Zum Liederabend am 13. November 1967 in Karlsruhe


Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe, 15. Nov. 1967 

Lieder von Robert Schumann

Dietrich Fischer-Dieskau im Großen Saal der Stadthalle

Wenn Fischer-Dieskau mit einer hinreißenden Klanggebärde die Leidenschaft wie die Innigkeit der "Widmung" von Friedrich Rückert in Schumanns Musik einfängt, wenn er danach in Pastelltönen die Poesie des "Nußbaums" ausbreitet und eines der tiefstempfundenen Schumann-Lieder aus den Hebräischen Gesängen Byrons folgen läßt ("Mein Herz ist schwer…"), dann liegt das Panorama dieser Stimme schon in seiner ganzen Weitläufigkeit offen zutage: ihre Wandelbarkeit, der keine Nuance musikalischen Ausdrucks unzugänglich bleibt, ihre Schönheit, die auch den Schmerz noch in ein mildes, versöhnendes Licht hüllt, ihre Kraft, zu bekennen, wie es um des Menschen Herz steht.

Drei Lieder also zu Anfang, drei grundverschiedene Stimmcharaktere, dreimal eine andere Atmosphäre – und doch immer nur der eine Dietrich Fischer-Dieskau. Die Unmöglichkeit, aus seinen künstlerischen Äußerungen irgendein Teil herauszulösen, um es für sich allein zu betrachten, der sanfte Zwang sogar, in diese vollkommene Einheit von Wort und Klang, Mensch und Stimme auch den Partner am Klavier mit einzubeziehen, um sie ganz begreifen zu können – eine solche Totalität bis zum Äußersten kennzeichnet eben den einzigartigen Rang dieses Sängers unter seinen Zeitgenossen. Doch was seine Eigenart von allem Anfang an ausmachte, kommt, so scheint es, von Jahr zu Jahr noch schöner und reiner zum Vorschein.

Das Beispiel dreier Lieder, das hier vorangestellt wurde, könnte ebenso auf den Liederkreis nach Gedichten von Heinrich Heine op. 24 bezogen werden, der auf seine Art wie eine andere "Winterreise" von Schubert anmutet. Singstimme und Klavier erreichten hier zu wiederholten Malen eine geradezu beklemmende Ausdrucksspannung, eine schmerzüberschattete Innigkeit, die tief anrührte. Die elementare, an eine Choralweise gebundene Kraft, die innerhalb dieses Zyklus den Vierzeiler "Anfangs wollt ich fast verzagen…" hoch wölbte und dann in Resignation versinken ließ, ist wohl ohne Gegenstück, an das man sich erinnern könnte.

Auch im Hinblick auf eine weitere Gruppe von Heine-Liedern oder von Liedern nach Emanuel Geibel käme unsere Betrachtung doch wieder nur auf die gleichen Gesichtspunkte zurück, die wir hier als wesentlich herauszustellen versuchten. Wo immer man an diesem Abend hinhörte, manifestierte sich eine Liedinterpretation, die bis an die Grenzen des in dieser Kunst überhaupt noch Möglichen ausschritt – und das gilt ohne weiteres auch für den Pianisten Günther Weißenborn. Daß aus solchem Anlaß die Große Stadthalle nicht nur mit der normalen Bestuhlung ausverkauft war, sondern auch noch mit zusätzlichen Stuhlreihen auf dem Podium, verdient festgehalten zu werden – und sei es auch, um bei Gelegenheit zu bedenken, daß Liederabende Dietrich Fischer-Dieskaus ganz gewiß kostbare Erlebnisse sind, aber daß sich ein so lebhaftes Interesse des Konzertpublikums in ihnen allein eigentlich nicht erschöpfen sollte.

Eb.

zurück zur Übersicht 1967
zurück zur Übersicht Kalendarium