Zum Konzert am 16. September 1973 in Berlin


 

     Der Tagesspiegel, Berlin, 18. September 1973     

Böhms Beethoven

Philharmoniker - RSO - Symphonisches Orchester

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Solist der "Kindertotenlieder" war Dietrich Fischer-Dieskau: interpretatorische Beseelung der Mahlerschen Bilderwelt ist differenzierter und eindringlicher nicht denkbar, zumal in der leuchtenden Anschauung des Gewesenen, mit der die Musik die Gedichte überhöht. Kongenial das Orchester unter Maazel von der Oboenklage des Beginns über die Schmerzensakzente und -vorhalte des zweiten Liedes bis in die Klarinetten- und Streicher-Dunkelheit, in der die Komposition gleichsam versinkt.

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Sybill Mahlke

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     Berliner Morgenpost, 18. September 1973     

Musikalische Kostbarkeiten

  

Lorin Maazel hatte sich in seinem Abonnementskonzert des Radio-Symphonie-Orchesters im Großen Sendesaal zu einem Programm musikalischer Kostbarkeiten entschlossen.

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Daß Dietrich Fischer-Dieskau geradezu ein Experte für Mahlers "Kindertotenlieder" ist, hat er schon oft bewiesen. Diese Aufführung erlangte ihren besonderen Reiz dadurch, daß der Sänger für seine expressive Vortragsweise neue, durchdachte Nuancen gefunden hatte, zu denen die äußerst durchsichtige, fast gläserne Sensibilität der Radio-Symphoniker einen eigentümlichen, aber durchaus werkgerechten Kontrast bildete.

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Wilfried W. Bruchhäuser

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     Die Welt, Ausgabe Berlin-West, 18. September 1973     

Ohne Weihrauchschwaden

Maazel dirigierte Bruckners Fünfte im Sendesaal des SFB

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Anschließend sang Dietrich Fischer-Dieskau die "Kindertotenlieder" von Gustav Mahler. Mit einem verinnerlichten Expressivo ohnegleichen gestaltete er diese Gesänge, deren Geist tiefste Resignation und düsteren Fatalismus in einen Klang von bruchloser herber Schönheit gepreßt wurde. In der Verhaltenheit so beklemmend wie im ekstatischen Ausbruch. Überschwenglicher Beifall auch für Fischer-Dieskau.

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Wolfgang Schultze

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     Spandauer Volksblatt, Berlin West, 18. September 1973     

Gesang - einfach, expressiv

Fischer-Dieskau, Maazel und Böhm in Konzerten der "Festwochen"

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Adorno fordert für die Interpretation von Mahler-Liedern Einfachheit des Gesangs, aber auch ein Äußerstes an Expression. Diese Einheit des Gegensätzlichen leistet Dietrich Fischer-Dieskau in den "Kindertotenliedern" in bewundernswerter Weise. Er ist einer, "der vor sich hinsingt"; Kraft, Samt und Weichheit seines Baritons sind im Liedgesang ja immer noch ohne Vergleich. Und es gelingt ihm ebenso, "jede Regung ins Phänomen zu rücken". Ein Beispiel. Wenn im ersten der fünf Lieder der Sänger, dem in der Nacht die Kinder starben, die aufgehende Sonne begrüßt, so könnte das leicht als frommer Trost, als die Heilszuversicht eines Paul Gerhardt verstanden werden. Bei Mahler verdoppelt es die Verzweiflung, wie grausam gleichgültig die Natur gegen das Unglück des einzelnen ist. Es steht in seinem Lied, aber Fischer-Dieskau bringt es mit kunstvoller Schattierung auch unüberhörbar heraus, ohne je ins Outrierte zu fallen. Sensitiv versah das RSO unter Maazel den Orchesterpart mit seinen klagenden und grellen Lauten.

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Hans-Jörg von Jena

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     Berliner Alllgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Berlin West, 26. Oktober 1973     

Maazel musikalischer Mittelpunkt

Anmerkungen zu den Berliner Festwochen 1973

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Die gleiche Hochstimmung herrschte, als Dietrich Fischer-Dieskau nach langer Abwesenheit wieder einmal in seine Heimatstadt kam, um Gustav Mahlers "Kindertotenlieder" in stimmlichem Glanz und vergeistigter Form zu interpretieren.

Es gehört zu den erfreulichen Zeichen der Zeit, daß sich Konzerte mit Werken Gustav Mahlers nach jenem Aufführungsverbot durch die Nationalsozialisten in Deutschland jetzt wieder wachsenden Zuspruchs erfreuen. So auch während des Berlin-Gastspiels vom Concertgebouw Orkest Amsterdam mit Bernard Haitink an der Spitze. Er ließ Mahlers Erster eine vollendete Ausdeutung angedeihen, in welcher sich zugleich der niederländische Klangkörper wieder einmal als zur Weltklasse gehörend erwies.

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Heinz Elsberg

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