Zum Konzert am 10. Januar 1972 in Hamburg


Hamburger Abendblatt, 11. Januar 1972

Mit Mut zur Moderne

Mit zwei bedeutungsschweren zeitgenössischen Werken im Programm des 6. Philharmonischen Konzerts stellte Wolfgang Sawallisch sein Publikum auf die Probe. Im Sonntagskonzert soll noch einiger Widerspruch laut geworden sein. Gestern abend war das Auditorium mit gespanntester Anteilnahme dabei.

Mit der "Trauermusik" für Streichorchester von Witold Lutoslawski – dem Gedenken Bela Bartoks gewidmet – wurde das ausdrucksstärkste Werk des polnischen Komponisten vorgestellt. [...]

Spröder wirkte daneben der Zyklus für Bariton und Orchester des jungen Berliners Aribert Reimann (Hamburger Erstaufführung in Anwesenheit des Komponisten). Aber auch hier setzte sich die Expressivität der Musik zwingend durch, obwohl die Symbolik des sensiblen Lyrikers Paul Celan Rätsel genug aufgibt. Reimann kann mit Stimmen umgehen und versteht den Orchesterklang so zu filtern und zu färben, daß sie jedes der sechs Gedichte sowohl als Stimmungskonzert wie auch von einzelnen Schlüsselworten her erschließt: beispielsweise der "Lichtton" der Harfe oder die "grauschwarze Ödnis" der Kontrabässe. Dietrich Fischer-Dieskau setzte seine Autorität für dieses ihm gewidmete Werk ein, und seine intonationssichere, emotionsstarke Interpretation überzeugte unmittelbar.

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Sabine Tomzig

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