Zum Liederabend am 18.3.1973 in Düsseldorf


 

     Rheinische Post, Düsseldorf, 20. März 1973     

Huldigung dem Meister

Dietrich-Fischer-Dieskau begeisterte mit Brahms-Liedern

       

Liederabende von Dietrich Fischer-Dieskau gehören zu den Akzenten des Konzertlebens und mobilisieren die Musikfreunde. Das ausverkaufte Rheinhallenrund beim 9. Meisterkonzert zeigte dies einmal mehr.

Der dem Brahmslied vorbehaltene Abend erreichte bei aller Schönheit der Musik - "Also spiegle du in Liedern, was die Erde Schönstes hat" hieß es im Eingangslied – die Größe des Einmaligen nicht. Erlebt man im Schubertlied den Extrakt des gesamten Werkes, ist das Lied bei Brahms "nur" ein Teil seines Schaffens. Die lange Folge von Einzelliedern band sich hier nicht zum imaginären Zyklus und das Erleben der Romantik zerfiel zuweilen in Romantizismen.

Unbestritten der einzigartige Rang des Lieder-Interpreten Fischer-Dieskau, doch fielen im Verlauf der Vortragsfolge einige immer wiederkehrende Eigenheiten auf, die man mitunter als Klischees empfinden musste: So die forcierte Akzentuierung einzelner Wörter oder Silben. Man möchte von einer punktuellen Dynamik sprechen, die zwar ihre Wirkung hatte, manchmal jedoch auf Kosten musikalischer Innenspannung ging.

Dies sind Einwände, die sich gerade durch den hohen Grad der Interpretation aufdrängen, denen aber begnadete musikalische Augenblicke gegenüberstanden, wie sie sich in "Nachtwandler", "Meerfahrt", "Es träumte mir" oder "Regenlied" einstellen. Fischer-Dieskaus vollkommen vorgetragene Ausgewogenheit von Phrasierung und Artikulation, und die lyrische Intensität des Nachempfindens in vollendeter Partnerschaft mit Günter Weißenborn am Flügel verband sich in diesen Liedern zu einer Meisterschaft, die schon mehr als zwei Jahrzehnte ihren Weltruhm behauptet.

H. J. Münstermann

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     Neue Rhein-Zeitung, Düsseldorf, 20. März 1973     

Unvergleichlich ist sein edles Timbre...

9. Meisterkonzert mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Rheinhalle

    

Das 9. Meisterkonzert erwies sich mit Dietrich Fischer-Dieskau und seinem Begleiter Günther Weißenborn erwartungsgemäß als eine musikalische Attraktion, die mühelos über Regerabende obsiegte und die Rheinhalle füllte. Die Programmauswahl war verdienstvoll, weil sie sich wenig bekannter Brahms-Gesänge annahm, was allerdings den Trend zu stilistischer Eintönigkeit mit einschloß.

Ein Meisterkonzert mit der Paarung Fischer-Dieskau/Schubert vor etwa zwei Jahren an gleicher Stelle war noch als eine Erfüllung romantischen Liedgesangs in Erinnerung: ein Prädikat, das man nach diesem Konzert nicht erneuern konnte. Fischer-Dieskaus Manier der Überinterpretation, die ihm schon so manch herbe Kritik einbrachte, trat fast ständig in Erscheinung.

Dabei gibt es an seiner sängerischen Potenz nach wie vor nichts zu mäkeln. Unvergleichlich ist sein wunderbares, edles Timbre, mit dessen weichem Wohllaut er Lyrismen entfalten kann wie kein zweiter. Stellvertretend dafür sei das Lied "Nachtwandler" genannt, in dem er "Schlummer" und "Traumversunkenheit" auf berückend schöne Weise bruchlos zwischen zarten Brust- und Kopftönen pendelnd darstellte.

Es ist vielmehr seine gestalterische, analysierende Intelligenz, die ihn verführt, Text- und Melodiebehandlung ad ultimo zu nuancieren und mit Bedeutungsschwere zu behängen – und das bei einem Komponisten, dessen Melodik so stark vom Volkslied gespeist wird! Kein Substantiv und Adjektiv, das nicht durch irgendeinen sängerischen Kunstgriff, sei er deklamatorischer Art, ein Portamento, Vibratobehandlung oder Dynamik, eine sinndeutende Pointierung erhielte.

Mangel an Einfachheit erweist sich so vielfach nicht mehr als interpretatorischer Gewinn, sondern als eine – im Falle Brahms – unangebrachte Skepsis in die Eigenwirksamkeit des Notentextes. Des Sängers stete Bemühungen, selbst in vorwiegend frisch-fröhlich gemeinten, jugendlichen Gesängen wie "Frühlingslied" und "Regenlied" auf fast jedem Ton mit den genannten Techniken zu psychologisieren, lassen zuviel natürlichen melodischen Fluss vermissen. Hand in Hand damit geht eine narzisstische Komponente, nämlich die Neigung, sängerisches Raffinement in einer Weise anzubieten, die recht deutlich im Dienste der Selbstdarstellung steht ("Es träumte mir").

Klavierpartner Günther Weißenborn arbeitete die ebenso dienende wie selbständig charakterisierende Bedeutung seiner Parts vorbildlich heraus. Es gab Ovationen und die gewohnte Publikumsversammlung zu Füßen des Sängers.

Rainer Peters

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     Düsseldorfer Nachrichten,  20. März 1973     

Lieder von Brahms

Fischer-Dieskau im 9. Meisterkonzert

    

Für 1973 hätte man von Dietrich Fischer-Dieskau, der doch sonst kein Wagnis scheut, eigentlich einen Max-Reger-Liederabend erwartet. Statt dessen zog er sich auf Johannes Brahms zurück, aber es erwies sich, daß das auch nicht ohne Risiko ist. Brahms hat zwar ein Dutzend kostbarer Liedperlen von Schubertschem Rang geschrieben, aber einen ganzen Abend lang ist seine weiche, schwärmerisch-melancholische Gefühlslage kaum durchzuhalten. Fischer-Dieskau brachte viel Unbekanntes, aber wir könnten nicht sagen, daß dabei ein Geniestück zutage gefördert worden wäre.

Zum Phänomen des Liedersängers Fischer-Dieskau ist nun, nach mehr als 25 Jahren öffentlichen Auftretens, wirklich nichts Neues mehr zu sagen. Der Sänger hielt auch beim 9. Meisterkonzert in der ausverkauften Rheinhalle sein Publikum völlig im Bann, obschon sein Edel-Bariton bei allen Qualitäten nicht über die sinnliche Verführungskraft eines Belcantisten verfügt. Fischer-Dieskau bleibt sich treu. Er läßt nicht nach, nach höchster Wortverständlichkeit zu streben, den geistigen Gehalt der Lieder auszuspüren, er kann Legato singen, und wenn das im Piano geschieht, ist es wunderbar. Er läßt sich aber auch nicht davon abbringen, weiter willkürliche Crescendi einzubauen, die bis zum völligen Registerwechsel gehen und die dem Sinn der Texte zuwiderlaufen. Immerhin geschah das selten an diesem Abend, die vollkommen einheitlich und streng durchgeführten Gesänge waren weit in der Überzahl. Einheitlich stürmisch rauschte "Wehe, so willst du mich wieder" vorüber, einheitlich lyrisch schwebte die "Abenddämmerung" dahin. "Es träumte mir" geriet zum herrlichsten Pianissimo-Zauber, "Ständchen" und "Königin" boten gegen Schluß packende Gegensätze, hier strahlenden Übermut, dort schwelgerisches Gefühl.

Meister Günther Weissenborn war schlechthin phantastisch.

Alfons Neukirchen

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