Zum Liederabend am 12. Mai 1971 in Duisburg


     Westfälische Allgemeine Zeitung, Duisburg, 14. Mai 1971     

Genietat des Liedes

Fischer-Dieskau gab einen Schubert-Abend

   

Einen Abend lang Schubert-Lieder: nur Dietrich Fischer-Dieskau unter den Sängern bringt es fertig, ihn bis zur letzten Note fesselnd zu halten, mit einem Programm in der Mercatorhalle, das keine ausgetretenen Wege ging, sondern uns gerade den unbekannteren Schubert nah vor die Augen rückte.

Genietaten des Liedes neben Halbheiten und dennoch Reife und unerhörte Vielgestaltigkeit der Form. Der kleine Wiener Vorstadtschulgehilfe war ein Besessener und hochgebildet dazu, wo sonst hätte er die Hellsichtigkeit für die absolute "Musik" seiner Texte her. Neben Schiller und Goethe vergessene Dichter wie Ernst Schulze, Schlechta, Leitner, Collin und gar Johann Mayrhofer, Lyriker mit nur zeitbedingtem Rang.

Schubert machte sie unsterblich. Wenn, wie in Mayrhofers "Auf der Donau", in heutige Ohren hineinklingt: "und das Herz im Busen wird uns weich", hat Schuberts Ausdruck die Metapher schon der Banalität entkleidet, und Fischer-Dieskaus Vortrag gibt ihr jene Glaubhaftigkeit, hinter der die natürliche Einfalt des Bildes sichtbar wird. Wie Fischer-Dieskau die Sinnbedeutung von Wort und Melos entdeckt, betont und verschmilzt, ist eben ein einmaliges Ereignis der Kunst auf dem Liedpodium.

Vieles hat der große Sänger noch dazugelernt, frühere manieristische Effekte sind ganz verschwunden. Bei aller geistigen Durchdringung und Differenzierung triumphiert zu guter letzt die schlichte Wahrheit des Ausdrucks, ganz auf stille Innerlichkeit gestellt, wie in Jacobis "Ruhn in Frieden alle Seelen" oder zu Recht mit dramatischem "Opern"-Akzent versehen, wie im großen Accompagnato-Monolog und in der ariosen Fülle des "Prometheus".

Günther Weißenborns Verständnis Schuberts und seines unvergleichlichen Sängers am Flügel war ebenfalls über jedes Lob erhaben.

A. v. D.

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