Zum Liederabend am 7. November 1967 in Frankfurt


Frankfurter Neue Presse, 9. November 1967

Türöffner

Fischer-Dieskau und das deutsche Kunstlied

Wie viele Sänger können sich leisten, ein Haus wie die Frankfurter Oper mit einem reinen Beethoven-Liederabend zu füllen? Dietrich Fischer-Dieskau, dem dies im zweiten Meisterkonzert mühelos gelingt, ordnet sein Programm um die drei großen Liedgruppen, wobei die Goethe-Folge zurecht am Ende steht: Textdichter, Komponist und Sänger bilden hier eine kongeniale Einheit. Wohlberechnet setzt das "Flohlied" den wirkungsvollen Schlußakzent: Ein virtuoses Kabinettstückchen, das die Zechkumpane in Auerbachs Keller in den Chorus einstimmen läßt. Erst jetzt begreift man ganz, welche Askese sich der Sänger mit diesem Programm auferlegt hat.

Faszinierend ist die Beständigkeit dieser Stimme, die ungeachtet aller Opernstrapazen nichts von ihrer Frische eingebüßt hat, wie es nur auf Grund einer perfekten Technik möglich ist. In der unglaublichen Sicherheit, die Fischer-Dieskau mit dem ersten Ton ausstrahlt, liegt allerdings die Gefahr einer Routine, die alles Spontane zu ersticken droht. Erst mit den Goethe-Liedern gelang es dem Sänger ganz, die Kluft zwischen Bühne und Publikum zu überspringen. Mit dem jugendlich-frechen "Mailied", der ungestümen "Neuen Liebe", dem "Flohlied".

Günther Weißenborn bringt die wichtige Rolle des Klaviers überzeugend zur Geltung. Neu ist es, daß ein Sänger auch mit Worten sein Unternehmen rechtfertigt. Dieskaus Beitrag im Programmheft ist ein lebendiges Zeugnis seiner reflektierten Auseinandersetzung mit der Musik, die er singt. Was er von Beethoven sagt, gilt für ihn selbst: Befreier und Türöffner für das deutsche Kunstlied.

Gerhard Schroth

zurück zur Übersicht 1967
zurück zur Übersicht Kalendarium