Zum Opernabend am 17. Juli 1965 in München

     Süddeutsche  Zeitung, 19. Juli 1965     

Münchner Festspiele

Arabellissima

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Vollkommene Interpretation

Es mag nicht allzu selten sein, daß eine bestimmte Opernpartie eine schlechthin ideale Interpretation findet. Daß zwei Hauptrollen unvergleichlich gut besetzt sind, ist schon weit seltener. Daß aber von fünf Hauptrollen vier und von sechs Charakterrollen fünf schier unübertrefflich gelingen, ist eine Rarität sondergleichen. Das Elternpaar Ira Malaniuk und Karl Christian Kohn sucht seit langem seinesgleichen, wobei die Figur des Herunterkömmlings durch spielerische Diskretion gegenüber früher noch entscheidend gewann. Man kann sich drei der vier Verehrer Arabellas kaum noch anders vorstellen als in der Verkörperung durch Georg Paskuda, Fritz Uhl und Carl Hoppe. (Den blutjungen Grafen Lamoral Bernhard Henningers empfindet man noch als Eindringling, weil er nicht "ist", sondern etwas sein möchte.) Cäcilie Reich wirkt als Kartenaufschlägerin ebenso vertraut wie Eva Maria Rogner als Fiakermilli, eine Rolle, die für sie geschrieben sein könnte, wenn es nicht die unglücklichste aller Straussischen Bühnenfiguren wäre.

Die tiefste Reverenz jedoch muß Dietrich Fischer-Dieskau und Lisa Della Casa erwiesen werden. Beide haben jetzt eine Beseelung ihrer Rollen erreicht, die noch zu steigern unmöglich scheint. Das Schicksalsmächtige ihrer Begegnung, die der dümmlichste aller mühsam herangeholten Einfälle herbeiführt, ist nun bei Arabella wie bei Mandryka noch vor dem ersten wirklichen Zusammentreffen spürbar. Beide Künstler singen nicht nur Strauss - und wie sie ihn singen! - sondern spielen zugleich einen exemplarischen Hofmannsthal mit jenem Gran pretiöser Exaltation, die ihren Rollen wohl ansteht, nicht anders als das Clairobscure der Reife, das über der ganzen nuancierten Ausgestaltung liegt. Der Welt der Marschallin ist Lisa Della Casa mit jedem Jahr der Wiederbegegnung näher und näher gekommen. Ihre Arabella ist und bleibt nicht anders als Fischer-Dieskaus Mandryka ein Stück unwiederholbarer Operngeschichte im Kapitel Richard Strauss.

Walter Panofsky

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     Süddeutsche Zeitung, 19. Juli 1965    

Arabella begrüßt die Festsspielgäste

Mit einer Strauss-Premiere beginnt heute die Münchner Festspielzeit / Ansturm auf Karten wie noch nie.

 

Im Nationaltheater werden heute abend die Münchner Festspiele 1985 mit der Premiere der neueinstudierten Oper "Arabella" von Richard Strauss eröffnet. In der  Stadt verweisen Plakate, Sängerphotos und wehende Fahnen auf die große sommerliche Festsaison im Nationaltheater und Cuvilliéstheater. Je zwanzig Vorstellungen werden während der nächsten vier Wochen in beiden Häusern gegeben [...]

Die Arabella ist seit dreizehn Jahren eine Perle innerhalb der Münchner Festspiele. Das Sängerensemble mit Lisa della Casa und Dietrich Fischer-Dieskau in den Hauptpartien bleibt auch bei Hartmanns Neueinstudierung das gleiche. Nur singt jetzt anstelle der durch Salzburger Verpflichtungen verhinderten Anneliese Rothenberger .Joan Carlyle (London) die Zdenka. Sie gehört zu den berühmtesten Solistinnen der Coventgarden Opera und hat die Partie kürzlich bereits bei Hartmanns Londoner Arabella-Inszenierung mit den oben genannten Partnern erfolgreich übernommen. "Eine Münchner Neuinszenierung war jetzt dringend notwendig, ganz besonders in Hinsicht auf die dekorativen und kostümlichen Bestandteile, die wir ja noch aus dem Prinzregententheater übernommen und zuletzt nur noch mit Mühe zusammengehalten hatten," sagt Hartmann. Das neue Bühnenbild stammt von Herbert Kern, der bereits für seine Ausstattung von Capriccio höchstes ,Lob geerntet hat. Erstmals für eine Münchner Bühne entwarf der international bekannte Modeschöpfer Fred Adlmüller die Kostüme. Die Kleider für Lisa della Casa und Ira Malaniuk sind auch im Atelier Adlmüller angefertigt worden.

"Es mußten innerhalb des neuen Bühnenbildes natürlich auch die szenischen Umarrengements stattfinden", sagt Hartmann. "Speziell der zweite Akt, die Ballszene, wurde gänzlich verändert." Auch der dritte Akt habe erhebliche Veränderungen erfahren, während sich eine szenische Umformung des ersten Aktes größtenteils erübrigt habe und eher gewaltsam erschienen wäre. Insgesamt sei die neue Arabella nun optisch "sehr viel heller und lichter" geworden.

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Charlotte Nennecke


     Münchner Merkur, Datum unbekannt     

Eröffnung der Münchner Opernfestspiele

Die hinreißende Arabella

Seit Jahren ist "Arabella" eines der beliebtesten Werke der Münchner Opernfestspiele, ein, wie die Engländer sagen, Piece in vogue. Ihre Beliebtheit beruhte nicht zuletzt auf dem Glücksfall einer wahren Idealbesetzung mit Lisa Della Casa, Anneliese Rothenberger und Fischer-Dieskau, fußte aber auch darauf, daß man sich hier einem eingängigen Werk, das die Gefühle leicht in Wallung bringt, ohne sie allzu tief zu erschüttern, und einer wohlklingenden, jederzeit verständlichen Musik hingeben konnte, sich dabei aber immer auf hohem Kulturparnaß wähnte, für den ja die Namen Hofmannsthal und Richard Strauss einstanden.

Wenn jetzt "Arabella" zur Eröffnung der Festspiele neueinstudiert wurde mit der fast gleichen Besetzung und demselben Dirigenten und Regisseur wie in den letzten Jahren, so hat dies zunächst sicher praktische Gründe - den natürlichen Verschleiß einer seit dreizehn Jahren laufenden Aufführung - und entspringt wohl erst in zweiter Linie dem Wunsch nach einer neuen Deutung.

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So begrüßen wir auch diesmal wieder die vertrauten Schauplätze, die anheimelnde, schon nicht mehr ganz geschmackssichere Atmosphäre um 1860 in einem Wiener Stadthotel und dem Vorraum eines Ballsaales. Hatte Helmut Jürgens in der vorigen Inszenierung selbst hier noch eine gewisse Strenge walten lassen, so gibt sich Herbert Kern salopper, wienerischer.

"Arabella" ist natürlich auch ein großes Schautheater, die diversen Toiletten der Damen sind gewichtige Mitspieler. Wenn sie diesmal ein Muster an Delikatesse und Geschmack waren, ist das einem reizvollen Einfall Rudolf Hartmanns zuzuschreiben: er verpflichtete den Wiener Couturier W.F. Adlmüller (damit dem Beispiel Diaghilews folgend, der bereits in den zwanziger Jahren Coco Chanel engagierte).

Rudolf Hartmann hat als Strauss-Spezialist internationalen Ruf; er verdiente sich ja die Sporen bei keinem Geringeren als bei Strauss selbst. Wir sind bei ihm in jedem Fall der Atmosphäre und des szenischen Grundakkordes eines Stückes sicher. Auch diesmal entfaltet sich das für die Kulinariker unter den Opernbesuchern so betörende "Arabella"-Parfüm, gemischt aus Charme, erotischem Knistern und dem Moschus verfallender Kultur.

Es gibt allerdings Schwächen in der dramaturgischen Anlage des Werkes, etwa die vom Lärm aufgescheuchten Hotelgäste, die, ohne in die Handlung einzugreifen, ohne musikalisches Profil zu haben und ohne auch nur einen kernigen Farbfleck zu setzen, lediglich Sand im Getriebe sind und eben dies auch in Hartmanns Regie bleiben. Die Konversationsszenen, vor allem die zwischen Waldner und Mandryka im ersten Akt, gelingen meisterhaft. Hier sind natürlich die Leistungen des Regisseurs Hartmann und die seiner Spitzendarsteller, die die Rollen ja meist schon ungezählte Male gesungen haben, kaum noch auseinanderzuhalten.

Lisa Della Casa ist längst zum Image der Arabella geworden; wer an die Rolle denkt, denkt an sie. Es ist müßig, aufzurechnen, wieviel Anteil an ihrer Arabella ihre Kultiviertheit, ihr Charme, ihre Schönheit, ihre Intelligenz und ihre Stimme (die sie allerdings an diesem Abend manchmal auffallend zurückhielt) haben. Das Entzücken des Zuschauers beruht ja gerade darauf, daß sich dies alles als Einheit, eben als Arabella, präsentiert. Sie weiß es und sie genießt es, so wie ja auch Arabella durchaus nicht ohne Koketterie ist, ohne deshalb an Zauber zu verlieren.

Fischer-Dieskau ist geradezu der Idealtyp des Mandryka, der genau die Kraft und die Wärme ausstrahlt, die Arabellas Stolz beim ersten Anblick schmelzen. Sosehr er rein äußerlich ein Mandryka ist, sowenig verläßt er sich auf diesen Quasi-Naturalismus. Es macht ja erst die außergewöhnliche Stellung dieses Sängers aus, für die es keinen Vergleich gibt, daß er mit einer kaum vorstellbaren künstlerischen Bewußtheit die Struktur einer Rolle erkennt, bei ihrem Zergliedern jeden Schritt, jeden Blick, die winzigste Bewegung mit intellektueller Kühle berechnet und sie auf höchster Ebene einer zweiten Spontaneität zuführt.

Die einzige tragende Rolle, die neubesetzt ist, ist die Zdenka, in der nun Joan Carlyle an die Stelle von Anneliese Rothenberger tritt. Joan Carlyle gibt diese Hosenrolle - sie war ja ursprünglich (in Hofmannsthals Novelle) die eigentliche Hauptfigur und wurde erst wegen ihrer allzu großen Ähnlichkeit mit dem Rosenkavalier stark gekürzt - als ein kleines, agiles Persönchen von vibrierender Nervosität und jugendlicher Heftigkeit des Gefühls, allerdings ohne den diese heikle Rolle so natürlich wirken lassenden bubenhaften Charme der Rothenberger. Ihr Sopran, der sich hier ständig in extrem hohen Lagen bewegen muß, ist von strahlender Helle und großer Tragkraft, im Piano auch von lyrischem Schmelz.

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Auch im Orchester wird Komödie gespielt. Joseph Keilberth findet genau die richtige Mitte zwischen dem inneren Fließen der Musik und ihrer Wortgebundenheit, gibt den ungezählten kleinen Motiven, Floskeln und den witzigen Instrumentationsspielereien, kurz dem, was gelegentlich als "Musik in Prosa" bezeichnet wurde, Deutlichkeit und Geschmeidigkeit, ohne über dem charakterisierenden Detail den typisch Strauss’schen Elan und die Linie zu vernachlässigen. Wo sich andererseits der oft allzu glatte Schönschwung der Lyrik breitmacht, läßt Keilberth ihn nicht über Gebühr ausufern, bleibt präzise und musikalisch.
Festspielstimmung im Hause, Festspielbeifall.

Helmut Schmidt-Garre





 

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