Zum Liederabend am 20. August 1967 in Salzburg

    


     Süddeutsche Zeitung, 23. August 1967     

Salzburger Festspiele

Ein Stardirigent

Zubin Metha und die Wiener Philharmoniker

     

Der noch junge, komentenhaft aufgestiegene, alle großen Orchester der Welt heimsuchende Zubin Mehta glänzte im glanzvollen zehnten Orchesterkonzert der Salzburger Festspiele am meisten, die Wiener Philharmoniker spielten zwar wunderbar und Fischer-Dieskau zelebrierte hohe Kunst: Gesang und Ergriffensein; er aber glänzte, überstrahlte selbst die gespielten Werke: Er lenkte ab davon. Man hörte sehr schöne Musik und sah einen wundervollen Dirigenten wundervolle Schlagtechnik.

[...]

Die selten gespielten "Fünf Lieder aus letzter Zeit" von Gustav Mahler hätten von Zubin Mehta eben dieses latent agogische Dirigieren in noch höherem Maße erfordert als das Heldenleben. Mag sein, diese Kritik ist anmaßend, denn es gab und gibt ohnehin nur ein Handvoll Dirigenten, die dies verstanden und verstehen. Zubin Mehta "beschränkte" sich darauf, den Wiener Philharmonikern ein Maximum an Klangdifferenzierung zu entlocken, legte dem Dietrich Fischer-Dieskau einen wundervollen Klangteppich aus, den zu beschreiten - mit all seiner Kunst und leider auch Künstlichkeit (Fischer-Dieskaus mimische Aktion wird immer perfekter) - er nicht versäumte.

Florian Fricke


    

     Salzburger Nachrichten, Datum unbekannt     

   

Mehr Routine als Inspiration

Orchesterkonzert der Wiener Philharmoniker unter Zubin Mehta mit Dietrich Fischer-Dieskau

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Zwischen Schubert und Strauss stand Gustav Mahler. Dietrich Fischer-Dieskau sang - als kleine Ergänzung seines Liederabends - fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert, die man in Fischer-Dieskaus Interpretation von einer prachtvollen Aufnahme unter Karl Böhm kennt. Leider schien der Sänger nicht zum Besten disponiert, er hatte Mühe mit dem unbekannten Großen Festspielhaus und der akustischen Relation zu dem in großer Mahler-Besetzung angetretenen Orchester und schien sich mehr auf die Deklamation zu konzentrieren, als das diesen ausdrucksgesättigten Liedern gut tut. Denn im Grunde hat Mahler allen Ausdruck bereits in die Führung der Singstimme und die Farben des Orchesters gelegt; es bedarf also nicht jener überdeutlichen Deklamation, wie Fischer-Dieskau sie an diesem Abend bot. Einzig das wunderbare Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" hatte vom Sänger her jene Spannung und Konzentration im Erfüllen der Gesangslinie, die den Ausdruck gleichsam von selbst mit einbezieht. Hier hatte auch das sonst ein wenig zähflüssig begleitende Orchester dem Sänger alles an Intensität und Ausdruck zu bieten.

Das Publikum erschien dennoch sehr beeindruckt und feierte Fischer-Dieskau wie es den großen Sänger zu feiern gewöhnt ist, als einen der wenigen, deren künstlerischer Verstand und deren unerhörtes Können selbst dort Außerordentliches erreichen, wo von der Natur der Stimme her keine ideale Übereinstimmung gegeben ist.

Gottfried Kraus


    

     Salzburger Volks-Zeitung, Datum unbekannt     

    

10. Orchesterkonzert: Vielfalt der Romantik

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Ganz anders der vokale Teil! Er zeigte in den "Fünf Liedern aus letzter Zeit" nach Gedichten von Friedrich Rückert den Gottsucher Gustav Mahler (1860-1911) in seiner Einsamkeit und seiner Todesahnung. Diese Musik ist feinnervig, ist sphärisch. Fischer-Dieskau sang die Worte - sang sie ganz innerlich, einfach und ganz groß, vom Orchester in feinsten Linien begleitet. "Ich atmet’ einen linden Duft", "Liebst du um Schönheit", "Blicke mir nicht in die Lieder", "Ich bin der Welt abhanden gekommen", "Um Mitternacht". Ein unbeschreiblich tiefes Erlebnis!

Dr. Pellegrini


   

     Zeitung unbekannt, 22. August 1967     

   

Salzburger Festspiele 1967:

Mahlers ‚Letzte Lieder’ waren der Höhepunkt

10. Orchesterkonzert mit Zubin Mehta und den Wiener Philharmonikern - ein festliches Ereignis

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Unter der Leitung von Zubin Mehta spielte das Wiener Philharmonische Orchester Werke von Schubert, Mahler und Strauss. An den Beginn des Abends wurde die selten zu hörende 3. Symphonie in D-Dur von Franz Schubert gestellt, die in ihrer problemlosen Heiterkeit und der Fülle von schönsten musikalischen Einfällen ein vorzügliches Entree bildete. [...]

Nicht an Franz Schubert war es gelegen, daß der Reiz dieses unkomplizierten, schönen Werkes an diesem Abend über Gebühr rasch verblaßte und in den Hintergrund trat. Zu Gustav Mahlers "Fünf Liedern aus letzter Zeit" läßt sich aber beim besten Willen keine rechte Verbindung herstellen. Die Gesänge "Aus letzter Zeit", die neben den "Kindertotenliedern" und den "Liedern eines fahrenden Gesellen" zum Gültigsten zählen, was uns in Mahlers problemvollen Schaffen erhalten geblieben ist, bilden einen allzu starken Kontrast zur unbeschwerten Musikalität von Schuberts 3. Symphonie. Über die fünf Gedichte von Friedrich Rückert hinaus ist Mahlers Vertonung Ausdruck widerspruchsvollen Lebens und Empfindens, das in einem nicht immer bis ins letzte glaubwürdigen Hingeneigtsein zu den letzten Dingen, Befreiung und Erlösung sucht.

Mit Dietrich Fischer-Dieskau ist für den hohen musikalischen Anspruch des Werkes ein Interpret gegeben, dem neben äußerster Differenzierung der Stimm-Mittel auch der Intellekt und das nuancenreiche romantische Empfinden des Fin de siècle in außergewöhnlicher Weise zur Verfügung steht. Zubin Mehta verstand es, den großen, mit äußerster Delikatesse eingesetzten Orchesterapparat in aller Transparenz dem Stimmungsgehalt der Gesänge anzupassen. Insgesamt kam damit eine Aufführung zustande, die im wahrsten Sinne des Wortes als nachschöpferisch und weit über den Anlaß der Aufführung hinaus als gültig zu bezeichnen ist.

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K. H.

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     Die Presse, Wien, 22. August 1967     

    

Rückgewöhnung an die Wiener

Mehta dirigierte die Philharmoniker im Großen Festspielhaus

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Künstlerische Hochspannung stellte sich erst mit Dietrich Fischer-Dieskaus meisterhafter Interpretation von Gustav Mahlers Rückert-Liedern ein (übrigens dem einzigen Mahler dieses Sommers), denen Mehta vom Orchesterpart her ebensolche Spannung und Intensität zuteil werden ließ. Zwar war auch diesmal nicht zu überhören, dass Fischer-Dieskau den Zenit seiner stimmlichen Frische überschritten hat (oder sollte eine momentane Übermüdung vorliegen?); aber schon die hohe Intelligenz, stilistische Einfühlung und unerhörte emotionelle Intensität seines Singens sicherten Werk und Wiedergabe einen durchschlagenden Erfolg und langanhaltende Begeisterung.

[…]

Gerhard Kramer

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