Zur Oper am 18. August 1972 in München


"Oper und Konzert", München, 9/1972 

Nationaltheater

Die Frau ohne Schatten

[...]

Wenn man im Olympiadesommer an diesem Abend Medaillen für die besten gesanglichen Leistungen zu verteilen gehabt hätte, so wäre einem die Entscheidung schwergefallen, denn eigentlich hätten alle fünf Protagonisten eine Goldmedaille verdient.

Hildegard Hillebrecht ist von Vorstellung zu Vorstellung mehr in die Rolle der Färbersfrau hineingewachsen und entsprach in dieser Aufführung absolut der Idealbesetzung. Ihre Stimme klang hell strahlend und ausdrucksvoll, im zartesten Piano wie im machtvollen Fortissimo. Frau Hillebrecht traf auch darstellerisch genau den Ton der erotisch unerfüllten, leicht hysterischen Frau und das psychologisch und intensiv aufgebaute Zusammenspiel mit Dietrich Fischer-Dieskau war wirklich meisterhaft. Den Barak, die melodischste Partie der Oper, sang Fischer-Dieskau mit unglaublich viel Wärme, Ausdruck und Menschlichkeit und machte somit die Figur des einfachen Färbers wirklich glaubhaft.

Mühelos und mit großer Leuchtkraft sang Ingrid Bjoner die anspruchsvolle Partie der Kaiserin. Die undankbarste Rolle des Werkes ist der Kaiser, denn er darf kaum spielen und eigentlich nur dastehen und singen. James King bewältigte diese Aufgabe mit dem heldentenoralen Glanz seiner sicher geführten Stimme. Die Amme Astrid Varnays war eine Meisterleistung an darstellerischer und gesanglicher Ausdruckskraft und wurde zu einem wahrhaftigen weiblichen Mephisto. Die Sänger der zahlreichen übrigen Rollen seien mit einem Pauschallob bedacht.

Das Publikum hielt sich an Baraks Worte: "Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt!" und feierte die Sänger und den Dirigenten mit einem Jubel, der nicht enden wollte.

Eva Elisabeth Müller-de Ahna

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