Zu den Liederabenden am 16., 18., 21., 24. Juni 1971 in Tel Aviv


     Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Juli 1971     

Fischer-Dieskau in Israel

Das erste Gastspiel mit drei Liederabenden

  

Ergriffenheit spürte man in Israels größtem Konzertsaal, in dem persönliche, intime Stimmung nur schwerlich aufkommt, als die letzten Klänge von Schuberts "Leiermann" erklangen. Eineinhalb Stunden hatte Dietrich Fischer-Dieskau dreitausend Menschen im pausenlosen Vortrag der "Winterreise" im Bann gehalten - ein Publikum, das nur zu einem Teil aus Menschen besteht, denen die deutsche Kultur, die Kunst des Liedes und die Meisterschaft dieses Sängers selbstverständliche Begriffe sind.

Neben den  mitteleuropäischen Hörern, die in Israel durchweg der älteren Generation angehören, fand Fischer-Dieskau sicheren Zugang zu einer jüngeren Hörerschaft, die in Israel aufgewachsen ist und - wenn überhaupt - nur in geringem Maße die deutsche Sprache beherrscht. Obwohl am musikwissenschaftlichen Institut der Tel Aviver Universität seit drei Jahren die Geschichte des Liedes zum festen Lehrstoff gehört und im Rundfunk die Schallplatten großer Liedinterpreten in allen Sprachen gesendet werden, sind Solo-Liederabende auch in den Kammerkonzerten in Israel noch Seltenheit. Eine Jugend aber, die Goethe, Heine, Eichendorff, Mörike und Rückert kaum in er Originalsprache lesen und verstehen kann, kennt die Liedliteratur von der Schallplatte her und versucht, die Dichtungen aus den Erklärungen der Plattentaschen zu verstehen.

Es war dieses jüngere israelitische Publikum, das Galerie und Balkon des Tel Aviver Konzerthauses füllte und dessen Begeisterung nicht enden wollte.

Der Kontakt zwischen dem Sänger und seinen Hörern war trotz der Größe - und Breite - des Saales schon mit den ersten Liedern des Zyklus hergestellt. Die drei Programme seines kurzen Israel-Gastspiels - des ersten eines Solisten aus Deutschland im großen Konzerthaus - widmete Fischer-Dieskau Beethoven und Schubert. Am ersten Abend sang er verschiedene Schubert-Gruppen, vor allem wenig bekannte Lieder; im zweiten Konzert sang er ausschließlich Beethoven-Lieder; der letzte Abend war der "Winterreise" gewidmet. Am Flügel begleitete der vielseitige Daniel Barenboim in idealer geistiger und künstlerischer Übereinstimmung mit dem Sänger, der sich auf höchster Höhe seiner Kunst zeigte. Für die aus Mitteleuropa stammenden älteren Menschen war dies das Schlagen einer Brücke, für die jüngeren die Eröffnung einer kaum bekannten Welt, für alle ein unvergeßliches Erlebnis.

Peter Gradenwitz

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     Tagesspiegel, Berlin, 27. Juni  1971     

    

Fischer-Dieskau in Israel 

    

Der große Saal des Hechal Hatarbuth in Tel Aviv war bis zum letzten Platz ausverkauft, auch auf der Bühne saßen noch Hunderte von Zuschauern, als Dietrich Fischer-Dieskau sein längst erwartetes und immer wieder verschobenes Gastspiel in Israel mit einem Schubert-Lieder-Abend begann. Wohl 3500 andächtig lauschende Hörer mochten im Konzertsaal sein. Der Sänger, sehr liebevoll und mit großer Einfühlung von Daniel Barenboim begleitet, mied fast ganz die bekannten "Schlager" unter den Schubert-Liedern. Erst bei den freigebig gespendeten Zugaben gab es den "Musensohn" und andere beliebte Lieder. Der Beifall war unermeßlich, zum erstenmal hat der repräsentative Liedersänger Deutschlands die Konzertsäle Israels erobert.

Drei Tage später erschien Fischer-Dieskau in noch verbesserter stimmlicher Verfassung als Solist des Israel Philharmonic Orchesters, das von Daniel Barenboim dirigiert wurde, und sang die "Lieder eines fahrenden Gesellen" so verinnerlicht und in rührender Schlichtheit, wie es heute niemand sonst auf der Welt vermag. Zwei weitere Liederabende - Bethoven-Lieder und "Die Winterreise" - stehen noch bevor.

Alfred Frankenstein

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