Zum Liederabend am 30. April 1966 in Nürnberg


Nürnberger Zeitung, 2. Mai 1966 

Der große Liedersänger Fischer-Dieskau

Er sang in der ausverkauften Meistersingerhalle in Nürnberg Beethoven-Lieder

Es ist immer wieder ein großes künstlerisches Ereignis, wenn Dietrich Fischer-Dieskau als Liedersänger auf dem Podium steht, denn es gibt kaum einen anderen Künstler unserer Zeit, der alle Vorzüge eines idealen Lieder-Interpreten so in sich vereint, wie es bei Fischer-Dieskau der Fall ist. Es ist sehr die Frage, ob es dieses Phänomen schon einmal gegeben hat. Dabei ist der Sänger keineswegs nur auf das Lied spezialisiert, er ist ein ebenso großer Opernsänger und genialer Rollengestalter.

Seine Vorzüge als Lied-Interpret: Da ist einmal die wunderbare Stimme, der vom zartesten Hauch bis zur Entfaltung der ganzen Kraft, die den weitesten Raum zu füllen vermag, alle Register in allen Schattierungen zur Verfügung stehen; da ist eine Gesangskultur, die bis in die feinsten Nuancen dem jeweiligen Ausdruck angepaßt ist; da ist eine Geistigkeit, die jedes Gedicht und jede Komposition in langen Ringen auslotet und eine Innerlichkeit, die Wort und Ton intuitiv nachempfindet und das Schöpferische nachvollzieht – und nicht zuletzt ist da eine tiefe Ehrfurcht vor der Kunst und vor dem Menschlichen in der Kunst, eine Ehrfurcht, die diesen Liedersänger bescheiden macht, ihn davor bewahrt, auf billigen Effekt hin zu singen oder auf dem Podium opernhaft zu werden.

Fischer-Dieskau füllte den ganzen Abend mit Beethoven-Liedern, die keineswegs alle so eingängig sind wie die romantischen Schubertlieder. Sie sind vielfach herber im Klangbild, wenn sie auch nicht weniger aus einem großen Herzen kommen.

Natürlich war es ein besonderes Erlebnis, die bekannteren Liedkompositionen Beethovens in edler Vollendung zu hören: die verströmende Arietta "In questa tomba oscura", den tief empfundenen Zyklus "An die ferne Geliebte", die herrliche "Adelaide" und zum Abschluß Mephistos köstlich-lustiges "Flohlied".

Wenig gesungen wird der Gellert-Zyklus, obwohl darin das machtvolle "Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" steht. Daneben stehen aber noch die stillen Kostbarkeiten "Die Liebe des Nächsten" und "Vom Tode". Nicht minder kostbar sind die Goethe-Lieder, u.a. "Wonne der Wehmut", "Mailied", "Neue Liebe, neues Leben".

Der epische Vortrag, verhalten im mezza voce oder gar pianissimo in einem melodischen Parlando gesungen, herrschte vor, füllte den Raum und die Herzen und hielt in Atem. All das ist in vielen Schattierungen geformt und bis ins Bildhafte charakterisiert. Nur bei wenigen Liedern ("Die Ehre Gottes" und "Gottes Macht") und an wenigen Liedstellen kam die Entfaltung der ganzen Kraft der Stimme.

Nicht vergessen sei Günther Weißenborns zu gedenken, der ein außerordentlich sensibler Begleiter war, mit dem Fischer-Dieskau brüderlich den Lorbeer teilte.

Die tiefbeeindruckten Besucher in der seit langem ausverkauften Meistersingerhalle applaudierten voll des Dankes und erreichten auch eine ganze Reihe von Zugaben.

Maximilian Spaeth

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