Zum Konzert am 15. und 16. Juli 1972 in Baumburg  


 

     Münchner Merkur, 18. Juli 1972     

KLEINE MUSIK-SENSATION IM CHIEMGAU

Rossini öffnet das Paradies

Baumburg: Die Petite Messe mit Fischer-Dieskau und Sawallisch

     

Die Bergsteiger und Musikliebhaber des Chiemgaus haben eines gemein: die schönsten Plätze, die man entdeckt hat, will man mit andern nicht teilen. So verrate ich in der Hoffnung, vergeßliche Leser zu finden, daß mitten im Chiemgau ein Konzert stattfand – und für den nächsten Sommer in ähnlicher Form geplant ist -, das das ungewöhnlichste dieses Sommers war: die deutsche Erstaufführung der "Petite Messe Solonelle" von Gioacchino Rossini in der Originalfassung.

Rossini schrieb diese Messe 1864, um den Papst zu überzeugen, daß nicht Kastratenstimmen, sondern die der Frauen der Kirchenmusik neues Leben geben werden.

Seinerzeit konnte diese Messe deswegen nur in einem großbürgerlichen Pariser Salon aufgeführt werden; jetzt fand diese Musik in der Originalfassung für vier Solostimmen und Doppelquartett, zwei Klaviere und Harmonium erstmals in Deutschland den Ort, für den sie bestimmt ist: eine Kirche, und zwar die des Klosters Baumburg zu Altenmarkt.

Diese originelle Partitur-Besetzung allein hätte wohl kaum zur Fernseh- und Schallplattenaufzeichnung geführt: erst die tatsächliche Besetzung machte das Ungewöhnliche zum Ereignis:

Am Soloklavier spielte und dirigierte Wolfgang Sawallisch, das Harmonium trat und spielte mit musikwissenschaftlicher Beredsamkeit Reinhard Raffalt, das zweite Klavier spielte Hans Ludwig Hirsch, dem man nicht nur die Entdeckung dieser Originalfassung verdankt, sondern auch die Einstudierung des Doppelquartetts durch die Münchner Vokalsolisten, die sich dem Stimmklang der Solisten ungewöhnlich homogen anpaßten.

Diese Solisten waren Kari Lövaas und Brigitte Fassbaender; kein Papst hätte jemals, hätte er Frau Fassbaender gehört, den geringsten theologischen Zweifel geduldet und gehabt, ob Frauenstimmen das Lob Gottes in der Kirche singen dürfen und können. Und bei den Herren waren die Solisten Peter Schreier und Dietrich Fischer-Dieskau. Welch ein Aufgebot! Keines der zahlreichen sommerlichen Kirchenkonzerte kann mit solcher Prominenz aufwarten.

Rossini mag eine solche Besetzung gewünscht und geahnt haben, als er auf das Titelblatt dieser seiner "kleinen, armen Messe" schrieb: "Für die opera buffa war ich geboren, du weißt es wohl. Wenig Theorie, ein wenig Herz, das ist alles. Sei gebenedeit und öffne mir das Paradies." Dem Hörer in der Klosterkirche Baumburg wurde das Paradies ein wenig geöffnet.

Johannes Justus

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