Zum Liederabend am 12. Mai 1960 in Frankfurt

Neue Presse, Frankfurt, Datum unbekannt 

Musik in Frankfurt

Dietrich Fischer-Dieskau

Bei Dietrich Fischer-Dieskau, der im vollbesetzten Zoo-Festsaal eine ausschließlich Hugo Wolf und seinen Mörike-Liedern eingeräumte Vortragsfolge darbot, verdiente das Programmheft ein paar Bemerkungen. Keineswegs weil es eine volle Mark kostete (die war es wert, mit seinen vorbildlich schön gedruckten Liedertexten), sondern weil es einmal nicht, wie bei Prominenten üblich, auf der Außenseite das Bild Fischer-Dieskaus zeigte, vielmehr das - des Komponisten. Eine Gesinnung scheint uns hieraus demonstrativ zu sprechen, die unserer Zeit leider recht abhanden gekommen ist durch ihren ganzen Star-Rummel, die aber gerade bei dem Sänger Fischer-Dieskau das Moment darstellt, das seinen Ruhm aufs schönste legitimiert: das Bewußtsein des D i e n e n s am Werk und für den Werkschöpfer. (Meistens gilt das Umgekehrte heute.)

Tatsächlich - und das hat dieser Abend wieder erneut aufs bewegendste spüren lassen - ist der Bariton Fischer-Dieskau, ob auf der Bühne oder im Konzert, wie kein anderer von selbstzweckhaftem Stimmprotzentum weit entfernt, obschon er allle Voraussetzungen dazu hätte. Statt dessen versteht er es, aufs intelligenteste, sensibelste zu dem geistigen Kern des Wort-Ton-Kunstwerkes vorzudringen und von da aus seine Gestaltungsdisposition mit feinster Treffsicherheit und Wandlungsfähigkeit der Charakterisierungskunst anzulegen. Die lyrischen Kleinodien des genialen Wolf, mit exquisitem Geschmack zusammengestellt, gediehen unter solchen Umständen zu einem zauberhaft lebendigen und farbigen musikalischen Mikrokosmos. Die Hörer dankten dem Sänger, den Günther Weißenborn diszipliniert begleitete, enthusiastisch.

H. P.


Zeitung unbekannt, 16. Mai 1960

Dietrich Fischer-Dieskau

Zu einem Konzert im Zoo-Festsaal

Vor ausverkauftem Haus sang Dietrich Fischer-Dieskau zwanzig der insgesamt 53 Mörike-Lieder von Hugo Wolf. Am Ende des Programms stand - just und welcher Zufall! - jenes reizende Gedicht, in dem ein näher nicht genannter, künstlerisch aber offenbar Tätiger als ungebetenen Gast seinen Rezensenten empfängt. Dieser kennzeichnet, berufsbedingt und kurzentschlossen, die zweifellos zum musischen Metier gehörige Nase des Künstlers als "Auswuchs". Dafür wird er liebevoll und mit geeigneten Fußbewegungen die Treppe hinabbefördert.

Die eindeutig zweideutige Adresse Fischer-Dieskaus und die reizvolle Betonung, mit der er versicherte, beim Hinaus-Tritt "ganz froh gesinnt" gewesen zu sein, trafen tatsächlich den Rezensenten hart. Obwohl beträchtlich rachedurstig, gelang es nicht, "Auswüchse", welcher Nase auch immer, festzustellen.

Der Wahrheit zuliebe muß sich der generell Schlechtbehandelte sogar entschließen, sonst ängstlich gemiedene Superlative zu verwenden: Fischer-Dieskaus Technik ist so vollendet, daß man sich ihrer kaum bewußt wird. Sein Stil bringt Musik und Text zur völligen Kongruenz. Allein der Vortrag des "Feuerreiters" wiese ihn als Sänger von Weltklasse aus. Seine Stimme, in allen Lagen gleich mühelos geführt, verwandelt sich der Sache an, trifft immer und genau das Minuziöse einer veränderten Stimmung.

Günther Weissenborn, eigentlich zu Unrecht erst jetzt genannt, war ein kongenialer Partner. - Nicht nur Beifall, sondern ein Ovationsorkan.

K. V

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