Zum Liederabend am 9. Oktober 1966 in Berlin


   Der Tagesspiegel, Berlin, Datum unbekannt  

Musikalische Miniaturen

Liederabend Dietrich Fischer-Dieskau

Viele wollten Fischer-Dieskau hören, mehr als die Philharmonie faßt. Vor dem ausverkauften Haus leuchteten die "Suche Karte"-Schilder der noch auf Einlaß Hoffenden. Eines der größten und begehrtesten Festwochen-Ereignisse sollte sich begeben. Und im Saal ließ dann im Laufe des Abends die Spannung merkwürdig nach. Es wurde gehustet, so hartnäckig, daß dem Husten die Pausengespräche der Empörten galten und das Intervall zwischen Lied-Gruppen im zweiten Programmteil zu dem - mit Applaus quittierten – Zwischenruf "Jetzt kann man husten" genutzt wurde. Der Herbst ist der Gesundheit nicht so günstig, auch im Hochschulsaal war es zwei Tage zuvor bei dem Liederabend Elisabeth Grümmers keineswegs still. In der Philharmonie aber mehren sich die Störlaute mit der Personenzahl, stecken an, pflanzen sich fort.

Besonders betroffen waren die Klaviernachspiele. Eine Tatsache, die nachdenklich macht. Schumann stand ausschließlich auf dem Programm, weniger Bekanntes zumeist, Heine-Lieder in der Überzahl, Kabinettstückchen von erlesenem Gusto, Vier- und Achtzeiler darunter, intime musikalische Miniaturen mit leisen, versteckten Pointen: Stücke, in kleinem Kreis zu singen. Gesänge vom Feinsliebchen, vom Vöglein wunderschlau, von Liebesweh, kummervollen Träumen, krankem Herzen und Todessehnsucht. Diese Welt der kleineren und kleinen Gefühle, der Ironie und des Sarkasmus ist zu privat, um, in großer Runde ausgebreitet, den erwünschten Effekt zu machen. Das Programm gehörte, will man nicht viel von seiner Wirkung verloren geben, in einen kleineren Saal. In der Philharmonie aber – Fischer-Dieskau soll und muß, siehe oben, in der Philharmonie singen – wäre andere, prächtigere, weniger miniaturhafte, vielleicht ein bißchen bekanntere Musik am Platz. Hätte es nicht sogar ein "Barock"-Programm sein können?

Über jedes Lob erhaben zeigte sich wieder die Interpretationskunst Dietrich Fischer-Dieskaus, die jedem Textwort und jeder musikalischen Phrase die richtige individuelle Nuance gab, dynamische Valeurs ohne Zahl kannte und in klanglicher Schönheit brillierte. Der Pianist Norman Shetler war ein fein charakterisierender Begleiter. Fünf Zugaben dankten für den starken Applaus.

S. M.


Kurier, Berlin, 10. Oktober 1966     

  

Festwochenglanz durch Fischer-Dieskau

Mit romantischer Seele

    

Daß der Höhepunkt der musikalischen Festwochen außerhalb vom Motto, tief in der deutschen Romantik liegen würde, war nach Ankündigung des Schumann-Liederabends in der Philharmonie vorauszusehen: Wo und wann Dietrich Fischer-Dieskau singt, ist Festwochenglanz und –niveau, auch wenn kein "BF" mit Vignette das Programmheft ziert.

Schumann. So weit zurück und voran bis in die Gegenwart Fischer-Dieskau seinen künstlerischen Radius ausgespannt hat, die Eichendorffschen Flügel seiner Seele trugen ihn stets wieder ins Zentrum romantischer Liedinterpretation, als flögen sie nach Haus. Aber Romantik ist nicht nur Eichendorff. Für dieses Programm verzichtet Fischer-Dieskau auf "Mond"- und "Frühlingsnacht", auf den beliebten Liederkreis op. 39 also und wählte den weniger populären op. 24 nach Heinrich Heine.

Doch da, wo die Interpretation die Gloriole des Authentischen in jeder Phrase mit sich trägt, wird alles populär im besten Sinne, geht in die Herzen und hat immer noch eine für den Augenblick kaum kontrollierbar große Fracht an den analysierenden Kunstverstand in der Reserve.

Eine weitere Heine-Gruppe in freier Zusammenstellung und eine nach Geibel bildeten den zweiten Teil, dem die Sensibilität der "Lotosblume" und die opernhaft virtuose Romanze des "Kontrabandiste" den extrem möglichen Rahmen geben. Wie Fischer-Dieskau diese Lieder singt, muß nicht beschrieben werden – nicht mehr. Das Menschenmögliche an Schönheit und Vollkommenheit, hier war es wieder einmal getan. Freilich mit Assistenz und lobenswerter künstlerischer Hilfeleistung des begleitenden Pianisten Norman Shetler.

H. R.


    

     Nacht Depesche, Berlin, 10. Oktober 1966     

    

Meister-Singer

    

Liederabend Dietrich Fischer-Dieskau in der Philharmonie. Im Programm Schumann-Lieder auf Texte von Heine, Geibel und ein paar anderen.

Fischer-Dieskau ist ein Sänger von so hohem Rang, daß an der Stimme jede Kritik verstummt. Breite, Wärme und Fülle meistert er ebenso selbstverständlich wie ein behutsames Pianissimo, ein geflüstertes Schlußwort. Die vielfarbig schattierten Stimmungen romantischer Lieder trägt er in jeder Einzelheit mit der vollendeten Ausdruckskraft seiner Persönlichkeit vor.

Hier geschah das Ungewöhnliche, daß ein Solist nicht verloren wirkte im Landschaftsbild der Philharmonie, sondern die Zuhörer in den Bann schlug, auch wenn sie nur auf entfernten Balkonen Platz gefunden hatten.

Norman Shetler war viel mehr als der übliche "Begleiter am Flügel". Fischer-Dieskau fand einen Solisten von gleichem Wert, der seinen Intentionen vollkommen folgte. Stürmischer Beifall.

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