Zur Oper am 7. Dezember 1973 in München    


     Süddeutsche Zeitung, 10. Dezember 1973     

Giacomo Puccini - Tragiker und Buffonist

"Der Mantel" und "Gianni Schicchi" - Neuinszenierung in München

     

Das Opus heißt eigentlich "Trittico" und besteht, wie der Name besagt, aus drei Einaktern. So ist es vor einer Reihe von Jahren im Prinzregententheater gegeben worden, mit dem Mittelstück "Schwester Angelica", das sich schon bei der New Yorker Uraufführung 1919 als das schwächste der Trilogie herausgestellt hat - eine wehleidig-sentimentale Geschichte vom "Fehltritt" einer Nonne - und heute kaum noch gespielt wird. Dagegen gehören der tragische "Mantel" und der komische "Gianni Schicchi" nicht nur zum Besten Puccinis, sondern der italienischen Oper nach Verdi überhaupt, und mit einer großen sängerischen Besetzung ist an einem durchschlagenden Publikumserfolg kaum zu zweifeln. Die Neuinszenierung im Nationaltheater bewies es: Die Wogen der Begeisterung gingen hoch, kein Buh war zu vernehmen, und ein als enragierter Stimmfan bekannter Besucher meinte beim Hinausgehen befriedigt, nun habe man sich in der Intendanz doch wieder einmal vorbehaltlos auf das primäre Recht der Oper am schönen Gesang besonnen.

Schauerdrama am Seine-Kai

Der Mantel, der dem ersten Stück den Titel gibt, öffnet sich kurz vor Schluß. Darunter liegt ein Toter - der Löscher Henri, den der Schleppkahnbesitzer Marcel umgebracht hat, weil seine Frau jenen viel Jüngeren liebt. Man weiß nicht genau, drückt er die entsetzt aus der Kajüte Heraufstürzende (wie es das Libretto von Giuseppe Adami vorschreibt) nur auf den Leichnam ihres Geliebten nieder oder erwürgt er auch sie, deren Betrug er längst gemerkt hat, gleich noch mit. Jedenfalls bricht da, nach einer Reihe von eher friedlichen Stimmungsbildern, jählings das Schauerdrama herein, so wie man es in Paris im leider nicht mehr existierenden "Grand Guignol" zu sehen bekam, das für seine perfekt naturalistische Darstellung von Schreckensszenen, von Mord- und Greueltaten jeder Art berühmt war, längst bevor der avantgardistische Neurotiker Artaud sein "Theater der Grausamkeit" propagierte. Günther Rennert läßt in seiner Inszenierung ahnen, daß das scheinbare Idyll am Seinekai düster ausgehen wird: Die Pariser Häuserzeile, mit der Ita Maximowna ihr Bühnenbild über der Kaimauer abschließt, hat in ihrer Gedrücktheit nichts anheimelnd Pittoreskes, die Laternen auf der Brücke brennen trüb, man glaubt eine dumpfe, schwelende Luft zu spüren, und mehr und mehr verdichtet sich das Idyllische zum Balladesken, bis mit dem veritablen Moritateneffekt des Schlusses die Ballade brüsk endet.

Wolfgang Sawallisch macht dazu die Musik, mit allen Feinheiten und Grellheiten von Puccinis Partitur. Die Klangimpressionen der träge dahinfließenden Seine - Debussy ist nicht ohne Wirkung auf Puccini geblieben -, der verstimmte Leierkasten mit seinem (zu leise gespielten) Musettewalzer, das Liedchen von der Mimi (mit dem diskreten "Bohème"-Zitat), das der Chansonverkäufer (Willi Brokmeier) singt, das Zapfenstreichsignal aus der fernen Kaserne, das alles suggeriert mit oft delikat gebrochenen Farben die Atmosphäre. Wo aber die Affekte hervorbrechen, geht Sawallisch mit vollen Segeln in die große Melodik, gibt er dem Schwelgerischen in Puccinis Kantilene breiten Raum und den Sängern das im sinnlichen Streicherklang vibrierende Fundament für die Entfaltung lyrischen und dramatischen Belkantos. Und wie sie davon Gebrauch machen! Voran Julia Varady als Schiffseigners Frau Georgette, triebhaft, leidenschaftlich, dem Liebhaber verfallen und zugleich vom Gewissen und dem Gebot der Verheimlichung verängstigt, - eine von einer großen dramatischen Sängerin faszinierend verlebendigte Figur. Robert Ilosfalvy, fast etwas unnuanciert im Gebrauch seiner heldentenoralen Stimmkraft, ist als Löscher Henri genau der Typ des "ersten Besten", an den sich eine umbefriedigte junge Frau hinwirft.

Dietrich Fischer-Dieskau aber, bei dem das Herrenhafte vom Stimmtimbre und von der Erscheinung her immer durchschlägt, auch wenn er einen proletarischen Menschen zu verkörpern hat, überhöht dadurch die Figur des Marcel über einen Affektmörder hinaus zu einem, der "Gericht hält" - auch wenn die Strangulierung des Nebenbuhlers an realistischer Brutalität kaum zu überbieten ist. Am stärksten wird die enttäuschte Liebe des im Grunde gutmütigen Mannes spürbar, wenn er seine Frau bittet, bei ihm zu bleiben - da erscheint in Fischer-Dieskaus ergreifend ausdrucksvoller Betonung hinter dem Seineschiffer Marcel Barak, der Färber aus der "Frau ohne Schatten". Gute Milieutypen: Friedrich Lenz und Kieth Engen als Löscherkameraden des Getöteten, und das "Frettchen", die skurrile Episodenfigur eines Frauenzimmers, das die Abfalleimer nach Putz, Hausrat und Futter für ihre gelbe Katze durchstöbert, und das man sich eigentlich kümmerlicher, verwuselter vorstellt als die auch in verblichener Aufmachung immer noch eine gewisse abgetakelte "Tenue" bewahrende Hertha Töpper.

Komödie der Erbschleicher

Der Moritat folgte der Mordsspaß: "Gianni Schicchi", nach Rossinis "Barbier" und Verdis "Falstaff" die genialste Buffa, die Italien hervorgebracht hat. Ein Schelmenstück, das bei Boccaccio stehen könnte; es steht aber bei Dante - genauer, es stehen bei ihm im "Inferno" der "Göttlichen Komödie" die paar Verse, von denen sich Giovacchino Forzano zu einem Libretto anregen ließ, zu dem Puccini seine sprühendste, witzigste und geistreichste Partitur geschrieben hat, eine Allegro- und Ensemble-Oper par excellence, das auf eine Stunde zusammengedrängte musikalische Pendant zu der in jahrhundertelanger Tradition gewachsenen toskanischen Schwankliteratur. Es ist eine Musik von höchster Drastik und Schlagkraft in der Charakterisierung der Figuren und der Zeichnung der szenischen Situationen, aber auch von höchster Geschmeidigkeit und Eleganz der Faktur, eine Girlande sich jagender instrumentaler und vokaler Pointen von dem passacaglia-artigen parodistischen Lamento an, in dem die erbschleichenden Verwandten des gerade entschlafenen Buoso Donati mit Krokodilstränen seinen Tod beklagen, bis zur schmetternden triolischen Schlußfanfare, nachdem sie von dem schlauen Gianni Schicchi mit dem von ihm diktierten gefälschten Testament geprellt worden sind.

So etwas inszeniert Rennert hinreißend, turbulent, doch nicht outriert - in der italienischen Farce geht es ja immer viel drastischer zu als im deutschen Lustspiel - mit einem präzisen Durcheinander, das plötzlich zu urkomischen Gruppierungen erstarren kann, um gleich darauf mit neuer Vehemenz loszufegen, und Sawallisch gibt dazu mit seinem "tempo giusto", dem Brio und der Beweglichkeit seines Orchesters die Anstöße, voller Temperament, Laune und Freude am Spaß. Es war ein einziges klingendes Gelächter, nur zu lyrischer Kantabilität zurückgenommen in der schmelzenden As-Dur-Canzonetta von Elke Scharys reizender Schicchi-Tochter Lauretta oder in lyrischer Überschwenglichkeit verströmend in ihrem Liebesduettino am Schluß mit Claas-Haakan Ahnsjö, einem schlanken jungen Herrn, dem alle Segnungen eines italienischen Primo-Amoroso-Tenors in seine, wie der Name annehmen läßt, doch wohl auf nordischem Boden geschaukelte Wiege gelegt worden sind. Und dazu die erbgierige Verwandtenmeute, eine Auslese komischster Typen jeglichen Alters von dem quirligen Büblein des kleinen Pius Hörwick bis zu dem klapprigen Alt-Podesta von Kieth Engen an der Spitze der Männer (David Thaw, Gerhard Auer, Raimund Grumbach) und mit der ihre Vis comica genußvoll ins Hinterlassenschaftsgefecht führenden Buoso-Base Zita von Martha Mödl als Kommandeuse des Weibertrios (mit Antonie Fahberg und Gudrun Wewezow). Es gab keine Niete in diesem Ensemble, zu dem noch - bei köstlich gravitätischer Musik - Hans Wilbrink als Arzt und Albrecht Peter als Notar stießen, alle umschlossen von dem zum Schlachtfeld menschlicher Habgier verwüsteten Sterbezimmer des Buoso Donati, in das, gar nicht traurig, Ita Maximowna das Sonnenlicht der schönen Stadt Florenz hereinfallen ließ.

Zentralgestirn der Luxusgaudi: Der Komiker Fischer-Dieskau. Diskreter in der Maske als seine italienischen Buffa-Kollegen (die Nase hängt ihm nicht bis über die Unterlippe), aber ebenso beweglich und drollig wie sie; mit ironischer Grandezza, weniger ein bäuerlicher Schlaukopf als etwa ein geriebener Winkeladvokat (er kennt das Gesetz und kann Latein), spiellustig bis zur Clownerie. Des volltönenden Gesangs der weltberühmten Stimme mächtig wie, wenn er den sterbensmatten Buoso Donati spielt, ihrer knarzenden, krächzenden Karikatur und schnupfig-nasalen Verfärbung (woran man wieder einmal bemerkt, wie souverän er seine Kunstmittel auch als Buffonist anwendet), mit seiner unübertrefflich klaren Deklamation auch dem Wortwitz nichts schuldig bleibend. Mit all dem ist er nichts weniger als ein sich selbstgefällig "auch mal so" präsentierender Star, sondern ein herrlicher Komödiant in einer Bande von herrlichen Komödianten, die zu all ihrer Agilität auch noch ein humoristisches Vokalkonzert von höchster Brillanz aufführen - wen sollt’ es da nicht alsbald wieder ins Nationaltheater ziehen, um ihnen noch einmal zuzuklatschen und, das nicht zu vergessen, dem im November 1974 fünfzig Jahre toten Giacomo Puccini seine Reverenz zu erweisen (vielleicht auch, ob bisher gezeigter hochmütiger Geringschätzung, Abbitte zu leisten), der ein genialer Musiker war? Karl Amadeus Hartmann schätzte und liebte ihn sehr.

K. H. Ruppel

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     Die Zeit, 14. Dezember 1973     

Oper: Zweimal Puccini in München

In Wahrheit genießen

   

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Auf diesem Hintergrund hebt sich um so erhabener ab, was Günter Rennert dieser Tage im Münchner Nationaltheater mit Giacomo Puccinis Einakter-Serie "Der Mantel" und "Gianni Schicchi" vorstellen kann (die eigentlich auch noch hinzugehörende moralinsäuerliche Kolportage "Schwester Angelika" mag auch er nicht zeigen).

Einerseits verleugnet Rennert nicht die Künstlichkeit der Welten, in denen so Markantes wie ein Doppelmord aus Eifersucht und so Nebensächliches wie eine Testamentsfälschung als Denkzettel für die allzu Habgierigen im Grunde nur die Vehikel darstellen dafür, daß jemand zeigt, wie gut er doch zu singen versteht. Rennert läßt in beiden Stücken bis hart an die Grenze zum Outrierten, manchmal sogar noch darüber hinaus überziehen; so verliert er die Wirklichkeit und gewinnt sich eine neue Wahrheit.

Denn Rennert baut, andererseits, seine Charaktere in eben dieser weltlich-menschlichen Wahrheit - den schweigsam-argwöhnischen, despotisch-aufbrausenden, zu Zärtlichkeit wie zur Gewalt neigenden Seine-Schiffer Marcel im "Mantel" wie den Gianni Schicchi, der die menschlichen Schwächen, Eitelkeiten und Mißgünste durchschaut und listig verschlagen seinen Vorteil nützt. Und beide garniert er mit den Staffage-Typen des Genres, dem Flittchen und der komischen Alten, dem dumpfen Alkoholiker und dem tumben Advokaten. Das hat Stil und Brillanz, ist komisch und maßvoll, ist locker und doch kontrolliert.

Allerdings hat er auch einen Komödianten, der die Verwandlung durchstehen und mitvollziehen, der beide Rollen in dieser Wahrheit bieten kann: Dietrich Fischer-Dieskau. Wenn er den Monolog des Marcel singt, wenn er um Liebe bettelt und doch weiß, daß es vergebens sein muß, steigert sich Fischer-Dieskau fast in die visionäre Gewalt eines Holländers hinein; wenn er nach der Pause, mit weit ausholender Theatralik, die gegen sein testamentarisches Diktat protestierende Verwandtschaft aus dem Haus jagt, blitzt ihm der Schalk aus dem tyrannenhaft grimassierenden Gesicht: Tragische Größe und kauzige Skurrilität vereinigt Fischer-Dieskau in brillanter Weise.

Da zudem Wolfgang Sawallisch das gebührende Maß an Verismus in der Musik entdeckte, da es belcantistische Gesangskunst mit Puccinis Schmelz und Härte, mit Sentiment und vordergründigem Spaß, mit Präzision und dramatischem Furor zu hören gab, war Münchens Opern-Gemeinde aus dem Häuschen - wohl mit Recht.

Oper als Theater - so unmöglich ist es denn wohl doch nicht, und das Kulinarische, das reine Genießen ist keineswegs dadurch abgeschafft. Talent, so scheint’s, oder Können bringen es zuwege. Aber die müssen’s offenbar auch schon sein.

Heinz Josef Herbort

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     Die Welt, Ausgabe Berlin-West, 12. Dezember 1973     

Mord, Mord und wieder Mord

Opern in München: Puccini-Einakter

   

In erster Linie vermutlich, um Dietrich Fischer-Dieskau zwei interessante, dazu noch konträre Partien zuzuliefern, ihn am selben Abend als tragischen Helden wie als komischen Galgenvogel auftreten zu lassen, hat Günther Rennert im Nationaltheater Eingangs- unbd Endstück von Puccinis "Trittico" angesetzt, die traurig-schaurige Moritat und die überwitzige Komödie, den "Mantel" gemeinsam mit "Gianni Schicchi".

Zum einen sehen wir ihn also schwerschrötig mit Schiffermütze und Pfeife rachedürstend aus seinem Schleppkahn am Quai der Seine im Halbdunkel der Pariser Nacht; zum anderen rotschöpfig und in bunte Fetzen gehüllt wie ein Eulenspiegel der Toscana, als agil herumspringenden, verschmitzt schmunzelnden Erbfälscher in der Helle eines Florentiner Tages. Auch die Stimme macht die Totalverwandlung, die Fischer-Dieskau hier abgefordert ist, mit, wandelt sich vom Tonfall elegischen Grübelns und pathetischen Vollausbruchs in flinke, gestochene Parlando-Gespreiztheit, badet da nicht in Tönen, sondern setzt diese als Mittel scharfzüngiger Charakterisierung ein. Und der verwandelte Schicchi-Bariton darf sich dabei noch einmal, mit beträchtlichem Lacherfolg beim Publikum, wandeln in die meckernde Gerissenheit eines greisenhaften Dickkopfs, wenn er im Leichenbette des Buoso Donati dessen Stimme beim Diktieren des Testaments imitiert.

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Die Aufführung der Spätbuffa bricht aus dem landläufigen Bild, das sich die Regisseure von ihr machen, nicht aus. Eine Rennert-Inszenierung, wie man sie schon kennt, ohne sie zuvor gesehen zu haben, in einer putzigen Maximowna-Dekoration mit purzelnden Situationsgags, frei von jeder Geschwindigkeitsbeschränkung, sauber ausgespielt bis in die Randdetails, heiter-versöhnlich eher als boshaft-bitter. Auch die raffgierige Verwandtenschar des Toten ist mehr humorig als hämisch gesehen. Eine Erbanlage zu langgezogenen Stupsnasen hat, scheint’s, die Familie heimgesucht, deren würdigste und widerlichste Vertreter die resolut mit dem Krückstock sich Gehör verschaffende Zita von Martha Mödl und der tapsende Schleicher des Altpodesta von Kieth Engen sind. Den funkelnden Facetten der Lauretta-Arietta bleibt Elke Schary einiges schuldig; des Rinuccio Lobpreisungen Florenzens singt Claes-Haakan Ahnsjö mit der Stilreinheit eines hellen Mozart-Lyrikers. Wolfgang Sawallisch führt der Aufführung schneidende, schneidige Schärfe, vitales, doch nie überzogenes Tempo, aufschießendes Temperament zu. Er läßt den Spaß schäumen.

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Dem "Schicchi" ist er näher als dem "Mantel". Die Eifersuchtsballade im Flußkahn, heutzutage doch unterschätzt, ist eine der vorgetriebensten Partituren Puccinis. Daß nur von ferne her ein "Bohème"-Zitat ans Ufer klingt, hat durchaus auch symbolische Bedeutung. Nie ist der Komponist dem Impressionismus verbundener gewesen als hier, seine Harmonik gebrochener, sein orchestrales Kolorit selbständiger, leuchtender, der gesamte Duktus feuilletonistischer, sich verästelnder in stimmungshafte Partikeln, aus denen die großen "Nummern" wachsen. Schwebender, mit mehr Sfumato-Vergangenheit, stärker opalisierenden Lichtwechseln als hier, wo Sawallisch sehr auf stämmige, direkte Dramatik setzt, könnte man sich das schon denken.

In ein graudüsteres Seine-Panorama hat Ita Maximowna das Elend der Schiffer und Löscher umgesetzt. Gut fügen sich die Sänger in Rennerts schwerblütig-realistische Zeichnung des Milieus, wenngleich in den tragenden Partien Julia Varady als Georgette und Robert Ilosfalvy als Henri die Intensität Fischer-Dieskaus, seine Artikulationsdeutlichkeit nicht voll erreichen.

Autor unbekannt

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     Frankfurter Rundschau, 14. Dezember 1973     

Fischer-Dieskau in neuen Rollen

"Der Mantel" und "Gianni Schicchi" in der Bayerischen Staatsoper

    

Dietrich Fischer-Dieskau in völlig verschiedenen Partien, in diametral entgegengesetzten Rollen auf der Bühne zu haben, das lockte natürlich - und lohnte sich auch. Er kann ja so viel, und er bewies es, als wären Wechselbäder der Stimme wie der Darstellung sein liebstes Element. Den - beim Publikum gewaltigen - Erfolg des neuen Puccini-Abends der Bayerischen Staatsoper sicherten schon seine Souveränität, sein enormes Temperament.

Gegeben wurden die beiden musikalisch faszinierenden, in der Nähe Debussys und auf dem Niveau des "Falstaff" komponierten Eckstücke des späten und, wie inzwischen üblich, um die lyrische "Schwester Angelica" gekürzten Einakter-Triptychons, "Der Mantel" also und "Gianni Schicchi". Und Fischer-Dieskau war erst der alternde, weltabgewandt schmauchende und mehr aus Resignation denn aus blinder Eifersucht mordende Schleppkahnbesitzer Marcel, dessen Charakterbariton das nötige Pathos gelassen verströmte. Zwanzig Pausenminuten darauf trat er dann auf als listiges, fast herrisch eine krause Gerechtigkeit herstellendes Faktotum - und als Baritonbuffo, dem beim testamentarischen Täuschungsmanöver die sonst immer so perfekt disziplinierte Stimme nicht zu schade für allerlei Diskant- und Krächztöne war. Gianni Schicchi, dreist und überlegen.

Doch davon abgesehen, geriet dieser zweite Teil der Neuinszenierung im Münchner Nationaltheater auch anfechtbar. Günther Rennerts Regie hielt es wohl doch mehr mit der die einzelnen Figuren isolierenden Typologie einer schäbigen, erbgierigen Familie als mit der heiteren Panikmache der Musik, die ständig das ganze Ensemble in Aufregung, ins Stocken, in Rage bringen müßte. Auch klang, was Wolfgang Sawallisch im Allegro-Tempo dirigierte, immer noch ein bißchen zu behäbig, zu gefühlsintensiv; als hätten die Streicher die stimmungsvolle Pedanterie von vorher noch nicht ablegen können.

Puccinis "Mantel" aber, dessen titelgebendes, metaphorisches Requisit zum Glück nebensächlich blieb, ließ keine Gedanken an einen Einwand zu. So anstrengungslos, so sensibel dirigiert Sawallisch und inszeniert selbst Rennert sehr selten. Den lasziven Realismus der anekdotischen Dreiecksgeschichte an, vielmehr auf der Seine, den der Komponist mit zahllosen Detailreizen anreicherte, traf desgleichen Ita Maximownas Szenenpanorama. Und hier hatte sogar Fischer-Dieskau Konkurrenz: in Robert Ilosfalvy (Henri), einem Heldentenor mit sehr "italienischem" Forte, und in Julia Varady als einer Georgette, die in jeder Bewegung Musik spüren ließ.

Dietmar N. Schmidt

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     National-Zeitung, Basel, 19. Dezember 1973     

Theater am Gärtnerplatz kontra Staatsoper

Münchens ungleiche Opernbrüder

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Erfreulicher geriet die Inszenierung der beiden Einakter aus Puccinis Operntriptychon, die bis heute überlebt haben: "Der Mantel" und "Gianni Schicchi". Hausherr Günther Rennert inszenierte den "Mantel" folgerichtig, plausibel - aber weder Ita Maximownas düster-schönes Bühnenbild, der an der Kaimauer vertäute Lastkahn, noch stimmgewaltige Protagonisten (Julia Varady, Robert Ilosfalvy, Fischer-Dieskau) halfen über die Rührseligkeit des stimmungsträchtigen Dramoletts hinweg.

An der geistvoll-witzigen Musik des "Gianni Schicchi" hatte Wolfgang Sawallisch eine dankbarere Aufgabe, deren er sich nicht ohne Temperament entledigte, doch der Reiz der Aufführung liegt ein Stockwerk höher, nicht im Orchestergraben: Ita Maximownas verspieltes Interieur, wo der listenreiche Gianni Schicchi den enterbten Verwandten des Verstorbenen hilft, indem er in dessen Verkleidung als "Sterbender" ein neues Testament diktiert, sich selber aber den Löwenanteil der Erbschaft sichert, und die lapidare Komik der Regie Rennerts, unterstützt vom überschäumend spielfreudigen Fischer-Dieskau in der Titelpartie und von der unverwüstlichen Martha Mödl, deren Darstellung der alten Scharteke Zita ein witziges Kabinettstück ist, hoben den Abend über die seriöse, steifleinene Opernroutine hinaus.

Dietmar Polaczek

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     Nürnberger Nachrichten, 10. Dezember 1973     

Ein Gauner von Format

Puccini-Abend in der Bayerischen Staatsoper - Dietrich Fischer-Dieskau brillierte

     

Dietrich Fischer-Dieskau war der unbestrittene Star dieses Puccini-Abends der Bayerischen Staatsoper. Als der Testamentsfälscher Gianni Schicchi zog er in Stimmausdruck und nuancenreichem Spiel alle Register pfiffiger Verschlagenheit und hintergründiger Schelmerei - ein imposanter, blondschöpfiger Eulenspiegel, dem der Triumph der Intellligenz über kleinliches Erbschleichergezänk aus jeder Geste und tausend Ironiefältchen blitzt, ein Gauner mit dem Format einer Renaissance-Persönlichkeit.

Der baritonale Samt ist mit feinen Humorfäden durchschossen, und noch das imitierte, krähende Falsett des sterbenden Alten wird nicht zum Schwankeffekt, sondern zum Mittel der Charakterkomik. In Ita Maximownas florentinischem Interieur brilliert Günther Rennerts Regie mit überschäumender Buffo-Laune und genau typisierender Personenführung (hervorragend vor allem Martha Mödl als resolut-komische Alte und Kieth Engen als täppisch-gieriger Senior; bei den Kantilenen des Liebespaares Elke Schary/Claes Haakan Ahnsjö fehlt es etwas an ironischer Distanzierung). Unter Wolfgang Sawallischs inspirierter Leitung wird der falstaffsche Humor der geistreichen Partitur mit sprühendem Elan ausgekostet.

Zuvor hatte Fischer-Dieskau für die Eifersuchtsqual des Schiffers Marcel in dem Einakter "Der Mantel" ergreifende Töne gefunden. Dennoch, und trotz der eindrucksvoll intensiven Darstellung der Georgette durch Julia Varady (ihr Partner war mit kräftigem, aber etwas undifferenziert geführtem Tenor Robert Ilosfalvy), kontrastierten die beiden Ecksätze des um die "Schwester Angelica" verminderten sogenannten Triptychons nicht nur in der Stimmungslage von tragischem Pathos und Scherzo-Finale, sondern auch in der Qualität der Wiedergabe. Das Gespann Rennert/Sawallisch schien beim "Mantel" nur an der düsteren Ballade von Liebe, Eifersucht und Tod interessiert, die Rennert psychologisch eindringlich inszenierte; von dem atmosphärischen Zauber aber dieses melancholischen Stimmungsbildes aus dem Paris der Jahrhundertwende war weder auf der Bühne etwas zu sehen (Ita Maximowna ließ über hoher Kaimauer tote Häuserfronten in einen erloschenen Himmel ragen) noch im Orchestergraben etwas zu hören.

Sawallisch dirigierte merkwürdig robust, setzte dramatische Akzente, zeigte aber kein Gespür für die feinen Valeurs dieser Musik, in der die Affekte eingebunden sind in ein impressionistisches Klangbild eines Abends auf der Seine. Starker Beifall nach dem "Mantel", orkanartige Ovationen nach "Gianni Schicchi".

Hans Krieger

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     tz, München, 10. Dezember 1973     

Hymnus auf den späten Puccini

Nationaltheater: "Gianni Schicchi" und "Der Mantel" mit Fischer-Dieskau

    

Hymnus auf den späten Puccini und dessen Meister-Partitur "Gianni Schicchi", dirigiert und inszeniert von Wolfgang Sawallisch und Günther Rennert! Die jüngste Nationaltheater-Premiere setzte an den Schluß des um "Schwester Angelica" gekappten Einakter-"Triptychons" eine fulminant komödiantisch auftrumpfende Produktion. Vorher gab’s einen ent-erotisierten, farblosen "Mantel".

Rennert, der wieder einmal seine exquisit leichte Komödienhand bewies, führte im "Gianni Schicchi" das fabelhaft disponierte Ensemble mit Charme und Augenzwinkern über die (allzu) menschlichen Bösartigkeiten der Erbschleicher-Sippe hinweg, stellte die lyrische jugendliche Liebe auf leichte Füße und ließ Schicchi selbst als romanisch "hellen", eulenspiegeligen Bauern virtuos die gesamte komödiantische Ausdrucksskala durchlaufen. Ein Meisterstück an Personen-Regie, das allgegenwärtig von einer großen Liebe zur Sache redete, wie Schicchi von seiner Liebe zu Florenz.

Puccini und sein Librettist Forzano haben die historische Prozeß-Figur (nach Dante) weitgehend aller kriminellen Härten entkleidet. Dem genau entsprechend, bringt Rennert eine versöhnlich-bissige, menschlich-nachsichtige und doch hochintelligent-spritzige Kriminalkomödie auf die Bühne, die von Ita Maximowna reizvoll installiert, für einige Situationen etwas regiefeindlich gebaut (Treppen!), aber stilgerecht auskostümiert wurde.

Wolfgang Sawallisch realisiert den zeichnerischen Klartext, die prägnante Kürze dieser einmaligen Partitur aufs schönste. Kühle, heitere Farben, derbe Schlagschatten - unterbrochen von wenigen melodieseligen Puccini-Ausbrüchen - kennzeichnen die Parlando-Welt dieser Aufführung.

Die Textverständlichkeit ist ausgezeichnet, mit Ausnahme des gesprochenen (!) Schlusses von Fischer-Dieskau. Animiert folgten die Zuschauer der bewährten deutschen Übersetzung. Doch warum muß der Anfang der Lauretta-Arie aus "Väterchen teures, höre" in "Hör mich an, teurer Vater" geändert werden? Wo doch die Text-Pendants von Schicchis "Laurettachen" bis zu den "Vögelchen" auf dem "Balkönchen" verblieben? Hat der geniale Großraum dieses Werks nicht Platz für alles Menschliche - auch für kindlich-liebevolle "Witzchen"?

Dietrich Fischer-Dieskaus Schicchi ist rundherum prall, angefüllt mit allem, was des (Musik-)Theaters ist: herrlich gesungen, souverän musiziert, dieskau-komödiantisch ausgespielt. Eine große Leistung, die lautstark gefeiert wurde.

Um ihn herum ein Ensemble unterschiedlich qualifizierter Stimmen, die jedoch zu einer großartigen Einheit verschmelzen: Fahberg, Wewezow, ;Mödl, Engen, Thaw, Grumbach, Auer, Wilbrink, Peter. Ihnen allen ein besonderes Bravo! Das jugendliche Liebespaar war mit dem sympathischen C.H. Ahnsjö und Elke Schary visuell reizvoll, doch stimmlich (vor allem für die Lyrismen der Lauretta) nicht ausreichend besetzt.

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Der einleitende Einakter "Der Mantel", Puccinis italo-impressionistische Aussage, erreichte nicht annähernd das Format des "Schicchi". "Bajazzo"-Verismus ohne die Vollblütigkeit Leoncavallos, triste Farblosigkeit anstelle von irisierender Misch- und Vielfarbigkeit. Die vom kloakigen Seine-Wasser träge lasziv gewiegte, mühsam verdeckte Leidenschaft, Verzweiflung, Daseins- und Todesangst ging nicht ein einzigesmal unter die Haut.

Puccini hat diesen kurzen, heftigen Aufschrei musikalisch auf engstem Raum (so eng wie der Seine-Kahn Marcels!) konzipiert. Weder Rennert noch Sawallisch konnten dem gerecht werden.

Der Mantel, symbolträchtiges Requisit, war nur ein ärgerliches Nebenbei, deckte fast belanglos und ebenso ungenügend den ermordeten Liebhaber wie die abgestorbene eheliche Liebe.

Fischer-Dieskau als Marcel sang sehr schön und hatte ergreifende Momente, konnte jedoch das lauernde Leiden des Betrogenen nicht mitteilen. Das Liebespaar Julia Varady (Georgette) und Robert Ilosfalvy (Henri) ließ bis zur körperlichen Umarmung den Zuschauer seine unterschwellig hochexplosiv aufgeheizte Verbindung nicht einmal ahnen. Die Varady (sehr attraktiv anzusehen) ist eine echte Vokalisen-Sängerin - doch Georgette ist ein Weib! Ilosfalvy, ein Forte-Sänger mit schönem Stimmen-Material, bringt für Henri kaum Farbe mit. Hertha Töpper spielte ein etwas erotisiertes (als Einzige!), reizvoll verrücktes Frettchen, charakterisierte stimmlich aber ein bißchen zu wenig. - Ein etwas schwächlicher Beginn eines später großartigen Abends.

Elisabeth Lindermeier

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     Abendzeitung, München, 10. Dezember 1973     

"Der Mantel" und "Gianni Schicchi" im Nationaltheater

Herr als Mörder und Schlitzohr

    

Puccinis neuinszenierte Einakter "Der Mantel" und "Gianni Schicchi" im Nationaltheater, musikalisch, szenisch und in der Ausstattung betreut von Wolfgang Sawallisch, Günther Rennert und Ita Maximowna.

Obwohl "Schwester Angelica" aus Puccinis Einakter-Triptychon gut in den gegenwärtigen Präraffaeliten-Rummel gepaßt hätte, war es doch eine gute Idee, sich auf den "Mantel" und "Gianni Schicchi" bei der Neuinszenierung beschränkt zu haben. Der "Mantel", ein Stück zwischen Grand Guignol und Bohème, hatte Puccini eine Klang-Palette der feinsten Farbwerte in die Hand gedrückt, mit der er außerordentlich impressionistische Wirkungen erzielte. Da sind Feinheiten der Valeurs und Stimmungen ausgebreitet und von Sawallisch wahrgenommen, die im Gegensatz zum ausgeprägten Verismus des eindrucksvollen Bühenbildes Ita Maximownas stehen.

Rennerts Spielführung hielt sich dazwischen, schob den Dreieckskonflikt nicht akzentuiert in den Vordergrund, wodurch ein mehr flutendes, zufälliges Moment der Affekte den Einakter erfüllte als das sofortige veristische Aufs-Korn-genommen-Sein. In dieser Hinsicht bestand gute Übereinstimmung der künstlerischen Absichten zwischen Sawallisch und Rennert.

Dietrich Fischer-Dieskaus Marcel war ein Schiffspatron von unheimlicher schicksalsschwangerer Zurückhaltung, der selbst den Nebenbuhler mit distinguierter Brutalität aus dem Weg räumt. Eine souveräne, stimmlich der Partie nobel entsprechende Leistung. Georgette, Marcels Frau, füllt Julia Varady mit der Getriebenheit der enttäuschten Frau und dem stimmlich schlanken, aber intensiven und kraftvollen Aufbäumen ihrer Leidenschaft. Der erforderlichen Dynamik blieb Robert Ilosfalvy als Geliebter Henri nichts, dem Puccinischen Belcanto einiges schuldig. Dem "Frettchen" verlieh Hertha Töpper geschäftige Herzlichkeit. Kieth Engen und Friedrich Lenz waren als Löscher Bon garçons der Seine.

Hatte man mit einer kleinen Besorgnis dem Wiedersehen mit dem kalorienhaltigen "Mantel" entgegengesehen und sich auf den köstlichen "Gianni Schicchi", das beste musikalische Lustspiel dieses Jahrhunderts, gefreut, kam alles umgekehrt. War der "Mantel" eine runde, in sich ausgewogene Aufführung, wies "Gianni Schicchi" doch unübersehbare Mängel auf, die allerdings in seiner ureigenen Natur liegen, denn den schlauen Gianni kann man genausowenig in Sprache und Spiel ins Deutsche übertragen wie "Erster Klasse" von Thoma ins Italienische. Der Berg der Komik, der sich in den Eigenheiten der Verwandten des verstorbenen Buoso Donati auftürmt, stürzt beim Chargieren unweigerlich zusammen.

Rennert hat dabei viele Hindernisse mit fühlbarer Freude am Spaß und mit Witz genommen, aber der Beweis, daß man das Stück deutsch bringen kann, ohne eine große und schädliche Gewichtszunahme in Kauf zu nehmen, wurde nicht erbracht. Der "Gianni Schicchi" ist ein Furbone, ein toskanisches Schlitzohr, unbedingt klein und dunkel, am besten mager wie ein Knochen.

Fischer-Dieskau ist ein rothaariger Till Eulenspiegel, klug, volteschlagend, ein Herr, dem es Spaß macht, den Schelm zu spielen. Der wahre Gianni Schicchi aber ist ein Profi und die Verwandten wissen schon, warum sie sich nicht mit ihm einlassen wollen. Fischer-Dieskau glaubt man niemals, daß er für den Streich in die Hölle kommt. Dante hat sich verguckt, wenn er glaubt, ihn dort gesehen zu haben. Das Sterbezimmer, in dem das dunkle Geschäft vor sich geht, und die lieben Verwandten wie Ratten nach dem Testament suchen, litt an zu großer Helligkeit, die sich erst einstellen soll, wenn die ganze Bagage draußen ist. Etwas weniger Clownerie und ein Schuß mehr schwarzer Humor wäre dem musikalisch äußerst feingezeichneten Stück gut bekommen.

Es gab ein angenehmes junges Paar in Elke Schary und Claes Haakan Ahnsjö, köstliche Typen der Verwandtschaft wie Martha Mödl (Zita), Kieth Engen (Simon), David Thaw, Antonie Fahberg, Pius Hörwick, Gerhard Auer, Raimund Grumbach und Gudrun Wewezow. Die beiden Schlüsselfiguren für den Erbschaftsschwindel allerdings, der Arzt Spineloccio (Hans Wilbrink) und der Notar Amantio di Nicolao (Albrecht Peter) waren schwach gezeichnet. Sawallisch musizierte fein, aber nicht ganz so charakteristisch wie im "Mantel". Ovationen.

Antonio Mingotti

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     Osnabrücker Zeitung, 11. Dezember 1973     

Ein Bariton-Solo: Fi-Di kriminell

Puccini-Einakter im Nationaltheater München

   

Kamen nicht die meisten zu dieser vorweihnachtlichen Premiere der Bayer. Staatsoper, um den berühmtesten deutschen Sänger zu hören, in konträren Gestalten, als den schwerblütigen, am Lebensnerv getroffenen Seineschiffer Marcel, Mörder aus Eifersucht, und als den bauernschlauen Testamentsfälscher Gianni Schicchi: Dietrich Fischer-Dieskau, den faszinierenden Künstler? Doch in "Mantel" beeindruckte Julia Varady nicht minder: kein billiger Weibsteufel, keine lebenshungrige Grisette, sondern eine junge Frau, gezeichnet vom Chaos ihrer Gefühle, noch hingezogen zu Marcel, aber auch verfallen dem jungen Henri. Von sensibler Lyrik bis zur flammenden Dramatik spiegelt die kostbare Stimme alle Regungn dieses leidenschaftlichen Herzens. Robert Ilosfalvy bezwingt als Liebhaber eher mit der Kraft als mit Belcantoschmelz seiner Stimme; unter den glänzend besetzten Nebenrollen ist nur die Betreuung des "Frettchen" durch Hertha Töpper eine peinliche Fehldisposition. Günther Rennert hat in der atmosphärischen Szenerie von Ita Maximowna, die über den Schleppkahn in Bühnenbreite vor Kaimauern überraschend ganz auf das doch komponierte langsam ewig und ölig dahinfließende Seinewasser vergaß, ein strindbergisch angehauchtes Ehedrama inszeniert: "Mantel" als verfeinerte Spätblüte des Verismo, großartig im dramatischen Zug zur unausweichlich hereinbrechenden Katastrophe.

Für die heitere Gaunerei des "Gianni Schicchi" hat die sprühende Phantasie Günther Rennerts mehr Einfälle als andere Regisseure für ein Halbdutzend komischer Opern, die erbschleichenden Raffer und der in die eigene Tasche verfügende Testamentsumdiktierer entfachen einen partitur-entsprechenden Allegro-Witz, ein komödiantisches Feuerwerk, das fast vergessen läßt, wie jämmerlich die meisten Buffonen singen. Daß dies Meisterwerk der Opera buffa auch Kantilenen und berückende Ensembles birgt, war kaum zu ahnen. Elke Schary sang das Arienprunkstück Laurettas armselig und fand im Rinuccio von Claes Haakan Ahnsjö einen ebenbürtig glanzlosen Partner. So schrumpfte "Gianni Schicchi", von Wolfgang Sawallisch mit Verve dirigiert, wie er auch schon "Mantel" mit dramatischer Energie geleitet hatte, zu einem triumphalen Bariton-Solo: Dietrich Fischer-Dieskau, vom Typ her alles andere als ein Buffone italienischer Tradition, gab eine fesselnde Charakterstudie, pfiffig, gerissen, ein Schelm von Dantes Gnade.

Klaus Adam

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     Saarbrücker Zeitung, 13. Dezember 1973     

Clownerie und Verzweiflung

München: Dietrich Fischer-Dieskau in zwei Puccini-Rollen

   

In München murrt das Opernfußvolk seit Monaten leise, aber ausdauernd. Die Oper, so wird kritisiert, mache zwar interessantes Theater, die internationalen Stars aber würden anderswo gastieren. Abgesehen von einer fulminanten "Elektra" mit den "drei Isolden" Nilsson, Bjoner und Varnay ist die Gaststar-Fehlanzeigenliste des Nationaltheaters in der Tat auch nahezu komplett. Ein vereinzelter Domingo muß schon hochgespielt werden wie der Komet Kohoutek

Den allgemeinen Unmut beschwichtigte nun Günther Rennert, indem er Dietrich Fischer-Dieskau für die Hauptrollen in den beiden Puccini-Einaktern "Der Mantel" und "Gianni Schicchi" verpflichtete. Und dies nicht nur für die Premiere, sondern für (mindestens) neun Abonnementabende. Weshalb auch - und wie ich meine zu Recht - deutsch gesungen wird.

Rennert selbst inszenierte, "General" Sawallisch dirigierte, die Sopranistin Julia Varady wurde als kommender Star gefeiert, das spielbesessene Ensemble lief zu großer Form auf: ringsum Jubel also.

Fischer-Dieskau hätte seinen Triumph in anderen Rollen leichter haben können. Das "Italienische" ist ihm nicht angeboren. An seinem Gianni Schicchi mag man als störend empfinden, daß er die Testamentsverdrehung nicht als ein schlitzohriger Familienobergauner manipuliert, sondern eher wie ein über den Brenner nach Florenz herbeitelegrafierter Professor der Romanistik, der im Clownskostüm das Lustige in sich entdeckt und mit Beckmesser-Gesten eine beutegierige Sippschaft maßregelt. Man mag ihm auch die übertriebene Lust am Quäken und Diskantfisteln ankreiden, wenn er im Sterbebett Buosos zwecks Täuschung des Notars zu Stimm-Imitationsübungen ausholt.

Dies alles abgestrichen, bleibt er jedoch in jedem Augenblick Beherrscher der Szene und Souverän der kleinsten Pointe, ja mehr noch: kongenialer Partner einer Meisterpartitur, die ihm die Inspirationen zu seinen Betrugsmanövern "spielend" eingibt.

Dem ausholenden und zupackenden Schwung Fischer-Dieskaus steht der Dirigent Wolfgang Sawallisch in nichts nach: Dieser Puccini sprüht Funken wie ein Messer unter dem Schleifstein. Da bleibt kaum Luft zum Atmen für die von Rennert choreographisch in Angsttaumel versetzte "Rattenfamilie", ja nicht einmal eine kleine Belcanto-Schmachtfermate für Laurettas Zwei-Minuten-Arie ans teure Väterchen (was man auch nicht nachdrücklich vermißte, da Elke Schary für große, seelenvolle Töne eben doch zu soubrettenhaft gewesen wäre).

Was kaum zu erwarten war: die todsichere Wirkung, die Gianni Schicchis Späße überall und jedesmal und gewiß auch ohne Fischer-Dieskau tun, sie wurde überragt von dem Eindruck, den die düstere "Mantel"-Ballade hinterließ. Das Stück wirkte wie aus einem Guß, wie ein einziges großes Fieber-Crescendo. Das graue Elend der Seine-Schiffer ist von Rennert ganz unmittelbar mit der großen Gefühlsemphase gekoppelt. Er inszeniert die Ausnahmesituation einer Dreiecksaffäre, die unweigerlich zum Mord führen muß - vielleicht sogar zum Doppelmord - ganz kompromißlos und fast "archaisch", als befände man sich hier nicht mehr auf einem schwankenden Schleppkahn, sondern in Hundings Hütte. Hinzu kommt Sawallischs Feuer und Antriebskraft.

Fischer-Dieskau, hier der alternde, eifersüchtige und vereinsamte Schleppkahnbesitzer Marcel, wirbt anfangs in Demut befangen, steigert sich aber zu einem Bariton-Othello, der das Fürchten und das Mitleid lehrt. Das Pathos des Verzweifelten: hier wird es glaubhaft gemacht.

In der Tenor-Rolle des Henri kann Robert Ilosfalvy seine Forte-Stimme optimal entfalten. Die eigentliche Überraschung aber ist Julia Varady als Georgette, eine Frau voller Leidenschaft und Überschwang, Getriebene und Treibende in einer Person, ein Leuchtraketen-Sopran mit großer, wenn auch möglicherweise nur kurzer Zukunft. Die Rollen, die auf sie "warten", die Danaes, Helenas, Sieglinden werden behutsam in ihre jetzt schon sehr erstaunliche Karriere eingebaut werden müssen.

Nach beiden Stücken Beifall von Bayreuth-Orkanstärke.

Gerhard Pörtl

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     Mittelbayerische Zeitung, Regensburg, 11. Dezember 1973     

In München:

Ein Puccini-Doppel

"Der Mantel" und "Gianni Schicchi"

     

Die Freundschaft der Familien Sawallisch und Fischer-Dieskau, zusützlich die Wertschätzung des überragenden Intelligenzsängers durch Günther Rennert tragen ihre Bühnenfrüchte: Öfter als bisher singt der Bariton im Nationaltheater, diesmal die ersten zehn Vorstellungen der beiden Puccini-Einakter.

"Der Mantel" ist ein kleiner, doch gewichtiger Markstein im Werk des Bohème-Komponisten: Das suggestive raffinierte Parfum ist verbunden mit naturalistischen, dem Verismo nahestehenden Elementen; ein echtes Drama um eine gestorbene Liebe, doch über allem noch ein Hauch von Pariser Flair. Ita Maximownas realistischer Schifferkahn liegt so auch vor einem Pariser Nachtseitenviertel, das aber doch noch zu wenig drückend wirkt. In dem durch die hohe Kaimauer eng begrenzten Bühnenraum hat Rennert die lose Szenenfolge zu folgerichtigen Mosaiksteinen geformt, die sich, mit dem abschließenden Mord, zu einer scharfkantigen Milieustudie zusammenfügen. Fischer-Dieskau trifft den leidend-elegischen Ton des alternden Schiffers beeindruckend, ohne die lauernde Leidenschaft, die töten kann, unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Der Weltstar dankt vor dem Vorhang mit tiefer Verbeugung und Handkuß einer echten Partnerin: Julia Varadys Georgette war das Erlebnis des Abends. Die Darstellerin, die durch ein spürbares "Band" mit ihren Partnern in Beziehung steht, hat eine herb-timbrierte Stimme, die aber aller feinen Puccini-Zwischentöne und großen Ausbrüche mächtig ist. Das Duett mit Liebhaber Henri (Robert Ilosfalvy mit kernigem tenoralen Glanz) wuchs zu einem Höhepunkt dramatisch fundierten Gesanges empor - ein Glücksfall einer Sängerdarstellerin.

Nach der Pause öffnete sich der Vorhang zu einem jener Rennert-Spielräume - Szenenapplaus für Maximowna -, die das halbe Stück bereits beinhalten: Ein gekonnt gewinkelter Raum mit drei Ebenen; durch die angedeutete Balkendecke schweift der Blick auf einen Florenz-Prospekt. Darin agiert ein virtuos gezeichnetes und geführtes Typenensemble: Martha Mödl, Kieth Engen, David Thaw, Gerhard Auer, Raimund Grumbach, Antonie Fahberg und Gudrun Wewezow liefern Studien für Geiz, Neid, Heuchelei, Bosheit und Gier. Die Festspielentdeckung aus Schweden, Claes Haakan Ahnsjö, führte vor, wie eine gesunde, frische Tenorstimme klingt und nicht nur die noch in ihrem Liebreiz gebremste Lauretta (Elke Schary) beeindruckt. Eulenspiegelhaftes Zentrum der Erbschaftskomödie aber war der in glänzender Spiellaune fast zuviel tänzelnde Fischer-Dieskau. Der bauernschlaue Vetter Schicchi gab einen Ausblick auf den Festspiel-Falstaff von 1974: Diesmal war alles Spaß à la Puccini!

Die begeisterten Ovationen bezogen Sawallischs zuerst nervige, dann sprudelnde Puccini-Interpretation mit ein.

Wolf-Dieter Peter

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     Nordbayerischer Kurier, Bayreuth, 11. Dezember 1973     

Mord und Erbschleicherei

Puccinis "Mantel" und "Gianni Schicchi" in München

  

Tumultartiger Beifall hüllte am Ende alle ein: Regisseur und Dirigenten, Bühnenbildnerin, Sänger und Orchester; er schien aber vor allem Genugtuung darüber, daß wieder ein Puccini mehr im Spielplan der Bayerischen Staatsoper steht. Liebhaber des letzten der großen, fruchtbaren italienischen Opernkomponisten saßen offensichtlich in bedeutender Zahl in Parkett und Rängen. Es fehlte wohl auch nicht an Verehrern Fischer-Dieskaus, die ihr Idol an diesem Abend gleich in zwei konträren Partien bestaunen konnten, denn Günther Rennert hatte sich für die beiden Eckteile von Puccinis spätem Triptychon entschieden: den "Mantel" und die geniale Buffa "Gianni Schicchi".

Ganz so schlackenlos herrlich wie der Riesenbeifall glauben machen könnte, war indes die letzte Staatsopernpremiere nicht. "Der Mantel", eine handlungsarme Aneinanderreihung von Stimmungsbildern mit ad hoc eintretender Schlußkatastrophe auf Marcels Schleppkahn am Ufer der Seine, ist auf der Bühne nur schwer szenisch zu realisieren, zu leicht schleicht sich Krampf, unfreiwillige Komik ein. Wirklich überzeugend waren Rennerts szenische Einfälle im ganz realistischen Bühnenbild um die armseligen kleinen Leute vom Fluß nicht. Dafür entschädigten Julia Varadys leidenschaftlicher Ausbruch als Georgette und Dietrich Fischer-Dieskaus erinnerungsseliger Monolog in der Partie des Marcel. Das Orchester unter Wolfgang Sawallisch traf Puccinis sensiblen, herben, gedämpften Grundton.

"Gianni Schicchi" entzückte das Publikum schon beim Aufgehen des Vorhangs durch ein köstliches halb realistisches, halb stilisiertes Bühnenbild der Ita Maximowna. Puccinis hier kaum noch ariose, dagegen umwerfend ironisierende Musik, der zupackende, sich oft in rhythmisiertes Sprechen auflösende Sängerstil ergeben ein komisch-dramatisches Optimum. Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelpartie war in erster Linie komisch, weil der bekannte Sänger so gänzlich anders aussah als gewohnt. Er bemühte sich sehr um lockere Gesten, komische Sängerlaute, tänzelnde Schritte, aber er tat im ganzen doch wohl zu viel des Guten. Vieles war nur durch die Relation amüsant, weil eben Fischer-Dieskau dies und jenes so machte. Um ihn herum lauter stimmberühmte Opernkollegen: Martha Mödl, Kieth Engen, Elke Schary, die die bekannte Arie an das "teure Väterchen" doch ein wenig zu sentimental sang, Antonie Fahberg und der junge, neu engagierte schwedische Tenor Claes-Haakan Ahnsjö mit vielversprechendem Stimm-Material.

Rennerts Regie gelang streckenweise eine vorzügliche Choreographie der erbschleichenden Verwandten, aber die vergnügliche Drastik war dennoch ein bißchen schwerblütig-deutsch. Auch Wolfgang Sawallisch ließ das Orchester oft zu schwer, zu dick erscheinen. Die Textverständlichkeit, die in dieser besonderen Puccini-Partitur von großer Bedeutung ist, litt streckenweise darunter.

Alles in allem jedoch ein brillanter "Schicchi", der die stimmungshafte Schauerballade vom "Mantel" ziemlich in den Schatten stellte.

H. Lehmann

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     Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger,   
   14. Dezember 1973
     

Schauder und Gelächter

Puccini-Neuinszenierungen der Staatsoper

     

Gibt es auch immer noch Meinungs- und Geschmacksgegensätze in den Urteilen der Kenner und Liebhaber über die Opern Puccinis - zwei Werke seiner Schaffens-Spätzeit sind doch (neben "Turandot") dem Widerstreit der Bewertungen stets entrückt geblieben: die beiden Einakter "Der Mantel" und "Gianni Schicchi", das "impressionistisch" stimmungsstarke Pariser Vorstadt-Drama mit dem tragischen Mord-Finale und die mit allen Vorzügen einer zum Lachen stimmenden Opera buffa ausgestattete florentinische Erbschleicher-Komödie. Es war Zeit, die vor 15 Jahren zum letzten Male einstudierten Stücke neu in den Spielplan einzufügen - sie sollten eigentlich nie im Repertoire fehlen, wenn man sie gut besetzen kann und wenn die leitenden Interpreten (am Dirigenten- und Regiepult) ihre Wiedergabe nicht nur als Pflichtaufgabe betrachten, sondern sich mit echter künstlerischer Begeisterung damit befassen. Solche wünschenswerten guten Bedingungen waren für die jetzt realisierten Neuinszenierungen gegeben. Beide Werke erlebten - nicht zuletzt durch Dietrich Fischer-Dieskaus Gestaltung der elementar gegensätzlichen Bariton-Hauptrollen - eine Darstellung, die das Publikum durch gesangliche und schauspielerische Qualitäten von Rang, aber auch durch orchestral-klangliche Reize und wirkungsvolle Regiekonzeptionen fesselte und entzückte.

Einschränkend wäre allerdings zu sagen, daß die Interpretation von "Gianni Schicchi" überzeugender glückte als die des "Mantel". An dramatischer Gespannheit, an espressiver Vehemenz und Vergegenwärtigung einer abendlich trüben, unheilschwangeren Grundstimmung blieben im Eifersuchts- und Ehedrama auf dem Schleppkahn an der Seine zwar weder Günther Rennert als Regisseur noch Wolfgang Sawallisch als sehr kräftig zugreifender Dirigent etwas schuldig. Weit weniger glücklich war man jedoch auf der Bühne wie im Orchester im Spürbarmachen der feineren atmosphärischen Stimmungswerte, die zu den wesentlichen, eigentümlichen Wirkungssubstanzen dieser Oper gehören. Die orchestralen Farben waren weithin zu dick aufgetragen, ausladendes Forte beherrschte das Klangbild mehr als die subtilen Piano- und Pianissimo-Werte, die in der Partitur gefordert werden. In ähnlichem Sinne bedeutete auf der Szene die farblos-beiläufige Behandlung etwa der Auftritte des Leierkastenspielers, des Liederverkäufers und der Midinetten eine Verarmung an möglichen koloristischen Intensivierungen der Milieuschilderung. Dazu fehlte auch dem trostlosen "Arbeiterviertel"-Bild Ita Maximownas alles, was die Vorstellung "Paris" beschwören konnte. Mittelpunkt des Sängerensembles wurde Fischer-Dieskau als eindringender, in Gesang und Spiel jedes Wort, jede Bewegung klug abwägender und diffenzierender Gestalter des gramvoll verdüsterten Marcel. Zu großen Augenblicken leidenschaftlichen Ausdrucks gelangte auch, nach anfangs unangemessener Effektspannung, Julia Varady als Georgette. Mit (wenig biegsamer) Kraft sang Robert Ilosfalvy die Rolle des Henri; einprägsam profilierte Hertha Töpper die allzu lächerlich aufgetakelte Figur des "Frettchens".

Zu einer hinreißenden, von der ersten bis zur letzten Szene amüsanten musikalischen Komödie par excellence wurde das Betrugsspiel Gianni Schicchis im Haus des eben verstorbenen Buoso Donato. Hier verband sich Rennerts witzig erfindungsreiche Regie, Frau Maximownas effektvoll blickfangendes Bühnenbild und - vor allem - Sawallischs ebenso impulsiv temperamentvolle wie präzise und klangfreudige Interpretation der Partitur zu einer bezwingenden Einheit von köstlichen Hör- und Schauwirkungen. Mit Vorrang rühmenswert war die erzielte Genauigkeit in der Wiedergabe der vokalen Ensembleszenen. In der Titelrolle brachte Fischer-Dieskau, zugleich prachtvoll singend, Erstaunliches an Vis comica zur Geltung, ohne sich freilich ganz glaubhaft in die Figur des Erzschelmen "verwandeln" zu können - aber man spürte, wieviel Spaß ihm diese Partie machte. Ausgezeichnetes an Charakteristik boten aber auch viele der ihn umgebenden Sänger-Darsteller, so Martha Mödl, Antonie Fahberg und Kieth Engen; Reizvolles an Stimmenwohllaut und Belcanto hatte man dem Paar Elke Schary (Lauretta) und Claes-Haakan Ahnsjö (Rinuccio) zu danken. Ein gewisses Manko an unfreiwilliger Komik war nur bei den Darstellern des Arztes und des Notars zu beklagen; aber Hans Wilbrink und Albrecht Peter, die vielfach Bewährten, werden diesen keineswegs undankbaren Rollen gewiß künftig noch mehr an spaßiger Wirkung abzugewinnen wissen.

aw

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     Augsburger Allgemeine, 10. Dezember 1973     

Puccini - tragisch und heiter

"Der Mantel" und "Gianni Schicchi" an der Staatsoper neu inszeniert

    

Einen Abend unverkümmerten Opernvergnügens bescherte die Bayerische Staatsoper ihren Freunden mit einer rundum gelungenen Neuinszenierung der beiden Hauptstücke aus Puccinis "Trittico", dem tragisch umwitterten, in moderne Harmonik getauchten "Mantel" und dem herrlichen Schelmenstück vom Erbschleicher Gianni Schicchi, der reifsten Partitur des großen italienischen Komponisten. Das Vergnügen an den beiden Meisterstücken der Oper war vollkommen, da sowohl Günther Rennert als Regisseur wie auch Wolfgang Sawallisch am Dirigentenpult beiden Einaktern kongeniale Interpreten waren, unterstützt von einem Ensemble, das gesanglich wie darstellerisch höchsten Ansprüchen genügte.

Als Dritte im Bunde bewährte sich Ita Maximowna, deren Bühnenbilder die feinen impressionistischen Reize der Tragödie auf dem Schleppkahn am Seineufer ebenso suggestiv zur Geltung brachten wie das anheimelnde Interieur florentinischer Renaissance in "Gianni Schicchi", das ob der gelungenen räumlichen Lösung und der farblichen Harmonie mit Recht Sonderbeifall erhielt. Faszinierend, wie Günther Rennert aus dem Tableau kleiner Dinge und Gefühle im "Mantel" die Passion einer echten Leidenschaft erwachsen läßt, die Georgette und Henri zueinander und schließlich in den Tod treibt. Sawallisch verdichtete das Atmosphärische der Musik gegen Ende der Tragödie zu loderndem Feuer. Verismus in reinster Form, ein italienisch gefärbter Debussy ohne falsche Gefühlsbelastungen! Protagonisten der Aufführung waren Dietrich Fischer-Dieskaus introvertierter Marcel, dessen Ausbruch in der Verzweiflung umso erschütternder wirkte, weil er sich vor dem Mord an dem Rivalen einer Zurückhaltung befleißigte, die ans Herz rührte; ihm ebenbürtig an Intensität des Ausdrucks wie an gesanglichem Glanz das tragische Liebespaar Georgette und Henri von Julia Varady und Robert Ilosfalvy, deren Stimmen sich auch vom Timbre her ausgezeichnet ergänzten.

"Gianni Schicchi", das letzte Meisterstück einer italienischen Opera buffa, rundete den Abend zu einem komödiantischen Vergnügen ersten Ranges. Mit diesem in heiterster Laune konzipierten Stück erhebt sich Puccini in die geisterfüllten Bereiche des Verdischen Altersstils, als er den "Falstaff" schrieb und die Devis "Alles ist Spaß auf Erden" seine Musik leicht und schwebend machte. Von komödiantischem Esprit durchdrungen war auch Rennerts locker beschwingte Spielführung einer Erbengemeinschaft haarscharf gezeichneter Heuchler, die von dem bauernschlauen Gianni Schicchi geprellt und aus dem Haus gejagt werden.

Wieder war es Dietrich Fischer-Dieskau, der den Ton angab und in der Titelrolle sich als ein Darsteller hohen Ranges erwies; unnötig zu betonen, daß er sich auch in gesanglicher Hinsicht nicht die geringste Nuance hintergründiger Ironie entgehen ließ und ein Pendant seines Falstaff schuf, das man so schnell nicht vergessen wird. Im Clan der Verwandten glänzten Martha Mödl als tonangebende Base Zita, Antonie Fahberg (Nella), David Thaw (Gherardo), Gerhard Auer (Betto von Signa), Kieth Engen (Simon), Raimund Grumbach (Marco) und Gudrun Wewezow (Ciesca). Wolfgang Sawallisch, als Puccini-Interpret besonders herzlich gefeiert, musizierte die geistsprühende Musik mit höchster klanglicher Delikatesse; nicht die geringste Nuance motivischer Feinarbeit und lyrischer Vertiefung ging verloren, vor allem in den kantablen Passagen, in denen der junge Rinuccio (Claes Haakan Ahnsjö) das Lob der Stadt Florenz anstimmt und die zarte Lauretta (Elke Schary) das "teure Väterchen" in strahlendem As-Dur um Hilfe in Liebesdingen anfleht. Nicht endenwollender Beifall eines höchst animierten Auditoriums für das hübsche Weihnachtsgeschenk der Staatsoper!

Dr. Karl Ganzer

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     Donau-Kurier, Ingolstadt 10. Dezember 1973     

Puccini in München neu inszeniert

"Der Mantel" und "Gianni Schicchi" mit Fischer-Dieskau

    

Der Einakter ist im allgemeinen ein Stiefkind des Opernspielplans. Um so erfreulicher die Tatsache, daß zwei Meisterwerke dieser Gattung, Puccinis "Der Mantel" und "Gianni Schicchi", dank einer Neuinszenierung im Münchener Nationaltheater zu verdienten Ehren kamen. Die Gegenüberstellung von Tragödie und Komödie an einem Theaterabend übte auch diesmal tiefgehende Wirkung. Diese war allerdings mit einer künstlerischen Sensation verbunden, denn Dietrich Fischer-Dieskau war sowohl der tragische wie der charakterkomische Held in einer Person und bewies, in beiden Sätteln gleich gerecht, die außergewöhnliche Spannweite seines gestaltenden Vermögens. Den von seiner Frau betrogenen Lastkahnbesitzer Marcel im "Mantel" zeichnete er zunächst mit verhaltenen, schließlich zu erschütterndem Ausbruch emporwachsenden Mitteln; als Gianni Schicchi stellte er eine von heiterer Überlegenheit zeugende, von Laune und Humor sprühende Figur auf die Bühne. Was jedoch seiner Gestaltung den besonderen Reiz verleiht, ist in seinem vortraglichen Stil der Reichtum an Unter- und Zwischentönen, über die nur eine ausgesprochen künstlerische Persönlichkeit in solchem Maße verfügt. Eine eben- bürtige Partnerin fand er im "Mantel" in Julia Varady, eine in Darstellung wie Gesang gleich faszinierende Georgette. Die Partie des Henri erfüllte Robert Ilosfalvy mit erstaunlicher stimmlicher Vehemenz, was insbesondere in den Stellen sozialer Anklage in seinem Part zu Buche schlug.

Günther Rennerts Regie war unmittelbar aus dem Wesen beider Werke entwickelt, verzichtete auf Experimente, erwies sich als anregend und fruchtbar in der Personenführung und blieb auch den stimmungsmäßigen Momenten, woran "Der Mantel" reich ist, nichts schuldig. Unterstützt wurde er in diesem Bestreben durch Ita Maximownas dem Geiste der Musik wahlverwandte Bühnenbilder und Kostüme. In "Gianni Schicchi" entfesselte Rennert zur Verlebendigung der erblüsternen Verwandten einen Wirbel köstlicher, mit ersten Kräften besetzter Charakterchargen (Martha Mödl, Antonie Fahberg, Gudrun Wewezow, Kieth Engen, David Thaw, Raimund Grumbach u.a.m.), ohne daß dadurch die stets überlegene Manier Fischer-Dieskaus gefährdet worden wäre. Unentwegt blieb dieser der Souverän des szenischen Geschehens. Wolfgang Sawallisch am Dirigentenpult versah den "Mantel" mit energisch ausgespielten veristischen Akzenten, das stimmungsmäßige Moment fiel zuweilen dahinter an Eindruckskraft zurück. In "Gianni Schicchi" setzte er auf Turbulenz und Drastik zugunsten eines wahrhaft atemlosen Ablaufes. Das Publikum hielt mit Bekundungen einmütiger Begeisterung nicht zurück.

Wilhelm Zentner

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     "Oper und Konzert", München, 1/1974     

Nationaltheater

"Der Mantel", "Gianni Schicchi", Neuinszenierung

   

Kamen nicht die meisten zu dieser vorweihnachtlichen Premiere der Bayerischen Staatsoper, um den berühmtesten deutschen Sänger zu hören, in konträren Gestalten, als den schwerblütigen, am Lebensnerv getroffenen Seineschiffer Marcel, Mörder aus Eifersucht , und als den bauernschlauen pfiffigen Testamentsfälscher Gianni Schicchi: Dietrich Fischer-Dieskau, den faszinierenden Künstler? Doch in "Mantel" beeindruckte nicht minder Julia Varady: kein billiger Weibsteufel, keine lebenshungrige Grisette, sondern eine junge Frau überschattet vom Chaos ihrer Gefühle, noch hingezogen zu Marcel, doch auch verfallen dem jungen Henri. Von der sensiblen Lyrik bis zur flammenden Dramatik spiegelt diese an seelischen Farbtönen so abundante Stimme alle Regungen eines leidenschaftlich verstrickten Herzens. Erotische Magnetfelder gehen von ihr aus - kein Wunder, daß ihr Mann meint "manchmal erlosch die Pfeife, doch die Liebe erlosch nie...". Wenn Marcel einsam auf seinem Kahn steht, sich abhebt in allmählich erhellender Szene, im Orchester die Quartmotive ab- und aufsteigen, dann ist schon die ganze Welt des "Mantel" eingefangen, Dietrich Fischer-Dieskau erzeugt durch sein bloßes Sein schweigend eine Aussage ohnegleichen. Erinnert man sich an Tito Gobbi in Rom oder Josef Metternich vor 14 Jahren im Prinzregententheater, dann meint die Erinnerung, sie hätten manche Kantilene mächtiger, "italienischer" gesungen; aber wer hatte die Gabe wie Dietrich Fischer-Dieskau, die Stürme in der Seele Marcels so expressiv zu gestalten, den Bogen zu spannen von Resignation zur enttäuschten Liebe, zum Versuch, noch einmal die Uhr zurückzudrehen, zum entfesselten zutiefst verwundeten Rächer? Robert Ilosfalvy besticht als Henri mehr mit der Kraft seiner Stimme als mit Belkantoschmelz, aber er ist präsent und hat Feuer für seine verzweifelte Liebe. Die Löscher "Stockfisch" und "Maulwurf" sind mit Friedrich Lenz und Kieth Engen fabelhaft nach Typ und Stimme besetzt, um so peinlicher daneben die Fehldisposition für "Frettchen", laut Personenregister im Klavierauszug 25 Jahre alt. Mußte die Intendanz diese Rolle wirklich Hertha Töpper zumuten, dieser großen Sängerin unvergeßlicher Rofranos und Brangänen? Das komische Fach war nie Frau Töppers Domäne - und hier wird sie nun gar in die Karikatur einer Rolle hineingetrieben; galant war dies kaum von den Verantwortlichen.

Ita Maximowna verzichtete anerkennenswerterweise darauf, durch hübsche Pariser Veduten von der unheilschwangeren Düsterkeit jenes Winkels an der Seine-Brücke abzulenken, wo sich die Tragödie begibt. Bedrohlich ragt eine Kaimauer auf, vor der Marcels Schleppkahn festgetäut ist. Die psychologische und soziale Ausgangssituation ist genau eingefangen, Arbeit und Elend, aufgestaute Leidenschaft und geheime Sehnsüchte können aufeinanderprallen. Nur eines war vergessen (und man vermißte es sehr): die Seine, die träge unaufhaltsam dahinfließt, in dieser Partitur ja nicht nur "impressionistisches Requisit" ist, sondern einen Grundton für das ganze Werk abgibt, Symbol ist für den Strom des Lebens. Günther Rennert inszeniert mit charakterisierenden sinnfälligen Details für "Stimmungen" ein strindbergisch angehauchtes Ehedrama als Spätblüte des Verismo, großartig im dramatischen Zug zur unausweichlich hereinbrechenden Katastrophe. Wolfgang Sawallisch erwies eine erstaunliche Affinität für Puccini, feinsten Sinn für die Valeurs dieser impressionistisch gefärbten Partitur, Leidenschaft und Energie, zuweilen allerdings überrollten die Wogen des hervorragend musizierenden Orchesters die Stimmen, in den Zwiegesängen Georgette/Henri, die viel Mittellage fordern, hätte etwas mehr dynamische Zurückhaltung nicht geschadet.

Für die amüsante Gaunerei des "Gianni Schicchi" versprüht die Phantasie Günther Rennerts mehr Einfälle, als Durchschnitts-Regisseure für ein Halbdutzend Opern parat stellen können. Ein jeder der erbschleichenden Raffer ist originell gezeichnet, alle agieren im partitur-entsprechenden Allegro-Witz. Über dem turbulenten Komödiantenfest, das heute sicher kein Regisseur wie Günther Rennert zaubern könnte, vergißt man fast, wie armselig oft gesungen wird. Mein Respekt für Martha Mödl ist grenzenlos, auch ist ihre rheumageplagte Zita ein zwerchfellbewegendes Meisterstück für eine Komödie - aber wieviele Noten kommen so, wie sie Puccini gedacht hat? Für den Zusammenklang der drei erblüsternen Weiber hat der Komponist ein berückendes Frauenterzett geschrieben, im Charakter fast eine Huldigung an Ravel: bei Martha Mödl, Gudrun Wewezow (Ciesca) und Antonie Fahberg (Nella) klang es ganz schrecklich. Und was soll man zur Lauretta von Elke Schary sagen; ihre zwar dünne, aber ganz hübsche Soubrettenstimme läßt in keinem Takte ahnen, daß die kleine A-Dur-Arie ein Prunkstück ist wie "Senza Mamma" oder "Vissi d’arte". In Italien wird diese Partie stets mit einer ersten lyrischen Sopranistin besetzt, etwa Renata Scotto, früher mit Mirella Freni, im Prinzregententheater war es 1948 Elisabeth Lindermeier. Ist es ein Trost für den Hörer, daß der Verlobte Laurettas eine ebenbürtige Leistung offeriert? Claes Haakan Ahnsjö singt eine glanzlose Hymne auf Florenz, geht im Ensemble, das er überstrahlen sollte, hoffnungslos unter, die hübschen Duettchen mit Lauretta klingen fast wie eine Parodie - selbst wenn die These im Programmheft richtig ist, Puccini habe die lyrischen Ergüsse ironisiert: als Belkanto-Persiflage sind sie sicher nicht konzipiert. Wäre nicht Kieth Engen als Simon, in ein paar Noten Raimund Grumbach (Marco), Hans Wilbrink (Spineloccio) und Albrecht Peter (Notar) gewesen, so wäre "Gianni Schicchi" stimmlich zu einem Bariton-Solo geschrumpft. Dietrich Fischer-Dieskau, gelöst und vergnügt wie kaum erlebt, ist vom Typ her sicher alles andere als ein Buffone in der italienischen Tradition. Geküßt von der heiteren Muse verwandelt er den hochgekommenen Bauern bewundernswert intelligent in eine Charakterstudie, pfiffig, schlau, nicht ohne Würde, ein Schelm von Padre Dantes Gnade. Wolfgang Sawallisch liegt der trockene Witz der Partitur ausgezeichnet, sein Temperament und delikater Klangsinn finden ein ideales Objekt, er hat die leichte Hand für den Wirbel, für die Kapriolen und den differenzierten Charme. Schade, daß er nicht auf ein klangvolleres Ensemble drang, sich mit den Diät-Kantilenen des Liebespaares begnügte. Aber die Publikumsmajorität war offensichtlich bereit, über dem köstlichen Spektakel die Oper zu vergessen: endloser Beifall ist zu vermelden, Dietrich Fischer-Dieskau, der Liederheros als Krimineller, wurde triumphal gefeiert.

KA

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     Schwäbische Zeitung, Leutkirch, 13. Dezember 1973     

Ereignis mit Fischer-Dieskau

Puccinis "Mantel" und "Gianni Schicchi" in München

   

Günther Rennert hat im Münchner Nationaltheater Puccinis "Mantel" und "Gianni Schicchi" und damit seine ganz persönliche Einstellung zu Puccini gezeigt. Das mittlere Werk des Einakter-Triptychons, "Schwester Angelica", das böse Zungen "Puccinis Klosterlikör" nennen, ließ er weg. Die Konzentration auf die Eckwerke zahlte sich aus. Dirigent war Wolfgang Sawallisch.

Vor vierzig Jahren hat Julius Patzak sich als Henri im "Mantel" Berühmtheit erworben. Jetzt war es Dietrich Fischer-Dieskau, der in beiden Werken für lange Zeit Vorbilder, unvergeßliche Figuren, schuf. Im "Mantel" neben ihm die beiden Ungarn Robert Ilosfalvy (Henri) und Julia Varady (Georgette), große Stimmen, blühend, dem Ansturm von Sawallischs Orchester gewachsen, der die Partitur zu einem einzigen Aufschrei werden ließ. Auch die anderen Solisten des Ensembles nicht zu vergessen, Kieth Engen, Friedrich Lenz, die beiden Löscherkollegen des Henri, Hertha Töpper als "Frettchen", Willi Brokmeier, der Liederverkäufer, alle künstlerisch von hohem Rang neben dem Sängerkometen Fischer-Dieskau.

Für Dirigenten ist der "Mantel" ein heikles Stück. Gewissermaßen italienischer Debussy, französischer Puccini. Wenn man ihn im Orchester zu massiv nimmt, geht das französische Kolorit unter.

Das Bühnenbild von Ita Maximowna zum "Gianni Schicchi", das leuchtend bunte Sterbezimmer des geizigen Buoso Donati mit Florenz und der dunstigen Toscana im Hintergrund, bekam mitten in die Introduktion der Musik hinein Sonderapplaus. Rennerts virtuose, choreographisch streng festgelegte Personenregie im Verein mit Sawallischs Orchester feierte Triumphe in der Kunst, den Geist und Witz der Commedia dell’arte mit der saftigen Realistik des modernen Darstellungsstiles der Danteschen Episode zu verbinden. Jede Figur des Ensembles war ein Kunstwerk für sich. Gianni Schicchi geistig, stimmlich und körperlich beweglich bis in die Region eines Eulenspiegels, dazu seine Tochter Lauretta (Elke Schary) und sein zukünftiger Schwiegersohn Rinuccio (Claes-Haakan Ahnsjö), das zärtliche Liebespaar, dann die ganze Bande der Erbschleicher und Halunken, jeder Darsteller sorgsam ausgesucht für seine Rolle, die alte Zita der Martha Mödl, ihr Neffe Gherardo (David Thaw) mit seiner Frau Nella (Antonie Fahberg), der alte Simon des Kieth Engen, sein Sohn Marco (Raimund Grumbach) und dessen Frau (Gudrun Wewezow), Hans Wilbrink als Arzt, Albrecht Peter als Notar, der kleine Gherardino (Pius Hörwick). Man vergaß über diesem Ereignis am Abend ein paar Stunden das Öl und seine Krise.

Eckart Fricke 

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