "Siebenten" Bruckners). Das sind Maßstäbe. Clemens Krauss, neben Böhm der unübertroffene Strauß-Interpret, hat einmal von dem "rechten Mittelmaß" gesprochen, das die große Gefahr Salzburgs werden könne; das rechte Mittelmaß, in der "Arabella" hatten wir es.

Ernst Thomas

 

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