Zum Konzert am 22. April 1966 in München


Süddeutsche Zeitung, 25. April 1966

Lied von der Erde

Ein Münchner Mahler-Konzert mit den Bamberger Symphonikern

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Joseph Keilberth, wieder einmal an der Spitze der ihm aus früherer gemeinsamer Tätigkeit in Prag so vertrauten Bamberger Symphoniker im Kongreßsaal des Deutschen Museums konzertierend, hat aus der stimmpsychologischen Struktur des "Liedes von der Erde" die Konsequenz gezogen und dem Tenor keine Altistin, sondern den Bariton zugesellt: Neben Ernst Haefliger stand Dietrich Fischer-Dieskau auf dem Podium - als Mahler-Sänger hatte ihn einst Furtwängler mit den "Liedern eines fahrenden Gesellen" in ganz jungen Jahren vorgestellt. Kann man die Ausdruckswelt des späten Mahler mit ihren Spannungen zwischen inbrünstiger Lebensfrömmigkeit ("O Schönheit, o ewigen Liebens, Lebens trunk’ne Welt") und beinahe fatalistischer Resignation ("Wenn nur ein Traum das Leben ist, warum dann Müh’ und Plag?") tiefer ausschöpfen als mit zwei so charakteristischen Stimmen?

Zwar wird ein lyrischer Tenor die aggressive Bitterkeit und Empörung gegen die Dunkelheit von Leben und Tod im "Trinklied vom Jammer der Erde" immer bis zu einem gewissen Grad forcieren müssen - so auch Haefliger; um so mehr lagen ihm dann die zierlich elegante Schilderung der im Porzellanpavillon trinkenden und dichtenden Freunde und die halb zynische, halb joviale Selbstironie des mit dem Vogel plaudernden Trunkenen im Frühling. Fischer-Dieskau war ebenso suggestiv im Ausdruck müder, stiller Ergebenheit wie aufgewühlter Melancholie, großartig in den Ausbrüchen schmerzlicher Überwältigung; und jenes Versinken, ja Untergehen im nie endenden Strom des Lebens (mit dem siebenmal wiederholten "ewig" ganz am Schluß) - wer könnte allein mit dem verhauchenden Stimmklang so den Schleier des Mysteriums darüberlegen wie er? Feuer, Temperament und lyrische Entzücktheit durchströmten den "Bericht" von den blumenpflückenden Mädchen und rossetummelnden Knaben und machten das zauberhaft pentatonisch exotisierende Stück ("Von der Schönheit") zu einer besonderen Kostbarkeit.

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K. H. Ruppel


Münchner Merkur, 25. April 1966     

    

Dietrich Fischer-Dieskau singt ein glanzvolles "Lied von der Erde"

    

Die Faszination ging beim Konzert der "Bamberger Symphoniker" von den Gesangssolisten Ernst Haefliger und Fischer-Dieskau, aus. In Mahlers "Lied von der Erde" ergänzten sie sich vorbildlich, hier vereinten sich höchste Gesangskunst und überlegene Intelligenz der Gestaltung; und an Haefliger und Fischer-Dieskau entzündete sich zum Schluß der große Publikumsbeifall.

Zuvor allerdings ging es etwas gemächlicher zu. Beethovens "Erste" diente gewissermaßen zum Einspielen und für manchen Besucher auch zum Einhören, denn der Kongreßsaal hat seine Tücken. Hier seien die Eindrücke von einem Platz erster Qualität (vierte Reihe rechts, Nr. 10) mitgeteilt. Auf ihm nämlich verschmolz das Orchester nicht zu einem homogenen Klang, sondern man hörte Bässe, Bratschen und die meisten Bläser kräftig und deutlich, die Geigen hingegen schwach und wie aus der Ferne.

Joseph Keilberth wählte gute Tempi, machte keine unmotivierten Ritardandi; und natürlich hat er, was bei einem Dirigenten seines Rangs selbstverständlich ist, das Orchester fest in der Hand. Da aber der Klang, wie gesagt, nicht homogen, ja überhaupt wenig differenziert wirkte, fing man an, die Zeichengebung des Dirigenten zu beobachten, ob sie etwas andeutete, was auf diesem Platz vielleicht nicht ankam. Aber auch hier ließ sich nichts feststellen, was außer Tempo, Einsätzen und gelegentlichen Temperaments-Akzenten irgendwie auf klangliche Differenzierung oder rhythmische Feinheiten hätte deuten lassen.

Dies alles wurde mit einemmal anders, als Ernst Haefliger das "Trinklied vom Jammer der Erde" so intensiv und mit solch ekstatischem Schwung förmlich herausschleuderte, daß plötzlich auch das Orchester Temperament entfaltete und sein Klang zu glühen begann. Ebenso überzeugend wie die Wucht des Trinklieds traf er dann die Lockerheit des "Mitten in dem kleinen Teiche", bei dem er durch sein diskretes Stakkato jede Banalität bannte, und den aus Verzweiflung geborenen Übermut des "Trunkenen im Frühling".

Mahlers "Lied von der Erde" ist das Opus metaphysicum aller Reizempfänglichen, in dem sich die Geistigkeit des verfallenden Österreich, Novalis’sche Todestrunkenheit, Wunderhorn-Einfachheit (oder richtiger die Sehnsucht danach) und romantisch-jugendstilhafte All-Hingabe vereinen.

Die Texte stammen von uralten und urweisen chinesischen Dichtern, deren Hinwendung zum Diesseits die Angst vor der Vernichtung zu betäuben sucht. Für die Interpretation hat Mahler einen Tenor und einen Alt vorgeschrieben; und seit der Münchner Uraufführung unter Bruno Walter haben die großen Altistinnen wie die Cahier, Onegin, Olszewska diesen Part als eine ihrer schönsten Aufgaben angesehen.

Diesmal machte Fischer-Dieskau von der von Mahler vorgesehenen Alternativlösung der Wiedergabe durch einen Bariton Gebrauch. Möglicherweise geschieht dies zum erstenmal, jedenfalls wurde uns kein anderer Fall bekannt. Ein Alt ist vielleicht in landläufigen Aufführungen, schon aus Gründen des Klangkontrastes, vorzuziehen. Aber ein Sänger vom Rang Fischer-Dieskaus setzt solche Gesetze außer Kraft.

In immer neuen Schönheiten, in ätherischen Zartheiten und dann wieder schwellenden kantablen Bögen entfaltet sich die kostbare Stimme. Ihr Reichtum an Nuancen, die Vielfalt der Färbungen scheint unerschöpflich. Da trifft er eine klangvolle Fahlheit, wenn er von Herbstnebel und dem müden, einsamen Herzen singt; mit hinreißendem Schwung kommt das Intermezzo "Von der Schönheit", und der "Abschied" wird zum magischen, widerstandslosen, fast wohligen Gleiten ins Dunkle, Geheimnisvolle, Unsagbare.

Helmut Schmidt-Garre


   

     Oper und Konzert, München, Datum unbekannt     

   

Konzert der Bamberger Symphoniker

Deutsches Museum

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Bei Mahlers "Lied von der Erde" zeigten sich die Mitwirkenden verwandelt. Das Werk schien die Ausführenden zu inspirieren. Das mag zunächst paradox klingen, doch gibt es kaum eine Komposition von Mahler, in der Wollen und Gelingen so zur Deckung gelangen, in dem der "Plan" so wenig fühlbar wird wie in dieser an der Grenze alles Irdischen stehenden Kantate, in der Mahler, angefangen von der herabstürzenden Thematik des Trinkliedes über den anfänglich prickelnden, dann immer ruhiger werdenden Rhythmus des Liedes von der Jugend bis zum weit ausschwingenden "Ewig, ewig" des Schlußgesangs der menschlichen Vergänglichkeit ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat. Joseph Keilberth bewies seine Einfühlungsgabe für die Spätromantik. Er ging in der Musik auf und riß auch das Orchester häufig zu hingebendem Spiel mit. Die beiden Solisten des Abends boten, jeder auf seine Art, Vollkommenheit: Ernst Haefliger mit der Überzeugungskraft eines Propheten das Dichterwort verkündend, Dietrich Fischer-Dieskau in makelloser Schönheit ganz den weiten Raum durchmessend, den Text und Musik dem Interpreten gesteckt haben.

Dr. Wolfgang Eberl


   

     Zeitung und Datum unbekannt     

   

Bamberger Symphoniker unter Joseph Keilberth

Das Lied von der Erde

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Als Gustav Mahler sein "Lied von der Erde" schrieb, schienen die Künstler der Schönheit müde geworden zu sein, der sie seit Beginn der Kunst gelebt hatten. Sie sehnten sich in ihren Werken nach dem Sterben, und das natürlich auch in Schönheit, weil sie es nicht anders konnten. Vielleicht ahnten auch manche den nahen Krieg, der ihre Welt zum Einsturz bringen und eine neue, harte und fremde auferstehen lassen sollte.

Mahlers symphonischer Zyklus um Bethges Dichtungen "Die chinesische Flöte" für Orchester und zwei Solostimmen ist von einer ekstatischen Melancholie des Abschiednehmens erfüllt. Das Orchester leuchtet in herbstlichen Farben zu den bald meditativen, bald leidenschaftlich ausbrechenden Gesängen, die Dietrich Fischer-Dieskau und Ernst Haefliger in souveräner Weise interpretierten. Haefliger ergriff durch die außerordentliche Verdichtung seines differenzierten Ausdrucks, Fischer-Dieskau beeindruckte wie stets durch überlegene Gestaltung und Phrasierung. Keilberth dirigierte mit Sympathie für das Werk, abgerundet im Klang, maßvoll in den Affekten. Sänger, Dirigent und Orchester wurden lebhaft akklamiert.

A. M.

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