Zu den Konzerten am 9., 12. und 16. August 1970 in London


Daily Telegraph, London, 10. August 1970     

    

Dieskau gives fresh insight into Wolf

    

Dietrich Fischer-Dieskau chose 20 of Hugo Wolf’s 53 Mörike Lieder for his recital with Daniel Barenboim at the piano at the Festival Hall last night.

Throughout there was a subtle intermingling of the familiar with the much less familiar, and as always in a Fischer-Dieskau recital the individual songs were so arranged as to form a cogent and skilfully varied dramatic sequence.

Night songs, songs of loneliness and isolation of predominantly dark and sombre sentiments gave way in the second half to a variety of love poems, some tender and gentle, some deeply nostalgic, others bitterly reproachful, ending with several songs of a bitingly cynical humour.

*

Together they revealed in all its many facets Wolf’s remarkable intensity and range of expression as well as his unfailing ability to recreate from the inside of the poem the very essence of mood, setting and character.

And these same words provide perhaps the most apt description of the performances themselves, in which Fischer-Dieskau magnificently partnered by Barenboim, was at his most penetrating and compelling. Even the most well-known songs emerged freshly, as something quite new rediscovered in a totally unexpected light in the very moment of performance.

R. L. H.


    Stuttgarter Zeitung, 4. September 1970

Das Londoner Southbank-Festival

Webern oder Die Furie des Verschwindens

Daniel Barenboim mit seinem Freundeskreis und Fischer-Dieskau

[...]

Eine Ausnahme sind Daniel Barenboim und der Freundekreis, der mit ihm zusammen seit einigen Jahren das Southbank-Fest im musikarmen Londoner August bestreitet. An Musizierlust, Programmgeschmack und begeistertem Zulauf hat dieses zweiwöchige Festival, das ja wesentlich ein Kammermusikereignis mit ein oder zwei Konzerten des English Chamber Orchestra ist, nicht seinesgleichen. Jedes Werk wird in All-Star-Besetzung aufgeführt, wie die Jazzmusiker es nennen würden. Der "Londoner Set" (Barenboim, Jacqueline du Pré, Ashkenazy, Zubin Mehta, Pinchas Zukerman) war dabei auch diesmal in seiner Anziehungsfähigkeit praktisch unbeschränkt, Janet Baker und Fischer-Dieskau steuerten Webern-Lieder bei, die sie eigens für dieses Festival einstudiert hatten. [...]

Man wird Fischer-Dieskau, der Wolfs Mörike-Lieder mit Barenboim zelebrierte, sich und uns mit Beethovens irischen und schottischen Klaviertrio-Liedern ein Vergnügen machte und ein paar selten gesungene Mozart-Konzertarien neu belebte, sicher nicht Unrecht tun, wenn man die leichte Mühe erwähnt, die ihm vier der frühen Webern-Lieder bereiteten (Am Ufer, Vorfrühling, Gefunden, Bild der Liebe). Er suchte wohl eine Mitte zwischen seinem gewohnten Stil in der Wiedergabe spätromantischer Lieder und dem (als falsch erkannten) Vorsatz, nun gleich alles, den ganzen Fischer-Dieskau-Klang zu modifizieren, nur weil der Komponist Webern heißt. "Am Ufer", das zuletzt geschriebene der vier Lieder, war am stärksten diesem Wunsch nach einem timbrefreien, objektivierten Ton unterworfen. Doch was für ein Genuß war, Webern einmal nicht von einer jener spitzen Sopranstimmen zu hören, die man mit seinen Liedern etwas unheilvoll assoziiert.

[...]

Karl Heinz Wocker

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