Zum Liederabend am 24.3.1975 in Frankfurt


    

     Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. März 1975     

Fischer-Dieskau in Frankfurt

Liedporträt Eichendorffs aus aufgeklärter Phantasie

     

Kaum ein Lyriker ist so mit den Stigmata des Deutschen behaftet wie gerade Eichendorff. Goethe und Heine wurden emphatisch in Frankreich und Rußland aufgenommen. Eichendorff blieb der Ruf des Dichters der Romantik und Restauration, von Katholizismus, Nationalismus und schlesischem Landsmannstum. Nicht zuletzt durch die nationalistischen Tiraden Hans Pfitzners, der sich ständig auf Eichendorff berief, dessen Gedichte aber in zahlreichen Klavierliedern und der Kantate "Von deutscher Seele" mitnichten dumpf volkstümelnd vertonte, ist dieser mehr noch in Verruf geraten als durch reaktionäre Liedertafelei und geistiges Waldläufertum. Mit Recht schrieb Adorno in seinem Essay "Zum Gedächtnis Eichendorffs": "Die ihn preisen, sind vorab Kulturkonservative." Zugleich aber ist der Aufsatz ein eindringliches Hommage unter der triftigen Devise "Eichendorff erkennend vor Freunden und Feinden zu retten ist das Gegenteil sturer Apologie".

Dieser Formel gerecht zu werden, gelang nun in überwältigender Weise Dietrich Fischer-Dieskau bei seinem Frankfurter Liederabend, der ausschließlich Eichendorff gewidmet war und ein breites kompositorisches Spektrum präsentierte. Fast hat man sich schon zu sehr daran gewöhnt, in Fischer-Dieskau den überragenden Sänger zu sehen, an dem man halt nicht vorbeikann, wenn es um Liedinterpretation geht. Und ebenso leicht ist man mitunter geneigt, Fischer-Dieskaus deklamatorsche Subtilität grundsätzlich als Manierismus zu kritisieren. Vor der Wahrheit der Konzertrealität schrumpfen indes die Extreme gläubigen Bestaunens und stilkritischer Skepsis. Denn erstens ist der Hang zum sprachlichen Überzeichnen keineswegs immer gleich stark ausgeprägt, und außerdem ist er oft auf der Schallplatte, die ein interpretatorisches Medium sui generis ist, größer als beim Liederabend, wie nun auch in Frankfurt wieder zu beobachten war, der den Bariton auf der Höhe eines oft ausgesprochen instrumentalen Singens zeigte.

Fischer-Dieskaus intelligente Perfektion und Ökonomie des Legatos, der farblichen, dynamischen und artikulatorischen Nuancen, die sich kaum mehr verselbständigen, verhalf zu einem facettenreichen, wie von einem imaginären Komponisten-Kollektiv stammenden Eichendorff-Porträt, in dem die Klischees des Romantischen fehlten: vage Gefühligkeit und volkstümlich-patriotische Gebärde. Romantische Entgrenzung verdankte sich äußerster Kontrolle und führte zu aufgeklärter Phantasie, was besonders gut den drei am Anfang stehenden Mendelssohn-Liedern bekam. Daß Fischer-Dieskau nur vier Lieder aus Schumanns Eichendorff-Zyklus sang, war schmerzlich (immerhin holte er als Zugabe "Intermezzo" nach).

Unter den fünf Pfitzner-Liedern wirkte kompositorisch wie interpretatorisch am nachhaltigsten "In Danzig". Wie Günther Weissenborn am Flügel das nebelhaft ineinander verschwimmende Akkordgeschiebe, das weiter in die Moderne vorausweist, als es Pfitzner selber wohl zugestanden hätte, zum irrealen Klanggrund werden ließ, und Fischer-Dieskau das monologische Crescendo nach innen steigerte, war beklemmend. Daß der junge Bruno Walter auch komponiert hat, ist wenig bekannt. Freilich schrieb er auch keine ausladende Symphonie wie Furtwängler oder Klemperer. Seine beiden Eichendorff-Lieder "Der Soldat" und "Der junge Ehemann" (1910) enthalten kaum Anklänge an Mahler. Reinhard Schwarz-Schillings Stücke stehen für spröd-introvertierte deutsche Neoromantik. Den fünf Wolf-Liedern des Programms ließen Fischer-Dieskau und Weissenborn (nach Pfitzners "Zum Abschied meiner Tochter") als Zugaben noch "Der verzweifelte Liebhaber", "Verschwiegende Liebe" und "Heimweh" folgen, wobei erneut evident wurde, wie sehr gerade die intellektuelle und stimmliche Beherrschung des Sängers romantisches Transzendieren trivialer deutscher Gemütstiefensuche entrückte. Günther Weissenborns pianistische Partnerschaft erwies sich wieder einmal als problemlos glücklich.

Gerhard R. Koch

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     Frankfurter Rundschau, 26. März 1975     

Eichendorff-Arrangeur

Dietrich Fischer-Dieskaus Liederabend

   

Ein Aufsatz über Joseph Freiherr von Eichendorff, geschrieben von Dietrich Fischer-Dieskau, wurde dem Liedprogramm beigefügt, mit dem der geisteswissenschaftlich sich unterbauende Sänger nun das Meisterkonzert-Publikum in der Frankfurter Oper enthusiasmierte. (In Darmstadt waren die hessischen Großbürger, die auch dort lange seiner harrten, der neuen Eichendorff-Offenbarung bereits teilhaftig geworden.) Verständigen Herzens romantisches Kunstwesen tiefer und tiefer erforschend, wollte der Liedinterpret dartun, wie inspirierend die "kristallhaft-klare" Wortmusik des unsterblichen Lyrikers auf bedeutende Komponisten wirkte – und zwar "bis in unsere Tage".

Dieses literarische Basiskonzept erwies sich als kaum tragfähig für einen musikalisch bruchlosen Liederabend; die doch recht abstrakte Idee ergab keineswegs einen zerreißfesten "roten Faden", der musikpoetische Einheit zu stiften vermöchte. Die zwischen schwermütig-besinnlichen, frisch-optimistischen und lebensklug-ironischen Ausdruckscharakteren mehr hin und her springende als sinnvoll vermittelnde Liedabfolge brachte es nur zum Konzert-Arrangement, nicht zu einer in sich stimmigen Eichendorff-Komposition, wie sie etwa Robert Schumanns "Liederkreis" op. 39 darstellt. Daraus hatte Fischer-Dieskau das erste, sechste, zehnte und elfte Lied herausgebrochen, wozu sich als weiteres Schumann-Beispiel "Der Einsiedler" (aus Opus 83) gesellte. Vorangestellt waren drei Mendelssohn-Exempel, die der dabei noch sehr um Konzentration ringende Sänger zunächst nur als (technisch schlackenlosen) Abguß seiner spontanen Innerlichkeit statuieren konnte. (Auch Schumann, in der Deklamation überpointierter denn je, verhalf ihm noch nicht zu einer gewaltlos-unrhetorischen Vision "von künftigem, großem Glück".)

In fünf Pfitzner-Gesängen ereignete sich dann schon Gewichtigeres, zumindest dort, wo sie kompositorisch vom einstmals originellen Gehör des später in Tradition versunkenen Meisters zeugten. Von den Eichendorffvertonern "unserer Tage" - das waren der Dirigent Bruno Walter und Reinhard Schwarz-Schilling – wußte Fischer-Dieskau den einen und anderen halbmodernen Genieblitz zu bieten, etwa des Kaminski-Schülers (Schwarz-Schilling) Preis der Violine: "Bist du manchmal auch verstimmt". Dadurch vollends ermuntert, war der Sänger nun wieder all seiner Kreativität zur sublimen Eichendorff-Deutung im Ton Hugo Wolfs mächtig.

Jederzeit präsent zeigte sich die berühmte Baritonstimme, die in manchen Registern unsüßer, sozusagen objektiver, geworden ist, robuster erst recht in der Tiefe, im Forteausbruch oft zu dick, verführerisch-schön geblieben jedoch im Piano sämtlicher Höhenlagen.

Durchweg profitierte der Liederabend vom geistigen Format exzellenter Begleiterkunst, der Günther Weissenborns am Flügel.

Karlheinz Ludwig Funk

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     Frankfurter Neue Presse, 26. März 1975     

Kunst der Stimme und Stimmung

Fischer-Dieskau sang in Frankfurt Lieder nach Eichendorff

   

Erst nach der fünften Zugabe war das begeisterte Publikum zufrieden, und Dietrich Fischer-Dieskau, der nach offiziellem Programmschluß noch einmal die wichtigsten Komponisten des Abends zusammenfaßte, konnte sein Meisterkonzert mit Liedern nach Eichendorff in der Frankfurter Oper beenden.

Daß sich der demnächst fünfzigjährige Bariton mit der jugendfrischen Stimme beinahe missionarisch eifrig für die Gattung Lied einsetzt (auch schriftstellerisch und in vielen Schallplattenaufnahmen), bestimmte diesen Abend mit weniger bekannten Kompositionen sogar der vertrauten Meister. Darüber hinaus verhalf er dem Mahler-Schüler Bruno Walter und Reinhard Schwarz-Schilling mit humorvoll spritzigem Vortrag zur Wirkung.

Die Spannweite seiner überragenden Charakterisierungskunst, an der der Pianist Günther Weißenborn wenig Anteil hatte, reichte in diesem Programm von schwärmerisch-harmloser Lieblichkeit (Mendelssohn) über sanftmütige Melancholie (Schumann) und umwölkte Dramatik (Pfitzner) bis hin zu Hugo Wolfs hintergründiger, manchmal sogar aufsässiger Fröhlichkeit.

Fischer-Dieskau hat jedes Wort, jede Verszeile, die Unterschiede zwischen Empfindung und Schilderung genau überdacht. Mühelos setzt er die Schattierungen, so daß sich manche Phrase in der Wiederholung überraschend verwandelt; Hintersinn und Gedankenfülle treten unter der klingenden Oberfläche zutage. Seine Stimme kann schmeicheln und herrlich aufleuchten, in der Höhe innig schwingen und in der Tiefe Geborgenheit ausstrahlen. Er hat die Gabe, seine Zuhörer in die Lieder einzubeziehen. Ein Missionar, dem man schwerlich widerstehen kann.

Gabriele Nicol

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     Abendpost-Nachtausgabe, Frankfurt/M.,  26. März 1975     

Ein Abend mit Fischer-Dieskau

   

Dietrich Fischer-Dieskau kam nach längerer Pause wieder zu einem "Meisterkonzert" in die Frankfurter Oper. Das bis auf den letzten Platz ausverkaufte Haus begrüßte den berühmten Bariton mit herzlichem Beifall und lauschte der Folge von Liedern nach Gedichten von Eichendorff, der 1788 auf Schloß Lubowitz bei Ratibor geboren wurde und 1857 in Neiße starb,

Erst im Alter von 38 Jahren veröffentlichte Eichendorff die erste Sammlung von Gedichten, die in volksliedhaftem Wort meisterhaft die Romantik des deutschen Waldes besangen.

Fischer-Dieskau hatte seinen Liederabend als Suite von Kompositionen zu Eichendorff-Gedichten von Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Hans Pfitzner, Bruno Walter, Reinhard Schwarz-Schilling und Hugo Wolf programmiert. Nicht nur die schöne, mit delikater Kultur behandelte Baritonstimme, sondern auch die hohe Intelligenz des Sängers, mit der er Text und Musik jedes Liedes zu einer harmonisch vollendeten Einheit gestaltet, sichern den unvergeßlichen Eindruck.

Mehrere Zugaben dankten für den enthusiastischen Applaus des faszinierten Publikums.

W. W. Gg.

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