Zum Liederabend am 22. Februar 1966 in Wien


Die Presse, Wien, 24. Februar 1966

Spröde Romantik

Fischer-Dieskau sang "Die schöne Magelone" im Konzerthaus

Dietrich Fischer-Dieskau gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten Liedsängern unserer Zeit. Dies läßt sich unter anderem auch daran ablesen, daß er in den letzten Jahren merkbare Schwierigkeiten bei der Interpretation besonders populärer Lieder oder Lied-Zyklen nicht ganz verheimlichen kann und einige Male in seiner Anstrengung, nun noch mehr zu geben, die Grenzen zum Manierismus bereits überschritten hat – wer immer wieder den Vergleich mit seinen eigenen Höchstleistungen anzutreten hat, hat es schwerer als einer, der auf dem Weg zur Vollkommenheit noch lange nicht am Ziel ist.

Im Großen Konzerthaussaal sang Fischer-Dieskau diesmal die 15 Romanzen von Johannes Brahms aus Ludwig Tiecks "Wundersamer Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter aus der Provence". Ein interessantes, jedoch keineswegs über jede Kritik erhabenes Werk: Alfred Einstein kreidet Tieck an, er hätte Erzählung und Romanzen in einem "verlogenen und künstlich altdeutschen Stil" gehalten und meint von Brahms, dieser ginge in seinem Verhältnis zum Text eher auf die Entwicklungsstufe vor Schubert zurück, wahre immer das Übergewicht der Musik. Andere wieder finden einfach, Brahms hätte mit einzelnen Liedern und den "Vier ernsten Gesängen" in sich geschlossenere und überzeugendere Kunstwerke geschaffen, als mit dem stürmend romantischen Lied- und Romanzenzyklus.

Die oben angedeutete Gefahr, in Manierismus zu verfallen, war diesmal für Fischer-Dieskau nicht gegeben. Der Sänger überwand eine leise Indisposition und die Schwierigkeiten des Werkes selbst, war großartig, leidenschaftlich, überzeugend. Gemeinsam mit dem Pianisten Karl Engel warb er für den diesmal spröden Komponisten und gewann. Die erste der zahlreich erbetenen Zugaben aber überzeugte mehr. Sie war ein Lied von Johannes Brahms...

Franz Endler

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