Zum Opernabend am 7. August 1964 in Salzburg

    

     Münchner Abendzeitung, ?? August 1964     

       

Verdis "Macbeth" bei den Salzburger Festspielen

Schottland an der Salzach

Die Neuinszenierung von Verdis "Macbeth" in Salzburg wirft ein scharfes Licht auf die gegenwärtige Lage der Oper, ja der Musik überhaupt. Die künstlerische Sensation, die unsere Zeit zu bieten hat, ist fast nur mehr reproduktiver Natur. Man spricht bei dieser Verdi-Oper von Grace Bumbry und Fischer-Dieskau, von Oscar Fritz Schuh und Theo Otto, von Wolfgang Sawallisch und den Wiener Philharmonikern und last not least, vom interessanten Milieu der Felsenreitschule.

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Das gesangliche Ereignis war Grace Bumbrys Lady Macbeth. Stimmlich von großer Intensität und Schönheit, erfüllte sie bei faszinierendem Spiel fast alle Anforderungen dieser anspruchsvollen Rolle. Die schneidende Gewalt gehaltener Spitzentöne allerdings, die nur die Fülle der Reife gewährt, ersetzt Grace Bumbry noch durch eine kurze, aber brillant wirkende Attacke.

Dietrich Fischer-Dieskau war als Macbeth nicht richtig eingesetzt. Er ist nun einmal kein Heldenbariton, sondern ein lyrischer, ein sogenannter Kavaliersbariton. Geht er aus dem von ihm bevorzugten voix mixte vom Mezzoforte ins Forte über, verfremdet sich der Stimmcharakter. Auch störte das typische Akzentuieren im melodischen Duktus. Dessen ungeachtet wurde Fischer-Dieskau vom Publikum bejubelt, das offenbar den unvergleichlichen Liedersänger von dem hier überforderten Opernsänger nicht zu unterscheiden vermochte. Wahrscheinlich deshalb, weil Fischer-Dieskau auch hier wieder seine Intelligenz und künstlerische Strahlkraft unter Beweis stellte.

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Antonio Mingotti

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       Süddeutsche Zeitung, 7.  August 1964     

       

Fischer-Dieskaus wuchtiger Macbeth

Verdis Jugendoper bei den Salzburger Festspielen

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Das Ereignis der Aufführung ist Dietrich Fischer-Dieskau als Macbeth. Vom ersten Moment an, da seine Prachtstimme mit dem "Giorno non vidi mai" den weiten Raum mit erzenem Glanz erfüllt, ist man von einer gesanglich wie darstellerisch eminent suggestiven Deutung der Gestalt gefesselt, über deren reckenhafter Wucht ein Bann zu liegen scheint; kommt er von den Prophezeiungen der Hexen, die in dieser Mannesseele wühlen, ist es die geistig erotische Macht des Weibes an seiner Seite, die ihn umklammert hält? Man glaubt in diesem Macbeth die Qual eines Menschen zu spüren, der sich weder von den Dämonen befreien kann, die von außen an ihn herandringenden, noch von den Gespenstern, die sein Gewissen in ihm aufjagd. In Fischer-Dieskaus Darstellung vereinigen sich die dramatische Plastik Shakespeares und die musikalische Expressivität Verdis (mit allem, was sie gesanglich an deklamatorischer Intensität, kantabler Ausformung und affektiver Prägnanz erfordert) so vollkommen, daß - ein paradoxer Effekt dieser großartigen Leistung - das figurale Gewicht der Lady demgegenüber fast ein wenig reduziert erscheint, obgleich auch ihr durch Grace Bumbry, die berühmte "schwarze Venus" von Bayreuth, eine faszinierende Verkörperung zuteil wird. Sie hat die große Attitüde der Diva in der raumgreifenden Geste, im pompösen Raffen der Gewänder, sie hat aber auch die (ursprünglich wohl mehr im Musikalischen als im Schauspielerischen wurzelnde) Fähigkeit der Charakterdifferenzierung und eine Sensibilität für die Ausdrucksnuance im dramatischen Melos, Verdis, die sich unmittelbar ins Körperliche umsetzt.

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K. H. Ruppel


    

       Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. August 1964     

   

Einen Seitenblick auf Shakespeares Monument

Verdis "Macbeth" in der Salzburger Felsenreitschule

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Bei den Salzburger Festspielen nun sollte dem immer noch durch Schottlands Heiden und durch die Opernhistorie irrlichternden Macbeth eine neue Heimstatt bereitet werden. Ganz offensichtlich hat den Regisseur Oscar Fritz Schuh die Dämonie und das Gespenstische der Macht in diesem Stück gereizt: das "Unerledigte" blutiger Verbrechen, das noch unter den Lebenden umgeht, sowie das Unerledigte der Opernform aus diesem speziellen Beispiel. Die Felsenreitschule bietet dafür einen vielversprechenden Rahmen. Denn Historie und das, was sie theatralisch aufsprengt, der ganze Hexenspuk, muß hier aus der blutgetränkten Erde, aus dem Felsgestein Schottlands, gleichsam herauswachsen. Das begann gleich mit den Hexenchören, die – unmenschlich monoton und koboldhaft denaturiert gesungen – das ganze Rund in tönendes Gestein verwandelten.

Das fand seine Verwirklichung in den schleichenden Gängen Macbeths, in denen er aus dem Felsen Entschlußkraft und Mordlust herauszutasten schien, und in der Mordszene an Banquo, in der das Verbrechen geradezu von der Finsternis unheimlicher Felsschlüchte begangen zu werden schien.

Und das fand schließlich seinen Höhepunkt in Lady Macbeths Nachtwandlerszene: der weitgespannte Bogen ihres letzten Ganges durchmaß und unterminierte die ganze Länge der Felsengalerie. Einer Flamme gleich, deren zitterndes Licht dann in einem letzten, wahnsinnhaften Aufglühen verlosch, erschien diese Lady Macbeth. Das war der Naturbühne auf den Leib choreographiert.

Teo Otto hat dazu die Felswand mit abstrakt-dekorierenden Projektionen überzogen: Blut- und Kalkspritzer bildeten die schauerliche Tapete für das Melodram. Schade nur, daß Schuh diesen Weg der szenischen Anvermählung an den Ort nicht konsequent bis zu Ende gegangen ist: Auch das waffenstarrende Arsenal der kriegerischen Auftritte hätte, statt in paradehaften Formationen daherzukommen, von diesem schottischen Boden ausgespuckt werden müssen. Vielleicht hat Schuh die Gefahr gesehen, daß bereits seine Felsen- und Naturgeister fast zu sehr zu einem Stück Natur geworden wären, so daß von einer "Bewegung" in der Heide, vom Bestandteil einer Aktion, kaum noch zu sprechen war. Die Kriegerchöre dagegen schienen in ihrer Handgreiflichkeit hinzugedichtet für ein Freiluftspiel, das um des Effekts willen große Statisterie braucht. Gerade das erwies sich als eine Schwäche dieser Inszenierung, daß sie die letzte Einheit aus natürlicher, also räumlicher Motivierung und dem großen Dekor, den die Dimensionen der Felsenreitschule verlangen, nicht erreichte.

In der großen Bankettszene beispielsweise, wo Macbeth von den Geistern der Erschlagenen bedrängt wird, wurde der unheimliche Eindruck des Übernatürlichen durch das Dekor der Szene malerisch überspielt (choreographische Assistenz Rolf Scharre). Hier war Schuh so auf die optische Wirksamkeit bedacht, daß er die Situation vergröberte. Macbeth und Lady Macbeth als Mörderpaar in blutroten Mänteln, das ist deutlich und symbolkräftig. Nichts rechtfertigt aber gerade hier, das Paar als Einheit darzustellen. Und was jetzt nur noch theatralisch wirkte, war keine Shakespearesche Bankettszene mehr, sondern ein schottisches Jedermann-Spiel, ein Salzburgischer Totentanz mit italienischer Musik. Es scheint uns auch, daß die Lichtregie zwar oft scharfe Akzente zu setzen wußte, im ganzen aber doch den Raum belebte, in den Übergängen sogar manchmal zu unbekümmert verfuhr.

Grace Bumbry, die für die Rolle der Elisabeth in Bayreuth vertragsbrüchig geworden war (man vermißte sie dort als Venus im "Tannhäuser"), begeisterte das Premierenpublikum durch die warme Fülle ihres Mezzosoprans, vor allem in den tieferen Lagen. In der Höhe verbirgt sie die Anstrengung geschickt unter dem Ausdruck exzessiver Naturhaftigkeit. Hochdramatischen Gestus und Überzeugungskraft einer Heroine erreicht sie noch kaum, liegt ihr vielleicht auch nicht. Jedenfalls war ihre Lady Macbeth, statt überlegen und kalt oft mehr spielerisch katzenhaft. In ihrer Wahnsinnsszene, von der Regie her unerhört effektvoll angelegt, hatte sie noch etwas von ängstlichem, akademischem Nachvollzug an sich. (Dabei glaubt man ihrer großen Begabung ohne weiteres, daß sie in diese Rolle hineinwachsen kann.) Nicht völlig überzeugend war Dietrich Fischer-Dieskau als Macbeth. Obwohl gerade er auf intelligenteste Weise das Sprachgebaren des italienischen Textes in klingenden Wohllaut umzusetzen bemüht war, blieb er ein "deutscher" Macbeth von intellektueller Kühle und Distanziertheit. Neben ihm wirkte daher Ermanno Lorenzo als Macduff, obwohl er nichts weiter darstellte als einen gut singenden Tenor, gerade in dieser Oper als Naturtalent, das zu Verdis Musik den unbekümmerten Zusammenhang voraus hat. Sehr schön, aber auch etwas würdevoll und steif, Peter Laggers Banquo.

Auf seltsame Weise stand der Klang der unter Wolfgang Sawallisch spielenden Wiener Philharmoniker als kompakter Körper vor der weiträumigen Bühne: Klar, bisweilen auch hart und die Sänger zudeckend. Die unromantische Brillanz erinnerte daran, daß das beginnende 19. Jahrhundert seit Beethoven Schicksalhaftes und Heroisches gern durch militärisch klingendes Pathos ausdrückte. In strengem Pomp ertönten so auch zum Schluß die große Battaglia-Fuge und der Triumph-Gesang in den sie mündet. Dieses Finale mutet ein wenig naiv an, so als sollte ein Sieg des Guten über Schottlands böse Geister gefeiert werden. Man darf aber nicht vergessen, daß Verdi hier viel mehr als Shakespeares Drama seine Shakespeare-Verehrung in Töne gesetzt und auf dem Gebiet der Musik-Dramatik einen Privatsieg vorweggenommen hat, das Uraufführungspublikum des Jahres 1847 noch kaum verstehen konnte. Heute gab es in Salzburg den stürmischen Applaus eines Publikums, das durch die Brille der Italianitá einen genüßlichen Seitenblick auf Shakespeares Monument richten durfte.

Friedrich Hommel


   

       Die Presse, Wien, 10. August 1964     

   

Dämonischer Verdi in Shakespeare-Nähe

"Macbeth" mit Grace Bumbry und Dietrich Fischer-Dieskau in der Felsenreitschule

    

Die Aufführung des "Macbeth" in der Felsenreitschule mit Grace Bumbry und Dietrich Fischer-Dieskau, in der Inszenierung von Oscar Fritz Schuh, dem Bühnenarrangement von Teo Otto und mit Wolfgang Sawallisch am Dirigentenpult wird als denkwürdiges musikalisch-theatralisches Ereignis in der Erinnerung bleiben. Es ist ein Abend, der Größe hat und gewaltige Geisteskraft ausstrahlt. Man ist Zeuge eines grandiosen Musiktheaters, wie es in dieser für Salzburg geschaffenen Form eben auch nur in Salzburg möglich ist.

Diese Form erfaßt das Werk im innersten Kern. Es grenzt fast ans Wunderbare, wie shakespearenahe Verdi mit einer Musik vordringt, die sich äußerlich ganz an die Bräuche und Konventionen der damaligen italienischen Opernpraxis hält. Wenn Verdi seine Hexen zu spritzigen und nichts weniger als unheimlichen Melodien singen und wahrsagen läßt, so wird damit weit mehr Dämonie und Diabolik aufgewühlt, als die Sprechbühne aufzuwühlen vermag. Wie das zustande kommt, ist selbst die größte Hexerei. Ähnlich ergeht es einem auch weiterhin: Immer wieder staunt man, wie Verdis Musik, die sich ohne Scheu und Bedenken der landläufigen Manier bedient, über die Manier ins Herz der Tragödie vorstößt. Wobei man sich mit Erschütterung sagen muß, daß die Musik, die heilige Kunst, auch äußerst grausam sein kann. Sie berauscht sich am Blut, das Mörderhand vergießt. Sie hebt mit Wollust den Atem im Blutgeruch, und Shakespeares blutigstes Theaterstück trägt Verdi an die Grenzen einer Musikdramatik, die, wiewohl konventionell und modisch gekleidet, der Tonkunst neue und bedeutende Aspekte eröffnet. Der Maestro, den seine Inspiration in Shakespeare-Nähe versetzt, befindet sich auch in Wagner-Nähe. Zwischen Lady Macbeth, die ihren Gatten hypnotisiert und zu weiteren Verbrechen antreibt, und der Szene Ortrud-Telramund im zweiten Akt des "Lohengrin", der zur gleichen Zeit entstand, lassen sich sehr merkwürdige und sehr aufschlußreiche Beziehungen herstellen. Ob deutsch oder italienisch, der Zeiger der Musikgeschichte zeigt diesseits und jenseits der Alpen parallellaufende Tendenzen an. Man muß sie nur auseinanderhalten und darf sich in der Erkenntnis der einen durch die Bedeutung der anderen nicht irremachen lassen.

Dramatik und Tragik aber vermöchten sich kaum mit solcher Eindruckskraft zu manifestieren, wenn nicht die Aufführung ihren Geist und Sinn so überzeugend vermittelte. In der Mitte des künstlerischen Kräftefelds steht Grace Bumbry, Lady Macbeth, eine souveräne Beherrscherin des Theaters und der Opernmagie wie nur je eine, die über die Bretter der musikalischen Bühne geschritten ist. Ihre Stimme ist ein Phänomen, ein Mezzo, der in organischer Verbindung mit einem leuchtenden Sopranregister steht und in jeder Lage Schönheit, Wohllaut, Timbre und Charakter besitzt. Von der glänzenden Beschaffenheit ihrer Singtechnik hat man den Eindruck, daß sie nicht in der Singschule erworben wurde, sondern unmittelbar aus der Stimme, aus deren Natur hervorgegangen ist. Ihr Singen bildet mit allem was Kunstschliff und Ausdrucksgebung verlangen, eine vollkommene Einheit. Vielleicht noch stärker aber als der musikalische Zauber, den sie ausübt, ist die Kraft der Persönlichkeit, die von ihr ausgeht. Ihre Ausstrahlung ist beinahe physisch fühlbar. Wo sie steht, dort befindet sich das Zentrum des Geschehens. Ihre Aktion hat Größe, ihre Gebärde hat die Schönheit und Würde eines Naturschauspiels.

Mit Dietrich Fischer-Dieskau als Macbeth steht ihr ein Partner von gleich hohem künstlerischem Rang zur Seite. Auch er hat eine Prachtstimme von großer Ergiebigkeit, auch er hat Persönlichkeit und Ausstrahlung. Im Zusammenwirken mit der Naturkraft, die von der Sängerin ausgeht, setzt sich auch in seinem Gesangs- und Vortragsstil eine weitere Natürlichkeit durch. Was sich bei ihm als Manier eingeschlichen hat, ist abgefallen. Sein Künstlertum scheint förmlich freigelegt zu sein. Wie durch Verdis Musik, so fühlt man sich auch durch die grandiose Darstellung des Hauptpaares Shakespeare und der Idee des Tragischen nahegebracht. Ein tragischer Fall ist ja ebenso die Frau in ihrer Dämonie wie der ihrer Dämonie verfallene Mann. Und hier, in der Felsenreitschule, wirkt alles geheimnisvoll zusammen, um die Manifestation des Tragischen ins Monumentale zu steigern, um ihr einen geradezu antikischen Widerhall zu verleihen.

Dem Hauptpaar zunächst kommt Peter Lagger als Banquo. Auch er hat Format und Würde und bekundet im Singen und Auftreten Festigkeit und Entschlossenheit. Ihm schließen sich die Nebenfiguren an: Ermanno Lorenzi, Francisco Lazaro, Alois Pernerstorfer und Bozena Ruk-Focic. Unser philharmonisches Orchester ist wie immer ein wichtiger Faktor und ebenso rühmlich beteiligt ist unser Opernchor, sowohl wenn sich die Damen als Hexen verkleiden und ihre Stimmen verstellen wie im kriegerischen Aufgebot der Herren.

Der Zauber der Felsenreitschule, den musikalisch eine herrliche, kristallklare und so gar nicht atelierhaft ausgeklügelte Akustik kennzeichnet, wirkt auf die Phantasie von Regisseur und Bühnenbildner in hohem Maße anregend und befruchtend. Mit erstaunlich geringen Mitteln gewinnen Oscar Fritz Schuh und Teo Otto aus der Felswand und ihren Galerien Wirkungen von stärkster Eindruckskraft. Sie stilisieren und verfahren dann wieder beinahe realistisch. Sie schöpfen aus beiden Prinzipien und gelangen zu einem vollkommen einheitlichen Resultat. Mit diesem doppelsinnigen Verfahren wird zum Beispiel der Wald von Birnam höchst anschaulich gezeigt, wie er auf Macbeth eindringt und ihn bedroht. Die Kriegergruppen, die über die Bühne eilen und sich zur Maskierung Baumzweige vorhalten, sind real. Daß die Zweige goldene Blätter tragen, ist Stilisierung. Beides zusammen erfaßt die Situation ebenso originell wie stilgemäß.

Zur vornehmen und künstlerisch ausgewogenen Gesamtwirkung trägt schließlich auch die Eindringlichkeit bei, womit Wolfgang Sawallisch am Dirigentenpult den musikalischen Ablauf in Gang hält. Er dirigiert lebhaft und temperamentvoll, mit italienischem Feuer, ohne die italienischen Akzente überscharf hervorzuheben. Er dient damit ebenfalls der Betonung des tragischen Sinns der Verdi-Musik, der sich an diesem großen denkwürdigen Opernabend so machtvoll mitteilt.

Heinrich Kralik


   

       Salzburger Nachrichten, 10. August 1964     

   

Landschaften des Wahns

Giuseppe Verdis Oper "Macbeth" als neue Freilichtinszenierung in der Felsenreitschule

    

Der Anspruch einer Simultanbühne, eines Darstellungsortes, der für die wechselnden Schauplätze des Werkes immer gleichzeitig dasselbe Gesamtbild mit geringstem Wandel von Symbolen und Requisiten bereithält, ist außerordentlich. Nur das Außerordentliche einer szenischen Auffassung rechtfertigt deshalb auch die Gewaltsamkeit, die bei der Einfügung einer Vielfalt von Imaginationen in die zwingende Einheit des stehenden Bildes im Spiele ist.

An der Operndramatik der ersten Verdischen Shakespeare-Vertonung "Macbeth" gab es für Oscar Fritz Schuh und den Bühnenbildner Teo Otto neben vielen Gefahren auch eine Reihe werkgerechter Gründe, die an ein Festspiel in der Felsenreitschule denken ließen. Der Regisseur war ja nach den Schauspielaufführungen der dreißiger Jahre der erste von allen, der die neu gestaltete Freilichtbühne im Jahre 1948 mit Glucks "Orpheus und Eurydike", in Karajans unvergeßlich solenner Interpretation, einweihte und mit diesem Exempel ein dauerndes Richtmaß salzburgischer Operndramaturgie entwickelte. Es blieb den nachfolgenden Unternehmungen nicht selten unerreichbar. Was "Macbeth" betrifft, meinen wir, die Bedingungen hätten im wesentlichen für einen positiven Ausgang des Wagnisses gesprochen.

Die ermutigenden Gründe liegen, von dem reichen chorischen Gepräge der Volksszenen abgesehen, in der dramatischen Bedeutung des Visionären. Die Handlung entzündet sich an einem Spuk. Das schuldhafte Schicksal des Macbeth geht von dem ersten zwielichtigen Erlebnis des Hexenorakels aus. Er sieht in diesem Augenblick die Macht und den blutigen Weg zur Macht vor sich. Die Vision ist der Beginn einer grauenvollen Verstrickung von Stufe zu Stufe abwärts, und immer gezogen von Chimären, von Spiegelungen seines eigenen Hirns oder Ungeheuern aus der dämonischen Seele des Weibes, der Gattin, die dann selbst vom Irrsinn gefällt wird. Für ein solches Theater der Phantasmagorien, die ursächlich die Handlung bewegen, mehr als irgendeine der gesetzten Aktionen der Helden – sie folgen nur aus dem Trug – schafft der mystisch vieldeutige, man möchte sagen, für Geister offene Raum der Felsenreitschule die rechte Beziehung. Es erweist sich sogleich an der ersten Hexenszene. Die bärtigen Zwitterwesen erscheinen wie verwachsen mit den Gesteinsriffen, hinter denen sie (allerdings viel zu abrupt in der Bewegung) auftauchen; die starke Natur des Schauplatzes steigert ihre Charakterisierung. Die in der Höhe der Arkaden hausenden Lemurengestalten sind eine Inspiration des Ortes, auf die man sich verstehen kann. Landschaften des Wahns. – Daß dieselbe Bogenarchitektur der Felswand ein andermal als pittoreske Hinterbühne für die festlichen Lichtträger des Gastmahls dient, ist anzuerkennen und ein sicherer Effekt. Man muß hier grundsätzlich bereit sein, die Verwandlungen der Szene einzig in der wechselnden figuralen Staffage zu erblicken. Sie wird von variablen, an die Wand projizierten Licht-Farbe-Schraffuren (Weiß und Blutrot) symbolisch unterstützt, obzwar die Einfälle der Beleuchtungsregie im übrigen allzu bescheiden anmuten.

Die Aufbauten sind auf einige Felsblöcke, riffartig ausgehöhlte Gesteinsmassive am Fuße der Arkadenwand, beschränkt. Von links kommen die Auftritte aus dem feindlichen Bereich, rechts ahnt man Macbeths Schloß; eine Treppe führt zu zwei hohen goldenen Türflügeln empor. Die Arkaden "gehören" im letzten Akt zum Schloß, wenn Lady Macbeth sie mit ihrer Lampe durchschreitet: eine Lösung für die Schlafwandelsszene, die einprägsam bildhaft im Gedächtnis bleibt.

Theater ist von Rechts wegen Schau-Spiel, solang es sich der Logik nicht hart widersetzt. Derartiges geschieht vor allem in diesem vierten Akt. Der gefürchtete "Wald von Birnam" (Schrecken aller Regisseure), nämlich die mit Zweigen verhüllte Heerschar des Rächers Macduff, soll sich zu bewegen beginnen. ("Dort bei Birnam der Wald, - er bewegt sich!" melden die Wachen Macbeth.) Aber ehe das Auge des Zuschauers langsam sich nur zu der geringsten Selbsttäuschung anschicken kann, um mitzuspielen, rasen plötzlich in Abständen Trupps von golden getarnten Soldaten wie motorisiert von links nach rechts über die Bühne, auf einem ungesehenen Kampffeld hinter der Szene verschwindend, bis nach der Schlachtenfuge der Sieg geblasen wird. Eilfertigkeit macht auch das Tableau der Königsausrufung Malcolms auf den Stufen des Schlosses zur Karikatur. Man bedenke: Aus dem Schloß kommt ein Soldat mit der Krone gerannt und stülpt sie dem Herrscher von hinten über! Gewiß, das Finale der Partitur ist sehr knapp angelegt, aber diese Beschränkung gälte es, szenisch eben zu meistern. Noch manches andere gerät deshalb schlecht; am augenfälligsten der Zweikampf auf dem Felsen, der wie eine Hinrichtung des Macbeth aussieht. (Der Sinn der Orakelerfüllung ist so nicht zu "demonstrieren".) Im übrigen empfindet man die Bewegungsregie allgemein enttäuschend konventionell und das überladene, im Ausdruck unprofilierte Statistenaufgebot bleibt folglich nutzlos.

Wie vieles der Problematik von Ort und dramaturgischem Stoff auch verhaftet ist, grandios und lohnend bietet sich die Gestaltung der Gastmahlsszene dar. In diesem Falle wird die mangelnde Bühnentiefe (die der "Wald von Birnam" am meisten entbehrt) nicht zum Hindernis, sondern O.F. Schuh geht mit der langen königlichen Tafel in Front zum Betrachter. Er läßt damit – freilich, ohne das psychologische Relief der Tischgesellschaft im Detail geziemend auszufeilen – eine monumentale Szene erstehen, für die der Ausstatter ihm die besten, malerisch wirksamsten Mittel, etwa im Stile früher englischer Gotik, entwickelt hat. Allein in den großen Momenten des Gastmahls glückt der Inszenierung das Ineinanderverweben von Einzelaktionen und chorischem Bild.

An diesem Punkte aber muß gerechterweise schon die andere Potenz genannt werden, die tragende Kraft eines Sängerdarstellers wie Dietrich Fischer-Dieskau, der dem Macbeth Gestalt gibt. Die internationale Opernbühne kennt nicht viele Protagonisten von solcher Ausstrahlung, mit denen die spezielle Schwierigkeit der Titelpartie auf der riesigen, im Spielklima äußerst ausgesetzten Salzburger Freilichtbühne hätte gewagt werden können. Ob der überwältigende Erfolg seines ersten Berliner Macbeth sich hier wiederholen mag – Stuckenschmidt schrieb damals, Oktober 1963, von Fischer-Dieskau als dem "Sänger, der zum größten Shakespeare-Darsteller der heutigen Bühne gewachsen" sei - scheuen wir uns, ohne eigenen Vergleich, zu behaupten. Offensichtlich aber bringt der mit seiner herrlichen Stimme alles überragende Gestalter, dessen sehr persönlich geprägter Verdi-Stil und dessen fesselnde deklamatorische Register nach der letzten Arie "Perfidi ---!", mit einer Ovation bedankt wurden, der Regie von sich aus eine so starke Chance entgegen, daß diese für fast alle Höhepunkte bestimmend wird. Die bis zur extremen Anspannung des Bogens geführte Tafelszene zeigt es.

An einem anderen Höhepunkt, der der berühmteste des Werkes ist, der Schlafwandelsszene und Todesarie der Lady, bestätigt Grace Bumbry als sensationelle Debutantin der Festspiele 1964, daß man sie heute schon zu den fixen Größen der Opernbühne zählen darf. Ein dramatischer Sopran, ebenso mächtig wie biegsam, gleichmäßig durchgebildet in dem ganzen Umfang der Stimme; farbensatt die Mezzoregion, virtuos jeder Übergang, mühelos angesetzt der etwas gläsern-harte Glanz der Spitzentöne; in ihrer präzisen Artikulation zuweilen versucht, das italienische Endungs-r zu überschärfen, folgt die Künstlerin im Vortrag doch intelligent dem besten Geschmack und phrasiert mit großer Natürlichkeit. Die Arie der Schlafwandelnden ist auch mimisch überlegen und mit aller persönlichen Hingabe ausgeführt; andere Monologe, offenbar weniger selbständig durchgeformt, können mit flacher pathetischer Attitüde das Bild dieser amazonenhaften Lady von Grace Bumbry nur andeutend verwirklichen. Dennoch erlebt man in der Partnerin des Macbeth eine durchschlagend begabte musikalische Persönlichkeit. Die Bewunderung des Publikums sparte nicht mit Szenenbeifall.

Die übrige solistische Besetzung erscheint gediegen und würdig: Der hell timbrierte Tenor von Ermanno Lorenzi beeindruckt in der Arie des Macduff zumindest als Belkantist; im Duett vereint er sich vorteilhaft mit dem jungen, stimmlich gut ausgerüsteten spanischen Debutanten Francisco Lazaro als Malcolm. Peter Lagger singt die Baßpartie des Banquo sehr schön; nur in Fortetönen klingt das dunkel-schwere Organ mitunter etwas steif. Wohldisponiert im Ensemble der Stimmen: Bozena Ruk-Focic (Kammerfrau), Alois Pernerstorfer (Arzt), Walter Raninger (Diener), Norbert Balatsch, Herbert Bäuml und Alfried Wehofschütz als Erscheinungen in der zweiten Hexenszene.

Wolfgang Sawallisch hat als Dirigent der Neueinstudierung mit einem merklich besser ausgeruhten Orchester, als man es bei der öffentlichen Generalprobe hörte, ein schwungvolles, nuanciertes Musizieren bewirkt, das dem Abend hohes Niveau gab. Dezent im dynamischen Ausdruck, den pastosen Farbauftrag klanglich nobel abstimmend, verlegt Sawallisch die Akzente insbesondere in den Aufbau und die Konturierung großer Steigerungen. So gewinnen beispielsweise der schauernde Mezzavoce-Chor im Finale II, nach der letzten Erscheinung Banquos, und der Flüchtlingschor oder etwa die geisterhafte Einleitungsmusik mit dem nachfolgenden turbulenten Ende der Schlafwandelsarie faszinierenden Ausdruck. Auch die Plastizität des sehr exponierten Chorklangs in den Hexenszenen (Kammerchor der Festspiele) erreicht einen angemessenen Grad, um die Wirkung des seichten thematischen Materials zu heben. Der Staatsopernchor ist vorzüglich einstudiert, die gesangliche Ambition erfüllt jeden Anspruch. Nicht zuletzt verdiente es das Orchester der Wiener Philharmoniker, in den langanhaltenden, starken Schlußapplaus einbezogen zu werden, der Solisten und leitende Ausführende wiederholt an die Rampe rief. Man feierte eine interessante Festspielpremiere, obzwar nicht alle Fahnen des Sieges hochstiegen.

Max Kaindl-Hönig


   

       Die Welt, 11. August 1964     

   

Ausgespart und stilisiert

Oscar Fritz Schuh inszenierte Verdis "Macbeth" in Salzburg

    

In sechs von den 37 Festspielabenden dieses Jahres wird auch die Felsenreitschule für je eine Oper und ein Schauspiel herangezogen, diese einzigartige Naturbühne, die eines der kostbarsten Besitztümer Salzburgs ist und als Schauplatz grandioser Inszenierungen schon oft denkwürdige Aufführungen getragen hat: von Max Reinhardts unvergeßlicher "Sommernachtstraum"-Aufführung bis zu Orffs "Antigonae" gleich nach dem zweiten Weltkrieg, von Mozarts "Don Giovanni" unter Furtwängler bis zu Verdis "Don Carlos" in Gründgens’ Regie.

Es bedurfte freilich eines so erfahrenen, phantasiestarken und stilkundigen Regisseurs wie Oscar Fritz Schuh, um dieses überdimensionierte Breitwand-Halboval mit seinen in drei Etagen aufsteigenden Felsnischen und Bogengängen (die allein noch an die ursprüngliche Bestimmung der "Reitschule" erinnern) für Verdis "Macbeth" nutzbar zu machen, ohne der doppelten Gefahr zu erliegen, die diese Bühne in sich birgt: entweder sich rein dekorativ in pathetischem Aufwand zu verlieren oder aber in abstrakte Stilisierung auszuweichen.

Beides wäre Verdis Werk gleichermaßen abträglich: diesem düsteren Drama grausiger Blutschuld mit seinen unterschwelligen Monologen und gespenstischen Visionen, in dem sich Natur und Geisterwelt zu verbünden scheinen, um Macbeth erst auf den Weg zu seinen ehrgeizigen Verbrechen zu locken, und um ihn dann um so gnadenloser zu vernichten.

Überaus suggestiv fängt der Bühnenbildner Teo Otto gleich in der ersten Szene, Macbeths Begegnung mit den Hexen, die dämonische Atmosphäre des Dramas ein. Unheimlich belebt sich die nächtliche Szenerie in wildzerklüfteter Felsenlandschaft mit spukhaften Schreckgestalten, Erdgeistern in flatternden Gewändern, die am Boden kauern oder sich geifernd über die Brüstung beugen und ebenso rasch wieder zurückgleiten. Wie auch in der zweiten Hexenszene verzichtet der Regisseur darauf, den Tanz der Lemuren choreographisch auszuspielen, auszudeuten.

Als ein Meister der Aussparung und Stilisierung beschränkt Schuh sich hier auf um so beredtere Andeutung, sammelt er alles Licht auf Macbeth, der die gleisnerischen Prophezeiungen gleichsam als Stimmen aus der eigenen Brust vernimmt: lautgewordene Wunschträume eines frevlerischen Ehrgeizes, den er sich bisher nicht einzugestehen wagte, und der nun, in bösem Einverständnis mit seinem schlechteren Ich, der ungleich skrupelloseren Gattin, um so hemmungsloser aus ihm herausbricht, obwohl er ahnt, daß er innerlich seinen Verbrechen nicht gewachsen sein wird.

Mit einer Eindringlichkeit, einer Faszinationskraft, die nur exzeptionell begabten Darstellern geschenkt ist, zeichnet Dietrich Fischer-Dieskau die erregende Zwiespältigkeit der Titelpartie in diesem ersten modernen Seelendrama auf der Opernbühne, zu dessen noch heute überraschend kühner Tonsprache der damals erst 34jährige Verdi von Shakespeare inspiriert wurde. Stimmlich hat Fischer-Dieskau vielleicht nicht ganz den betörenden Schmelz des italienischen Belkanto, um so mehr aber die leidenschaftliche Ausdrucksgewalt, die Verdis dramatischer Wahrheit entspricht.

Grace Bumbrys Lady fesselt in der Szene der Nachtwandlerin durch den schmerzvollen Lyrismus ihres ausdrucksstarken Spiels, ohne im instrumentalen Glanz ihres kühl souveränen, selbst in den tieferen Registern tragenden Soprans immer auch die dämonische Natur dieser Gestalt mitklingen zu lassen. Aus dem nicht gleichwertigen übrigen Ensemble ist der kraftvoll entfaltete, voluminöse Baß Peter Laggers in der Partie des Banquo besonders hervorzuheben.

Wolfgang Sawallisch, der erstmals in Salzburg dirigierte, leitete die Aufführung mit jener elastischen Beschwingtheit und stilklaren Präzision, die ihn im italienischen Fach auszeichnet und auch diesmal über manche Tücken der Akustik und der Intonation hinaustrug.

[...]

Heinz Joachim


   

       Münchner Merkur, 10. August 1964     

    

Oscar Fritz Schuh inszeniert für Salzburg Verdis "Macbeth"

Königsmord in der Felsenreitschule

    

Wie aus diesem Felsen gezaubert hockten in Salzburg die Hexen auf einem Felsen, mit zottigen Haaren und Bärten, um in Macbeth Machtbegierde und Mordgedanken zu entfachen; wie in ihre finstere Heimat verschwanden sie im Nu wieder im Fels. Man könnte hexengläubig werden und im Mönchsberg hinter dem Festspielhaus eine ewige Behausung solcher Unholdinnen vermuten, so genau paßte sich Shakespeare-Verdis "Macbeth" der Umgebung der Felsenreitschule an, in der Oscar Fritz Schuh die Oper ohne viel sichtbare Veränderungen (außer einigen kräftigen Strichen) in Szene setzte. Rechts ein Tor – zum Schloß Macbeths, links der Baum: Kommen und Gehen schienen sich von selbst zu verstehen. Und die großen Galerien – bald mit phantastischen Rittern, bald mit Fackelträgern belebt – wurden zuletzt zum unheimlich erleuchteten Schloßgang und zum Weg für Lady Macbeths Wahnsinn.

Schuh hatte sich dieser grandiosen Szenerie gemäß nicht für Shakespeare, sondern für Verdi entschieden und ließ das grausige Spiel von Morden und Wahn mit statuarischer Gebärdensprache ablaufen. Die Szenen flossen – fast zu schnell – ganz ineinander, die Positionen der Sänger und ihre groß entwickelten Gesten waren aus der Musik geboren, der Blick Macbeths, der Lady, Banquos, der Geister war ad spectatores (und zum Dirigenten) gerichtet. Nichts von Überregie, alles diente dem Werk, der unheimlichen Charakteristik, wie sie Verdi in seiner ersten Shakespeare-Vertonung bereits mit genialischem Wurf angelegt hat.

Der großen Anlage mußten große Stimmen entsprechen. Grace Bumbry als Lady hat diese ganz große Stimme, mit allen Ausdrucksmitteln ausgestattet, von einem (wohlklingend tragenden) Umfang, wahrhaft eine mörderische Lady. Nicht einen Ton aber brauchte sie zu übernehmen, um Raum, Chor und Orchester zu überwinden – ihre Kraft schien noch über Größeres gebieten zu können. So wurde Lady Macbeth zur glaubhaften unaufhörlichen Inspiratorin Macbeths – bis zu ihrem erschütternden Gang durch das Schloß, mit der zitternden Öllampe, mit deren Licht ihr Geist, ihr Leben und ihre Kraft erlöschen.

Dietrich Fischer-Dieskau sang den Königsmörder Macbeth, einen von innerer Not getriebenen, fast edlen Herrn, schon im Timbre des hellen Baritons um einen Grad zu lyrisch (daher der letzte Monolog besonders schön). Die Mordgedanken schienen aufgehellt – aber in wirksamen Gegensatz zur Grace Bumbrys Lady gestellt, so daß auch das große Duett im 1. Akt seine dramatische Spannung bekam. Daß Fischer-Dieskaus Stimme von Natur aus nicht italienisch ist, auch die durchdringende Kraft nicht hat, ersetzte der Künstler durch um so intensiveres Spiel. Nur um eines ist uns etwas bang: ob diese schöne Stimme auf die Dauer so große Kraftproben aushält und den Lieder-, den Schubertklang nicht einbüßt?.

Die ganze Macht eines tiefen Basses hatte Peter Lagger (Banquo) zur Verfügung, wie Erz dröhnte diese schöne Stimme; Metall hat auch Ermanno Lorenzis Tenor (Macduff), der sich zum Siegesfinale bestens mit dem Tenor Francisco Lazaros (Malcolm) und dem Chor zusammenfand.

Dieser durch einen Salzburger Kammerchor verstärkte Chor der Wiener Staatsoper hatte für die Hexen genug an grellem Mischklang, für den espressiven Chor der schottischen Flüchtlinge ebenso genug Volumen, nur daß gerade an dieser Stelle Wolfgang Sawallisch dem Orchester die Hauptsprache zuerkannte. Man weiß doch, daß ein paar Holzbläser, die Singstimmen mitspielen, die Stimme geradezu absorbieren. Sonst sorgte dieser Dirigent für dramatische Spannung, für heftige Akzente und bewegte Tempi. Das eigentliche Verdische Feuer blieb im Orchester dort aus, wo die Singstimmen allein Träger des melodischen Impulses sind, das Orchester in scheinbar einfachen Begleitrhythmen agiert.

Teo Otto hatte die kleinen szenischen Einfügungen in das grandiose Naturbauwerk entworfen und war auch in der Kostümwahl besonders glücklich: das Bankett, hinter einem "Vorhang" von Fackelträgern bereitet, war ein optischer Höhepunkt von Kostüm und Regie. Der zum Angriff anrollende "Wald von Birnam" (großartig mit dem Fugato des Orchesters korrespondierend) fand eine unheimliche, ganz der Hexenweissagung entsprungene Lösung.

Das Festspielpublikum war von Spiel und Gesang hingerissen, Grace Bumbry und Fischer-Dieskau wurden mit Recht besonders gefeiert. Und die alte Streitfrage, ob Verdi in Salzburg oder nicht, hat wieder ein überzeugendes "Ja" mehr bekommen.

Ludwig Wismeyer

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     Oper und Konzert, München, 20. September 1964     

    

Macbeth

Felsenreitschule

    

"Macbeth" ist ein Frühwerk - aber was für ein Wurf!

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Oskar Fritz Schuh gelang das unmöglich Erscheinende: Shakespeare und Verdi zu inszenieren. Die effektvolle Operngeste, das grandiose Bankettarrangement, die massierten Chöre, das Erscheinen Banquos verbinden sich kunstvoll mit der psychologischen Personenführung. Die großen Monologe Macbeth’s hat man auch von bedeutenden Schauspielern kaum je so dichterisch-bildhaft erlebt wie hier. Und wie triumphierte Herr Schuh über die Breitleinwandbühne der Felsenreitschule, wie bezog er die Weite und die Bogengänge ins Spiel ein, ohne in dekorative Aufmärsche und leeren Prunk zu verfallen! Wer hat den schwierigen Auftritt der Krieger als lebendiger Wald von Birnam je so packend gestaltet wie dieser Meister der Regie? Teo Otto schuf eine Szenerie, die organisch aus Felsen und Arkaden herauswuchs. Die abstrakt-malerischen Projektionen auf den Felswänden verdichteten die Atmosphäre ungemein: blutgetränkte Erde Schottlands, das moosgrüne Felsgezack der Hexenszenen.

Dominierend auf der Bühne Dietrich Fischer-Dieskau als Macbeth. Er war Shakespeares ehrgeiziger Usurpator und sang Verdi, schloß nicht nur in den dramatischen Monologen und Duetten, sondern auch in den Kantilenen ungeahnte Dimensionen auf. Vielleicht gab er manchmal, in seinem Willen zur tiefschürfenden Gestaltung, dem natürlichen Fluß des Melos nicht genügend nach; er phrasiert sehr differenziert, überbetont gern dynamische Nuancen. Aber über solche Einwendungen trägt immer wieder seine kraftvolle, immer kultivierte Stimme hinweg, die den weiten Raum mühelos füllte. Grace Bumbry erfüllt mit ihrer weittragenden Stimme - ihr Fortissimo ist phänomenal - das Affettuose wie das Bravouröse dieser vielleicht schwierigsten Verdi-Partie, hat Töne von blendender Leuchtkraft, kennt selbst in den extremen Höhen kaum Schwierigkeiten (hohes Des in der Nachtwandlerszene). Ob auch ihre Darstellung den Beifall Verdis gefunden hätte, erscheint dem Rezensenten zweifelhaft. Frau Bumbrys Lady ist keine Ausgeburt des Bösen, wird kaum von Ehrgeiz und Gier geschüttelt und ihre große Schlußszene ist nicht das letzte Aufbäumen eines verwüsteten Dämons. Verdi wollte die Lady von einem häßlichen Sopran gespielt wissen - heute erkennen wir, daß von der Lady zum buckligen Rigoletto mancher Faden sich spinnt - aber Frau Bumbry besitzt das hübsche Gesicht einer Farbigen und ist von der Maske her weder hart noch kalt, beherrscht ihre Mimik viel weniger als ihre Stimme, die über zahlreiche Schattierungen verfügt. Von dem erregenden Drama spiegelt sich fast nichts in ihrem Antlitz, und über das dekorative Raffen ihrer prachtvollen Roben hinaus dringt sie kaum zur dämonischen Besessenheit der Lady vor.

Peter Lagger überzeugte als Banquo mehr durch seine stimmlichen Mittel als durch Gestaltung; seine sehr breit geführte Stimme ist dem Gesetz des Belcanto verpflichtet. Für Macduff und Malcolm hätte man in Salzburg bessere Tenöre als den ungewöhnlich hell timbrierten Ermanno Lorenzi und den kaum zu vernehmenden Francisco Lazaro erwartet. Einen großen, begeisternden Eindruck vermittelte der Chor der Wiener Staatsoper. Vor allem der Flüchtlingsgesang, einer der bedeutendsten Einfälle der Partitur, war ergreifend und von vorzüglicher homogener Klangqualität.

Wann hört man schon nördlich der Alpen einen so präzisen Verdi mit den berühmten Secco-Schlägen, temperamentstrotzenden Fortissimo-Ausbrüchen neben hauchzarten Piani? Wolfgang Sawallischs Operndebüt in Salzburg bewies einmal mehr, daß er in seiner Dirigentengeneration keinen Konkurrenten zu fürchten hat. Mit den Wiener Philharmonikern - was für ein Orchester! - holte er das Erregende der Partitur, die geheimnisvollen Farben, die subtile Rhythmik, grandios heraus.

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Dr. Klaus Adam

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     Kölner Rundschau, 11. August 1964     

    

Verdis Shakespeare

"Macbeth" in der Salzburger Felsenreitschule

    

Verdis "Macbeth" in der Felsenreitschule – das war der zumindest vorläufige Höhepunkt der diesjährigen Salzburger Festspiele, die sich überhaupt anschicken, besser zu sein als ihr Ruf. Ob das ein Zufall ist, soll hier nicht untersucht werden, denn in den effektiven fünf Festspielwochen zählt nur das Ergebnis, aber was den "Macbeth" betrifft, so war immerhin schon seine Planung eine bemerkenswerte Tat.

Um den Salzburger "Troubadour", ein Lieblingskind Karajans, zu "legalisieren", nahm der Festspielpräsident vor zwei Jahren seine Zuflucht zu der obskuren Begründung, Verdis frühe Opern seien ja noch im alten, weit nach Italien hineinreichenden Österreich entstanden. Das Salzburger Heimatrecht des jetzt zur Debatte stehenden Werks ist auf so fragwürdige Motivierung nicht angewiesen.

Es ist richtig, daß die erste Fassung der Oper lange vor dem "Rigoletto", also in einer Zeit entstand, die man als "Mauserepoche" Verdis zu bezeichnen pflegt, und in die zahlreiche, zum Teil wirklich noch sehr konventionelle Gelegenheitsarbeiten fielen. Auch der "Macbeth" war sogar "nur" eine Auftragsarbeit, und zwar zweimal: zunächst für Florenz, fast 20 Jahre später in einer ausgereiften zweiten Fassung, an die man sich in Salzburg hielt, für Paris.

Aber diese Oper hat schon in ihrer ursprünglichen Gestalt – und natürlich erst recht in der späteren – jeden konventionellen Rahmen gesprengt. Sie war und ist Verdis erstes eminent psychologisch angelegtes Musikdrama: Gerade das stand ihrem Durchbruch anfangs im Wege …

Piave hat sich bei Abfassung des Librettos zwar genau an Verdis Wünsche gehalten: "Knapp, kurz, denke daran, daß in den Versen kein unnötiges Wort stehen darf!"

Oskar Fritz Schuh, mit der Felsenreitschule und dem ihm nicht zum erstenmal unter die Hand gekommenen Werk von Grund auf vertraut, hat hier seine vielleicht seit Jahren beste Inszenierung geliefert:

Solistenführung zwischen Operngeist und angedeutetem Realismus, Chöre als Tableaux zur Flächengliederung der Riesenbühne und in kleineren Gruppen als Treibhauspflanzen der spukhaften Shakespeare-Landschaft, die Arkaden nur am Anfang und am Schluß für Aufmärsche, ansonsten ausgespart für den gespenstischen Beginn der Schlafwandlerszene. Teo Otto hat keine Kulissen bemalt, nur zwei Felsbrocken und eine Treppe hingesetzt, für das Bankett transportable Tische offen zusammenbauen lassen und auf die Arkadenfront dreimal ein Gerinnsel aus "Blut und Tränen" projiziert. Ein unheimlicher Effekt.

Großartig in jeder Beziehung, auch als Darsteller diesmal: Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelrolle. Eine Spur zu "schön" im Gesang und zu opernhaft-leer im Spiel: die gleichwohl imposante Grace Bumbry. Prachtvoll Peter Lagger als Banquo. Und dazu dirigierte Wolfgang Sawallisch unerhört echten, ganz italienischen Verdi.

Manfred Vogel

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