Zum Konzert am 18. Februar 1966 in Berlin


Berliner Morgenpost, 20. Februar 1966 

Preußische Strenge

Musik des 20. Jahrhunderts’ am Kemperplatz

In der Konzertreihe "Musik des 20. Jahrhunderts" wurden bei den Philharmonikern drei grundverschiedene Werke zu Gehör gebracht.

Als Auftakt erklang das vor vierzig Jahren geschriebene Kammerkonzert von Alban Berg, eine großartige Partitur, ebenso logisch in der Konstruktion wie dicht und beredt im Ausdruck. [...]

Es folgte jene unvollendet gebliebene "Gesangsszene", die Karl Amadeus Hartmann auf einen Text aus "Sodom und Gomorrha" von Giraudoux geschrieben hat. Wenn auch diese Worte, die Dietrich Fischer-Dieskau ebenso virtuos wie passioniert vortrug, nicht unbedingt für eine musikalische Ausdeutung bestimmt sein dürften, so ist es doch erklärlich, daß Hartmann sie zum Vorwand eindringlicher Klangmalereien genommen hat. Er war ja ein engagierter Mahner und wollte die gedankenlose, blinde Zeit wachrütteln und sehend machen. Daher wurde er gefesselt von Giraudoux’ apokalyptischer Vision der Katastrophenheimsuchung, ja Vernichtung der vermessenen Menschheit, die durch die Schreckensboten des Jüngsten Gerichts, durch Krieg, Hunger, Seuchen und Tod ausgetilgt, zumindest aber dezimiert wird.

Nach diesem lautstarken Appell an das Gewissen der Zuhörer hatte Werner Egk mit seiner "Orchestersonate" keinen ganz leichten Stand. Ihre Lyrik mutet an wie der zweite Aufguß des "Peer Gynt", aus den schroffen, raffiniert gesteuerten Rhythmen aber klingt der "Abraxas" wider.

Natürlich sorgte der Komponist dafür, daß diese Partitur, die übrigens viel betagter wirkt als sie ist, eine kurzweilige, zündende Wiedergabe erfuhr und die Schleusen für den Schlußbeifall, der neben Egk besonders den Philharmonikern galt, weit öffnete.

Rudolf Bauer


Der Tagesspiegel, Berlin, 20. Februar 1966     

   

K. A. Hartmanns letztes Werk

Werner Egk dirigierte das Philharmonische Orchester

    

Karl Amadeus Hartmanns letztes, unvollendetes Werk stand im Mittelpunkt eines Philharmoniker-Konzertes in der Reihe "Musik des zwanzigsten Jahrhunderts", das von Werner Egk geleitet wurde; Vermächtnis eines Musikers, der stets Ohr und Sprache für die Fragen und Nöte seiner Zeit hatte, eines Künstlers, der von der verkündenden, helfenden und mahnenden Verpflichtung der Kunst überzeugt war. Die Gesangsszene für Bariton und Orchester zu Worten aus "Sodom und Gomorrha" von Jean Giraudoux ist eine letzte Konzentration dessen, was Hartmanns Musik stets in sich faßte: ein gedrängtes Übermaß an Klang, Kolorit, harmonischer Intensität, leidenschaftlicher, vor brutalen Exzessen nicht zurückschreckender Expression. Aus einem Flötensolo, einem Vogellied, entwickelt sich ein vielstimmiges orchestrales Geschehen, das vibrierende Streicherfülle mit harter Bläserenergie, mit donnernden und funkelnden Exzessen von Pauken und Trommeln, von Glockenspiel und Vibraphon kombiniert; das alles untergeordnet einer Gesangsstimme, die, rezitierend und kantabel ausschweifend, von der orchestralen Klangmasse getragen und gegen sie ankämpfend, den Text des Dichters Giraudoux deklamiert. Dieser Text spricht keineswegs von den Gefahren der äußeren Gewalten, die der Zeit drohen; er spricht von dem inneren Übel des Überflusses und des Überdrusses, von der Perversion des Guten, von der Sünde, die den Reichtum in Hunger und Schande, das Leben in Tod verwandelt. Dietrich Fischer-Dieskau fand im Gesangspart des Werkes eine Aufgabe, die alle Kräfte seiner unvergleichlichen, ursprünglichen Begabung ins Spiel setzte; Wort und Melos mit klärender Intelligenz durchdringend, extreme Stimmlagen meisternd, die Hörer mit einem Höchstmaß an Expression attackierend, die letzten, von Hartmann nicht mehr komponierten Textzeilen mit bezwingender Schlichtheit als Sprecher anfügend, war er Verkünder, stimm- und sprachgewaltiger Prophet, dem die Begeisterung der Philharmonischen Runde mit langem, stürmischem Beifall antwortete.

[...]

Oe.

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