Zum Konzert am 8. August 1973 in Salzburg 


   

     Frankfurter Allgemeine, 6. September 1973     

Maß und Übermaß des Schönen

Symphonischer Ausklang der Salzburger Festspiele

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Mit den Londonern (Anm.: London Symphony Orchestra) stellte Wolfgang Sawallisch die harmlose D-Dur-Symphonie von Schubert an den Kopf eines Abends, der brillant mit Richard Straussens Eulenspiegel-Rondo schloß. Dazwischen gab es fünf Gelegenheitsarien, die Mozart Sängern auf den Leib geschrieben hat, einige von bescheidenstem Inhalt wie die Zuckerplätzchen-Warnung an Väter genäschiger Mädchen, die polyglotte Einlage "Nach der welschen Art" für die "Finta Giardiniera", das türkisch-exotisierende "Ich möchte wohl der Kaiser sein!" und der "Bacio di mano". Dietrich Fischer-Dieskau zeigt in derlei Bagatellen seinen Komödiantencharme und den erstaunlichen Ambitus seiner Oktaven, dazu im Abschied des "Mentre ti lascio" eine komprimierte Schwermut, die erlebt wirkt und überzeugt.

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H. H. Stuckenschmidt

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     Salzburger Nachrichten, 10. August 1973     

Till Eulenspiegel nach Londoner Art

Glanzvolle Strauss-Interpretation des London Symphony Orchestra unter Wolfgang Sawallisch

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Für Konzertarien von Mozart kam anschließend Dietrich Fischer-Dieskau aufs Podium. Der Sänger hatte Werke der leichten Gangart ausgewählt, Werke, die zwischen Jux und Schelmerei nicht allzuviel Darstellungsnuancen fordern. Auf dem großen Podium sandte Fischer-Dieskau seine mit viel Mimik gestützten Arien nach rechts und links, damit jeder im ganzen Saal des Großen Hauses etwas abbekam, aber es zeigten sich wieder einmal die akustischen Nachteile, die solch gutgemeinte Schallverteilung für die ungünstig placierten Hörer, vor allem rechts vom Dirigenten, in sich birgt. Die aufgeräumte, von Fall zu Fall auch bübisch-kecke Darstellung des Baritons war auf Artikulation, auf schnelle Stimmungswechsel hin angelegt, das Singen kam etwas kürzer. Die ausgewählten Konzertarien, die Mozart damals zur Verwendung in eigenen und fremden Opern für die Gesangssolisten komponiert hat – etwa für "La finta giardiniera" oder für Paisiellos "La disfatta di Dario" – sind für einen kleineren Rahmen konzipiert. "Männer suchen stets zu naschen" KV 433, "Nach der welschen Art" aus KV 196 oder "Mentre ti lascio" KV 513 sind für die Matineen-Programme besser geeignet als zur bemüht wirkenden Aufwertung im Großen Haus.

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Wenn die Londoner nicht am Ende mit Strauss einen Super-Trumpf ausgespielt hätten, wäre es ein gutes, informatives Konzert gewesen, das auch einer Klischeekorrektur der oft ein wenig verkannten Persönlichkeit Wolfgang Sawallischs nicht übermäßig gedient hätte. Mit "Till Eulenspiegel" auf dem Erfahrungskonto des Publikums war zuletzt auch der Dirigent ins rechte Licht gerückt. Mir erscheint Sawallischs Arbeit an der Sache stetiger und zuverlässiger als die blendenden Kapriolen von vielen Fuchtlern.

Peter Cossé

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     Stuttgarter Zeitung, 20. August 1973     

Mit breitem Pinsel und in Oel

 Salzburger Festspielkonzerte

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Die einzigen Raritäten aller fünf Londoner Programme (Anm.: des London Symphony Orchestra) waren Wolfgang Sawallisch zu danken, der sich, wie zuvor auch schon anderswo, wiederum mit Vehemenz für die erste Symphonie von Kurt Weill einsetzte, ein zweifellos interessantes, aber letztlich doch zu unreifes, disparates Jugendwerk, als daß ein so repräsentatives Herausstellen gerechtfertigt wäre. Am überzeugendsten wirkt noch der idealistische, optimistische Zug der Partitur, aber Weill hat recht gut gewußt, warum er das im Alter von einundzwanzig Jahren geschriebene einsätzige Werk zeitlebens nicht mehr aufführen ließ. Nur scheinbar kontrastierend die Idee Dietrich Fischer-Dieskaus, dieser Vision von Frieden und Gerechtigkeit ein veritables Kriegslied von Mozart gegenüberzustellen: "Ich möchte wohl der Kaiser sein", KV 539. Ganz so militant ist das "türkisch" kolorierte Lied, das Mozart für einen Komödianten am Lepoldstädter Theater schrieb, nämlich gar nicht gemeint, und Fischer-Dieskau trug es entsprechend selbstvergnügt vor.

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Gerhard Brunner

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