Zum Liederabend am 20. März 1973 in Wuppertal


    

     Generalanzeiger, Wuppertal,  22. März 1985     

Grundton von Schmerz

Dietrich Fischer-Dieskau sang Lieder von Brahms

     

Seit Dietrich Fischer-Dieskau mit seiner Liedkunst die Hörer verzaubert, seit er auch in Wuppertal regelmäßig einkehrt (von 1950 an), hat er wohl noch an keinem Abend ein Angebinde von Stilen kredenzt (vom geistlichen Gesang bis zur effektvollen Arie etwa), sondern sich auf Zyklen oder Themen (Goethe-Lieder) konzentriert, meist auf einen Komponisten. Diesmal war der überwiegend unbekannte Brahms an der Reihe (nach der "Schönen Magelone" vor einigen Jahren). Und da zeigte sich, daß der im wesentlichen durchgehaltene Grundton von Schmerz, Traum, Tod, daß Inbrunst der Melodie und zwielichtig verhangene Harmonien der Gefahr der Monotonie nicht entgehen (Schuberts Lied-Kosmos ist weit vielschichtiger).

Fischer-Dieskau begegnete der Gefahr der Eintönigkeit dadurch, daß er die Opuszahl-Gruppen aus vier Jahrzehnten geschickt mischte, Kontraste sprechen ließ, etwa Versenkung und Ausbruch, und daß er ein Höchstmaß von Vortrags-Nuancen mit überlegenem Kunstverstand anbrachte. Mitunter schwillt der Ton allzu kräftig und forciert an, werden Kantilenen leicht überdramatisiert – aber das bestrickende Timbre dieses Baritons, die Fähigkeit des Sängers, den jeweiligen Ausdruck tief auszuloten, halten den Hörer von Anfang bis Ende in Bann.

Fröstelnder, eisiger kann das "Herbstgefühl" mit seiner Hinwendung zum Tode wohl nicht beschworen werden. Beim Durchmessen des Piano-Bereichs in "Es träumte mir" überraschten immer wieder neue Differenzierungen. Schelmerei durchwirkte das "Ständchen", und die Trunkenheit von Goethes Weinlied ("Unüberwindlich") brach sich mit trotzigem Übermut Bahn. Man wurde nicht müde, diesen so intensiv durchfühlten Tönen zu lauschen.

Günther Weißenborn ist zudem ein Partner am Flügel, der an Sensibilität des Empfindens dem Sänger nicht nachsteht. Bei den so wichtigen Nachspielen war es, als ob die Lieder zu Ende gedichtet würden.

Im sehr gut besetzten Stadthallensaal hielt der durch fünf Zugaben gewürzte Beifall eine halbe Stunde lang an.

Alfred Mayerhofer

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