Zum Liederabend am 2. Mai 1966 in München


Süddeutsche Zeitung, 4. Mai 1966

Plädoyer für Beethoven

Dietrich Fischer-Dieskau im Münchner Herkulessaal

Diskussionsthema für die 999. Tagung der abendländischen Akademie zur Bekämpfung des Starkults: Welches Schicksal ereilt einen Abend, an dem ausschließlich Lieder von Beethoven gesungen werden, ohne daß ein zugkräftiger Name wie der Dietrich Fischer-Dieskaus auf den Plakaten prangt? Der Saal bliebe leer. "Nebenwerke" sind nicht gefragt. Die Schwänzer kämen sich obendrein als gewiegte Kenner vor, hat uns doch Seine Gestrengen, der musikalische Innerlichkeitspegelbestimmungsrat eingebläut, daß Beethoven als Vokalkomponist das Klassenziel nicht erreicht habe. Er dachte immer instrumental: ein einspuriges Genie. Hat denn auch seine Oper mehrmals umarbeiten müssen, und bei der Neunten, na ja, da war er schon taub.

Fischer-Dieskaus Plädoyer für den vokalen Beethoven, von einem profunden Programmheftaufsatz des gewissenhaften Sängers untermauert, statuierte im Herkulessaal das Exempel, daß das Schicksal mancher großen Musik heute allein in die Hände der großen Interpreten gelegt ist. Wer seine Stimme so handhabt, daß sie in einem Atemzug ein Dutzend Farben sprüht, vom schattenhaften Pianissimo ins Forte eilt und die Verstexte bis ins Detail auslotet, der rehabilitiert den Liederkomponisten an der Wende von der italienischen Arietta und dem Strophenlied zum romantischen Herzensbekenntnis. Fischer-Dieskau würdigte in überreich nuanciertem Espressivo die dem 18. Jahrhundert verpflichteten Gesänge: die Lieder-Predigten nach Gellert (Beethovens "protestantischste" Kompositionen), die Miniaturkantate der "Adelaide", die idealistisch-moralisierenden Lieder und die kernig-strophischen Goethe-Vertonungen, die zwar Goethes Wunsch nach einfacher Melodik entsprechen, ihm durch Reichtum der Pointierung und des Klaviersatzes aber doch ein Schnippchen schlagen. Genauso differenziert belebte Fischer-Dieskau den ersten Liederzyklus der anhebenden Romantilk "An die ferne Geliebte". Schumannesk sind dort Anfang und Schluß verklammert. Gute vierzig Jahre dachte Beethoven voraus. Und derlei rangiert unter Parerga und Paralipomena.

Beethovens Vokalsatz erschließt sich nur dem absoluten Stilgefühl. Daß Dietrich Fischer-Dieskau dessen mächtig ist, braucht nicht eigens gerühmt zu werden. Es ließe sich allenfalls anmerken, daß er die idealistische Geradlinigkeit der Beethovenschen Aufschwünge mit einigen Überdeutlichkeiten des Details belastet und die innige Einfachheit ein wenig intellektualisiert. Doch dann sang er, als das Publikum nicht weichen wollte, Beethovens "Ich liebe dich". Und er war die ergreifende Einfachheit in Person. Günther Weissenborn, der musikantische Begleiter, bezeugte seine Ehrfurcht vor Beethoven und Fischer-Dieskau unter anderem auch dadurch, daß er zuweilen etwas nervös wurde. Im Angesicht der Vollkommenheit eine sympathische Reaktion.

Karl Schumann


Münchner Merkur, Datum unbekannt     

   

Fischer-Dieskaus Beethoven-Abend

Es ist mir kein Liederprogramm in Erinnerung, das sich ausschließlich mit Beethovens Liedschaffen auseinandersetzte. Sagt man doch Beethoven schon lange nach, er habe nichts von der menschlichen Stimme verstanden (weshalb ihm Cherubini eine Gesangschule verehrt hat).

Dietrich Fischer-Dieskau wagte es (und wohl nur er darf es wagen), einen Abend lang nur Beethoven zu singen. Er machte aus diesem Programm eine hinreißende Verteidigungsrede für Beethoven, den Liedkomponisten. Nur ein Sänger von so disziplinierter Kenntnis dessen, was Melodie durch seine Stimme werden kann, nur ein Musiker von so intensivem Eindringen in das, was solche Melodie an Ausdruck enthält, darf solche Verteidigung übernehmen. Es wäre sonst wie bei einem Anwalt, der sein Gesetzbuch nicht in- und auswendig beherrscht, um einen verlorengegebenen Fall zu vertreten.

Da wurden Gellerts fromm-pathetische Gedichte allen Gehabes entkleidet, das zum Beispiel dem vielmalträtierten "Die Himmel rühmen..." angesungen wird: Schlichte, mahnende, bittende und betende Gesänge - aber mit so großer Innerlichkeit gesungen, daß man Fischer-Dieskau geradezu als Künder der Frömmigkeit begrüßen möchte. Überhaupt war es das Einfache, Schlichte, das Fischer-Dieskau diesmal in die lyrische Macht seiner makellosen Stimme zwang.

"Adelaide" ist eines der gefährlichen Beethoven-Lieder. Jeder sentimentale Drücker läßt Beethovens Melodik entgleisen. Fischer-Dieskau vermied diese Gefahr nicht nur, sondern er stellte ihr den milden Ton zarter Sehnsucht gegenüber, der - das beste, was man von einem Singen sagen kann - "nur" menschlich ist. In dem Zyklus "An die ferne Geliebte" fand der Sänger mühelos den Wechsel zwischen naiver Naturbetrachtung und Zärtlichkeit einer liebenden Seele, weshalb Bilder von mattschimmerndem Glanz entstanden. Nur ein höchst kultiviertes Mezza-Voce kann so verhalten und zugleich so innig froh oder herzlich flehend klingen.

Daß sich der Bariton Fischer-Dieskaus übrigens noch "gesetzt" hat, kommt der Ausdrucksskala der tieferen Lagen zugute. Zuletzt konnte der Sänger beweisen, daß er - der doch auch auf der Höhe seines Bühnenruhms steht - jenen Abstand zwischen Bühnen- und Lied-Dramatik weise zu halten versteht, der - einmal überschritten - auch einem Liedersänger Fischer-Dieskau gefährlich werden kann. Da ist - auch bei Goethes dramatisierender Lyrik - nichts von theatralischer sängerischer Geste zu spüren. Er verläßt sich ganz auf die Führung seiner Stimme und gewinnt jede Stimmung vom Schmerz der "Wonne der Wehmut" bis hin zur Groteske in "Mephistos Flohlied".

Am Flügel wußte Günther Weissenborn genau, was er dem Sänger und Beethoven schuldig ist. Und er verwechselte letzteren nirgends mit Schubert. Der Abend klang mit einem Jubel des Publikums aus.

Ludwig Wismeyer


   

     Oper und Konzert, München, Datum unbekannt     

   

Liederabend Dietrich Fischer-Dieskau

Herkulessaal der Residenz

"Wer möchte den ganz besonderen Ton gelöstester Innigkeit beim Beethoven der Lieder missen, der ihm mit solcher Vielfarbigkeit in anderen Werken selten zu Gebote stand?" fragt Dietrich Fischer-Dieskau in seinem klugen Aufsatz zum Thema Beethoven-Lied. Wer könnte diesen Ton inniger und vielfarbiger zum Klingen bringen als dieser Orpheus des Liedes? Beethoven-Lieder bildeten eines der ersten Programme, mit denen der junge Fischer-Dieskau vor Jahren durch Deutschland reiste, mit Beethoven-Liedern füllte er bald darauf 4 Schallplattenseiten, die noch immer zum Schönsten gehören, was wir von diesem Sänger besitzen. Längst ist ein Beethoven-Abend Fischer-Dieskaus nicht mehr Wagnis, sondern Wunder. Es ist das Erlebnis des völligen Einswerdens von Seele des Liedes und Seele des Interpreten, das uns ergreift - tiefer als das Erlebnis der technischen Vollkommenheit, mit der die Lieder dargeboten werden. Fischer-Dieskaus meisterhaft beherrschte Gaben sind nie Selbstzweck, sondern immer nur Voraussetzung. Die Klugheit des Sängers muß nicht eigens hervorgehoben werden, wohl aber immer wieder das Nichtselbstverständliche, daß seiner Intelligenz eine gleichwertige Fähigkeit der Mitteilung entspricht: er erfaßt die Lieder restlos und kann sie seinem Publikum - weil seine Stimme jedem Befehl gehorcht - restlos erschließen. Es scheint, als stehe ihm für jedes Lied eine andere Stimme zur Verfügung, so mannigfach vermag er den Tonfall zu variieren, so vielfarbig sein Timbre zu wandeln. Abgedunkelt, schwer von seelischer Müdigkeit seine Elegie "In questa tomba oscura". Raunend, in mystischem piano seine Ode "An die Hoffnung". Die Belastung allen bürgerlichen Pathos’ (das diesen Liedern so gefährlich sein kann) war ausgemerzt in den sechs Gellert-Liedern. Mit dem Zyklus "An die ferne Geliebte" leitete Dietrich Fischer-Dieskau den zweiten, von intimeren Liedern bestimmten Teil seines Konzertes ein, die zarten Lieder vom Ethos der Beethovenschen Gefühlswelt getragen, die Seelentiefen des Menschlichen durchmessend. Mit dem Wissen um die Einfachheit, die das Geheimnis aller großen Kunst ist, sang er so vertraute Gesänge wie "Der Wachtelschlag", "Adelaide", "Mailied". Er sang diese Lieder so, daß man vergaß, sie je zuvor gehört zu haben. Oft entdeckte man in unscheinbaren Details den verborgenen Sinn, in wie zufällig gezogenen Melodienbögen die Grundlinie des ganzen Liedes. An der Genialität solcher Kunst haben Kopf und Herz gleichermaßen intensiven Anteil.

Nicht unwesentlich an der Qualität des Konzertes beteiligt war Günther Weissenborn, der heute zu den bedeutendsten Lied-Begleitern gehört, da er nicht nur sein Instrument glänzend beherrscht, sondern vor allem auf die leisesten Veränderungen in Tonfall oder Tempo des Vortragenden reagiert.

Mit falstaffischem Schmunzeln "Mephistos Flohlied" endete der Beethoven-Abend Dietrich Fischer-Dieskaus. Man ging heim mit dem beglückenden Bewußtsein, Vollendetes erlebt zu haben.

Monika Köster


   

    Zeitung und Datum unbekannt     

   

Hohe Kunst des Liedes

Nur Dietrich Fischer-Dieskau konnte das Wagnis unternehmen, einen Abend mit Beethoven-Liedern zu geben (Herkulessaal), der mehr künstlerische Eindrücke bot, als daß er das Ringen eines Genies um eine entsprechende Ausdrucksform erkennen ließ. Aus der geistlich ariosen Behandlung Beethovens von Gellerts pietistischen Gedichten Hymnen innigen Glaubens zu gestalten, aus der Sprödigkeit des Melos und dem Feuer des Ingeniums in Tiedges "An die Hoffnung" eine Kantate von klassischem Pathos romantischer Aufklärung zu schaffen, ist nur Fischer-Dieskau möglich. Was ihn aus den Sängern seiner Zeit heraushebt, ist die außerordentliche Leidenschaft seines Gestaltungswillens und die sinnvoll ineinander greifenden Fähigkeiten, diesen Willen vollkommen auszudrücken.

Nie erhielten die Perlen Beethovenscher Liedkunst wie "An die ferne Geliebte", "Adelaide" und "Wonne der Wehmut" solchen Schimmer, solche Farben, so ergreifende Wirkungen wie in der Wiedergabe durch diesen unvergleichlichen Künstler. In den Goethe-Liedern "Mailied", "Sehnsucht" und "Neue Liebe, neues Leben" entspringen schon die Quellen jenes ununterbrochenen melodischen Flusses, der Schuberts Kunst wie ein weitverzweigtes Delta nach allen Richtungen durchströmt. Fischer-Dieskau sang die Lieder mit unnachahmlicher innerer Begeisterung und jener Meisterschaft, die alle Ausdrucksmittel genau überwacht und keinen Mißbrauch zuläßt. In Mephistos Flohlied hatte man Gelegenheit, die Kunst vollkommenen Maßhaltens der Ironie und dadurch eine gleichsam zugespitzte Wirkung zu erleben.

Während der Künstler unter den stürmisch geforderten Zugaben "Ich liebe dich" in einer Verbindung von höchster Intensität und Verhaltenheit unübertrefflich sang, dachte man unwillkürlich der Gefahren, die dieser auf feinste Nuancen eingestellten Kunst des Liedgesanges durch eine überhandnehmende Beschäftigung mit der Oper drohen. Günther Weissenborn begleitete kongenial.

Autor unbekannt

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