Zum Liederabend am 5. November 1967 in Koblenz


Rhein-Zeitung, Koblenz, 7. November 1967

November-Melancholie mit Fischer-Dieskau

Ein Fest des Liedgesangs

      Sensationeller 35-Minuten-Beifall für den Schumann-Abend in der Rhein-Mosel-Halle

Ähnliches hat Koblenz nur selten erlebt: 35 Minuten langer, stürmischer Beifall, der sieben Zugaben erzwang, waren das äußere Kennzeichen für die Begeisterung, mit der Dietrich Fischer-Dieskau am Sonntag bei seinem Robert-Schumann-Liederabend in der seit Wochen ausverkauften Rhein-Mosel-Halle gefeiert wurde.

Freilich kann man darüber streiten, ob schon beim ersten Koblenzer Auftreten Fischer-Dieskaus der zyklischen Einheitlichkeit des Liedgutes nicht ein gemischtes Programm vorzuziehen gewesen wäre. Auch im November hört man nicht bloß erzromantisch Elegisches, Melancholisches gerne. Und wenn man sich überhaupt an diesem wunderbaren Abend noch etwas hinzugewünscht hätte, so war es die Farbigkeit eines Hugo Wolf, eines Brahms, eines Richard Strauss. Auf die Dauer wirkt Tristesse etwas lähmend – selbst wenn gerade Dietrich Fischer-Dieskau derjenige unter den wenigen hervorragenden deutschen Liedersängern der Gegenwart ist, der sie zu seiner Domäne erhoben hat und sie mit einem Stimmungsreichtum ohnegleichen zu erfüllen weiß. Sein ausgeprägtes Stilgefühl, die bestechende Wärme seines lyrischen Baritons, vor allem im Piano und im Diminuendo, das er dank einer geradezu enormen Atemtechnik und ungewöhnlichen Tragfähigkeit des Tons fast "instrumental" verhauchen, verschweben läßt, die ganz nach innen, von der vertieften Empfindung her aufgebaute Deklamation und die "darstellerische" Durchdringung jeder noch so kleinen Nuance, gaben den Heine- und Geibelgesängen, die diesen Abend beherrschten, ein Höchstmaß an erlebter Kontur, an SchattierungspLastik, an Kontrast, an Gestaltungs-Vehemenz, ja, auch an erzählerischem Impuls ("Abends am Strand"). Der Sänger hat überdies die Gabe, noch vor den Wundern der Natur "staunen" zu können, Schmerz und Freude, Träumerei und Anmut, Mitgefühl und Versenkung der romantischen Lebensart mit einer so unverbildeten Natürlichkeit auszuformen, daß die breite Skala der "Empfindungsseligkeiten" in dem poetischen Schmelz dieser Stimme neu lebendig wird. Die Tonmalerei wirkt dabei jedoch nie "süßlich", weil die intelligente Verschmelzung von Lyrik und Dramatik ohne Pathos auskommt und die Naivität durch herb-energische Glanzlichter, durch charaktervolle Akzente, durch satte, kernige Tonigkeit und emphatische Dynamik "aufgeladen" ist. Dem freundlichen Genrebildchen unserer rheinischen Heimat ("Berg und Burgen schaun herunter") gab der Sänger ruhevolle Behaglichkeit, dem – etwas reichlich kredenzten – schmerzvollen Liebes- und Heimatweh ("Lotosblume", "Dein Angesicht", "Schöne Wiege meiner Leiden", "Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht", "Melancholie") anrührende, versonnene Innigkeit. Doch fehlten auch herzhaft-kraftvolle Gaben nicht, die temperamentvollen, bis zum "Unwirschen" gesteigerten Affekte der Bitternis, der magischen Verbrämung. Das deftige "Warte, warte, wilder Schiffmann", das lebendig-frisch, keck-heiter gesungene "Hidalgo" oder gar die spanische Romanze "Der Kontrabandiste", die durch die prononcierte rasche Floskel ungemeine Spannung bekam, setzten notwendige Gegeneffekte. Unüberhörbar waren jedoch auch einige Forte-Schärfen im hohen Register, die vielleicht auf das Konto des großen und zu übermäßiger Tongebung verleitenden Saales gingen.

Siebenmal gab der Sänger – schon von einem "Chor" von Autogrammjägern auf der Bühne flankiert – den vom Publikum geforderten "Encores" nach. Je kleiner das Häufchen der Unentwegten wurde, um so intensiver wuchs mit der Konzentration und der hinreißenden Spannung im Saal auch der Kontakt mit dem Sänger. Am Anfang war das leider anders gewesen. Rücksichtsloses Hustenkonzert und peinlicher Applaus mitten in das ausklingende Klavierspiel hinein hatten den Zuhörern ein ziemlich blamables Zeugnis ausgestellt.

Ein Sonderlob gebührt dem "Mann am Klavier": Günther Weißenborn, seit langem schon mit dem Sänger verbunden und daher ein echter, idealer Partner, der jede Regung, jede Phrasierungs-Eigenheit Fischer-Dieskaus unterstreicht und so die sagenhafte Einheit von "Sang und Saitenspiel" durch absolute Übereinstimmung mit dem Sänger realisiert, bestach durch seine ebenso subtile wie farbenreiche, technisch brillante Ausziselierung des Schumann-Duktus. Er machte das Fest des Liedgesanges auch zu einem Fest romantischer Klaviermusik.

Wolfgang Eschmann

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