Zur Oper am 10. August 1967 in München


  Oper und Konzert, München, Datum unbekannt 

Falstaff

Nationaltheater

Joseph Keilberths Antipathie gegen moderne Musik ist bekannt. Immerhin hat er sich das boshafte Bonmot Strawinskys zu Herzen genommen, "Falstaff" sei die beste Oper Wagners. Die brillante Rasanz dieser Partitur ging in deutsch-romantischer Behäbigkeit unter, die in vivacissimo dahinhuschenden Ensembles tapsten mit altväterlicher Grazie, das elegante weltmännische Brio versandete in trockener Bürgerlichkeit. [...] 

Zudem scheint Professor Keilberth wenig geprobt zu haben, obwohl das Werk ein Jahr im Archiv schlummerte. Trotz der ungemein verschleppten Tempi waren die Ensembles, vor allem des zweiten Bildes, bemerkenswert unsauber, und was sich etwa Frau Waas, sichtlich nervös, an Schmissen leistete, überschritt erheblich das bei "Falstaff" a priori zu konzedierende Maß. Gerechtigkeit heischt die Feststellung, daß das Publikum die Meinung des Rezensenten keineswegs teilte. Es feierte Keilberth, als dirigiere Bernstein. Wie würde es Bernstein feiern?

Glanz erhielt die Aufführung durch einige Sänger, allen voran Dietrich Fischer-Dieskau. In farbensatter Daseinsfülle ist er der Fürst aller Schelme, ein anmutiger Dickbauch, ein Schwerenöter aus souveräner Amoralität, ein Charmeur ohne Skrupel. Wie er die immense Rolle pointiert singt, jeder musikalischen Geste Plastizität verleiht, seinen flexiblen, für Sir John fast zu hellen Bariton in merkurischer Verschmitztheit schwelgen läßt, dabei immer wieder Zeit zu einem Versuch findet, den Dirigenten zu schnelleren Tempi zu bewegen: das hat heute auf der deutschen Bühne nicht seinesgleichen. Seine Eskorte sind die Galgenstricke Bardolf und Pistol, sehr komisch verlotterte Gestalten, köstlich gesungen und gemimt von Friedrich Lenz und Max Proebstl. Als Gesangs- und Charakterstudie recht ergötzlich: Georg Paskuda als Cajus. Thomas Tipton (Ford) geht als bürgerlicher Othello mit seinen Einsätzen und Notenwerten so verschwenderisch um wie mit seinen eifersüchtigen Gefühlen, imponiert eher mit seinem Stimm-Material als durch eine bezwingende vis comica, obwohl der Regisseur Hans Hartleb die Parole ausgegeben haben muß "Seid fröhlich, verbreitet Heiterkeit".

Annelie Waas reicht für eine Alice während der Saison gerade aus; in einer Festspielaufführung erwartet man größere Sicherheit, letzte Bravour, mehr Schmelz, mehr Süße. Musikalisch leider ans Peinliche grenzend: Ira Malaniuk als Meg. Sehr köstlich und mit der blendend gesungenen "Reverenza" Szenenapplaus provozierend: Jean Madeira als Quickly. Ob Fenton - Donald Grobe mit angestrengter Höhe, ohne italienischen Schmelz secca voce singend - zu schätzen weiß, was ihm mit Nannetta in die Arme fällt? Erika Köth, fast zu fein ihre Silberstimme nützend, erweckte die sublime Liebeslyrik des weisen Verdi; ihr Elfenlied beschwor das Reich Gott Pans, das die Szenerie Ekkehard Grüblers ausgeschlossen hatte. Gegen den Gedanken, "Falstaff" auf einer Shakespeare-Bühne zu spielen, ist nichts einzuwenden; nur müßten die Dekorationschiffren mehr Atmosphäre schaffen als die penetrant schwüle Fliederorgie oder das peinlich saubere Gastzimmer, mehr Renaissance-Hilton-Hotel als heruntergekommene Taverne. Über das Schlußbild läßt sich streiten: in Konfirmandenstandhaftigkeit wartet der Chor auf den Einsatz, die Eiche entschwebt gen Himmel, an der Rampe singen die Solisten die Fuge ad spectatores: "Tutto nel mondo è burla."

Nein, nicht alles war Spaß an diesem Abend. Wer sich einen "Falstaff" von Wiener oder Salzburger Qualität erhofft hatte, mußte sich mit der Erkenntnis des alten Verdi trösten: "Tutti gabbati" - "Lauter Gefoppte".

Dr. Klaus Adam

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