Zur Oper am 25. August 1975 in Edinburgh


Süddeutsche Zeitung, 3. September 1975

Figaros Hochzeit und verschied......(Anm.: Rest fehlt)

Geraint Evans’ Mozart-Inszenierung und drei Uraufführungen

Die diesjährigen Festspiele begannen in hochsommerlicher Hitze, bei völliger Windstille und mit einem Festzug, der trotz beschwörender Gesten hoher Polizeifunktionäre in die falsche Richtung marschierte. Und als ob es an Unerwartetem nicht gereicht hätte, ging der friedfertige Evans - Regisseur und Figaro - bei der Pressekonferenz über die übliche optimistischen Redensarten hinaus, indem er mit sanfter Stimme an die Schwierigkeiten erinnerte, die denkende Sänger oft mit allzu einfallsreichen Regisseuren hatten. Ziel seiner Produktion war es, die Sänger gewähren zu lassen, und wenn’s nach ihm gegangen wäre, hätte das Programm lauten müssen: "Inszeniert von den Sängern, Koordination von Geraint Evans." (Er hatte diese Formulierung allen Ernstes vorgeschlagen, und die Intendanz hatte ebenso ernst abgelehnt.)

Um es vorwegzunehmen: Evans hatte eine Starbesetzung zur Verfügung, wie man sie heutzutage nur noch in Schallplattenstudios zu finden gewohnt ist, und ein halbes Dutzend starker Persönlichkeiten, denen ein Geringerer als er auf alle Fälle am besten ihren Willen gelassen hätte. Daß er es tat und "koordinierte", ergab eine Fülle von diskreten schauspielerischen Nuancen, wie man sie kaum je auf einer Opernbühne sah, und so viel Natürlichkeit - vom Glätten einer Falte bis auf die vornehme Art, in der sich Fischer-Dieskau als Graf beim Öffnen des Verstecks mit dem Hammer auf den Daumen haut -, daß der musikalische Ausdruck selbst einen verschämten Realismus gleichsam überzieht. Sogar die vertrackte Szene, die an die Vorstellungskraft die höchsten Anforderungen stellt, nämlich die Verkleidung einer als Junge verkleideten Sopranistin in einen als Mädchen verkleideten Jungen, ging ohne Schwierigkeiten ins Märchenzauberspiel über.

Von allem Anfang ging es deutlich um eine Aufführung, die sich jeglicher Interpretation enthielt, und wer auf das Grollen der Auflehnung gegen Rechte der Geburt wartete oder auf Varianten von Peter Halls Sex-Pantheismus, war enttäuscht, und sonderbar angenehm enttäuscht. Von etwas zuviel Rummel, zum Beispiel beim Eintreffen der Hochzeitsgäste, und von allerlei Schabernack im Garten abgesehen, gelang Sir Geraint die beabsichtigte durchaus heitere Oper, deren Probleme von der Musik gestellt und in ihr gelöst werden. Was Daniel Barenboim die "Aktionen und Reaktionen der handelnden Personen" nannte, ergab in der anspruchslosen Fassung die gleichen Spannungsfelder wie in der jeweils "interpretierten". Vor weiteren Schlußfolgerungen wird gewarnt.

Barenboim, der am Abend vorher für den erkrankten Claudio Arrau im Eröffnungskonzert eingesprungen war, hatte sich am Rasierspiegel die Hand verletzt und trotzdem seine Sänger und das ausgezeichnete English Chamber Orchestra mit höchster Präzision und Luzidität zum Erfolg geführt. Wenige Wunderkinder sind so schnell und organisch Wundererwachsene mit unfaßbaren geistigen und physischen Reserven geworden.

Fischer-Dieskau war ein durch die körperlichen Dimensionen etwas zu dominierender Graf, was seinem jugendhaften Charme keinen Abbruch tat, Ileana Cotrubas die liebenswerteste edel-proletarische Susanna, Teresa Berganza trotz ihrer fraulichen Rundungen ein überzeugender Cherubino mit tausend subtilen mimischen Akzenten, und Birgit Finnilä machte aus der Marcellina eine Mama von bedrohlicher Ausdrucksstärke. Ihre Absicht, Don Curzio zuliebe Figaro zu heiraten, wurde bisher nie interpretiert, führt aber zwanglos zu Geraint Evans’ Glanzleistung in der Titelrolle, für alle jene von besonderem Reiz, die ihn in einer Meisterklasse beim Analysieren der Rolle für die jungen Nachfolger beobachten konnten: kein Wort, keine Geste, kein komisches Augenrollen ohne delikaten Sinn, und die Stimme so prächtig wie je zuvor.

Großer Jubel im allzu kleinen King’s Theatre, das seit langem für alle Vorstellungen ausverkauft war. Der Festspielleiter Peter Diamand wies der Presse gegenüber mit leiser Stimme und starken Worten darauf hin, daß Edinburgh endlich ein Opernhaus haben müßte und entkräftete den üblichen Einwand, daß die Zeiten hierfür ungünstig seien, mit der tückischen Frage, wann eigentlich die Zeiten für Neubauten je günstig gewesen wären.

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F. Thorn

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     The Scotsman, Edinburgh, 26. August 1975       

Figaro and friends

"The Marriage of Figaro": King’s Theatre

    

When Sir Geraint Evans appeared at the Edinburgh Festival two years ago as Leporello in Peter Ustinov’s production of "Don Giovanni," he was said to remark that he could have produced it better himself. Edinburgh Festival Opera, it seems, accepted the challenge. This year we have a new "Marriage of Figaro," unveiled at the King’s Theatre last night. The producer is Sir Geraint Evans.

Or rather – to use the title which Sir Geraint himself says he would have preferred – he is the co-ordinator of a group of singers, or friends, who have teamed together to work out the production. With Dietrich Fischer-Dieskau as the Count, Heather Harper as the Countess, Teresa Berganza as Cherubino, Ileana Cotrubas as Susanna and Sir Geraint as Figaro, plus Daniel Barenboim as conductor, they are obviously pretty high-powered friends, of a kind we are more likely to encounter today in a recording studio than an opera house.

The production reflects this. Though it is not, in fact, ideally cast, it has been thoroughly well rehearsed, it is generally well sung, and it is outstandingly well conducted. What it lacks, dramatically, is a distinctive point of view, and what it lacks, visually, are sets which are a pleasure to look at. Indeed the designer, John Fraser, seems almost to have gone out of his way to soften the cutting edge of "Figaro," with his emphasis on pastel tints, on nasty beige mockmarble, with a starry sky for the final act that is more in keeping with "Soir de Paris" than Mozart’s muscular opera.

Moreover, the singers obviously find the décor awkward to act in, though Sir Geraint’s production does its best to overcome this. The contrast between Figaro’s cramped quarters and the spaciousness of the Countess’s boudoir is well made (rightly there is no interval between Acts One and Two). The tensions between the characters, too, are well conveyed, especially when Fischer-Dieskau is on the stage, and the comic detail is mostly fresh and inventive, often genuinely funny, and rarely overdone.

Fischer-Dieskau’s Count is one of the great assets of the evening, big, domineering, sensual, yet also dandified – an aristocrat ripe for the tumbrils. His spitfire recitatives in Act Two are stunningly voiced, his "Hai gia vinta la causa" in Act Three subtly varied in mood, as opposed to merely fierce; it is superbly sung.

Sir Geraint’s vividly enunciated Figaro has the right touch of metal beneath its genial surface, and a thorough understanding of the role which consistenly pays dividends. Cotrubas is a wise, natural, likeable little Susanna. Berganza sing alluringly, moves fleetly, yet looks oddly dumpy as Cherubino. Harper’s Countess, able enough vocally, as yet lacks personality. Praise for Birgit Finnila’s Marcellina, refreshingly young and sexy, not the usual ageing grotesque.

But praise above all for Barenboim, who, conducting "Figaro" for the first time in his career, conjures the most limpid woodwind playing from the English Chamber Orchestra and shapes the whole score with an unerringly vital sense of line, colour tempo and climax. True, he eares little about getting his singers to observe essential appoggiaturas and flourishes; but a conductor who is able to bring such consistent love and eloquence to a Mozart accompaniment can be forgiven this oversight.

Conrad Wilson

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     Nürnberger Nachrichten, 1. September 1975       

Der Sänger Geraint Evans inszenierte "Figaros Hochzeit" in Edinburgh

Star unter den Stars

Regisseur übernahm auch die Titelrolle - Barenboim dirigierte die Festspieloper

    

Noch immer umgibt ihn die Aura des Wunderknaben, obwohl er nun doch schon in die gesetzteren, korpulenteren Männerjahre gekommen ist: Daniel Barenboim, Liebling des Edinburgher Publikums, für das er bei den 29. Festspielen "Die Hochzeit des Figaro" dirigierte. Seine zweite Festspieloper, nachdem er hier 1973 mit "Don Giovanni" sein Debüt als Operndirigent gegeben hatte.

[...]

Zur Erklärung der Aufführung ist nötig zu wissen, daß Evans sich neben seinen stimmlichen Qualitäten durch ein aus allen Nähten platzendes Komikertalent auszeichnet. Von kleiner, untersetzter Statur, getrieben von einem unerschöpflichen Temperament und ausgestattet mit dem, was man "Erfahrung" nennt, versteht er es, Wirkungen zu setzen und "mitzureißen". Klar, daß sich Evans nicht mit der Regieaufgabe begnügte, nein, er reservierte für sich auch noch die Titelrolle, machte aus Figaro eine jener Theaterfiguren, die immer genau wissen, wie sie sich am besten in Szene setzen, die eben immer nur nach den Gesetzen des Theaters handeln, nie aber deutlich zu machen vermögen, daß ihr Handeln eben auch durch die sozialen Bedingungen, in denen sie "groß geworden sind", bestimmt wird. Akzeptiert man diese allein von der routinierten Kenntnis der Theaterpraktiken, nicht aber von dem Bedürfnis nach der sozialen Motivation des Handelns und Singens bestimmte Interpretationsabsicht, vergißt man Beaumarchais, die Zeit, in der dessen Stück entstand, so bot dieser Edinburgher "Figaro" durchaus vergnüglich komödiantisches Theater, getragen von einem idealen Sängerensemble.

Geraint Evans wußte, wie er seine Kollegenfreunde, sich selbst und das Publikum bei Laune halten kann. Dieser "Figaro" bot ungetrübtes Vergnügen (aber eben nicht mehr); das Publikum bejubelte Barenboim, den schon sehr reifen "Figaro" und Regisseur Evans und die Sängerelite, die mit sichtbarer Freude und in glänzender stimmlicher Verfassung ihre Aufgabe bewältigten. Allen voran Ileana Cotrubas als Susanna, ein heiteres, quirliges Geschöpf, mit einem faszinierend komisch-proletarischen Charme und einer überwältigend schönen, makellosen Stimme. Dietrich Fischer-Dieskau gab dem Grafen Almaviva nicht die Chance, daß mit solchen Figuren die Revolution aufzuhalten sei, er rückte ihn in die Nähe des Ochs (aus "Rosenkavalier") und des "Falstaff" - ein dekadenter Landesherr, der seine Macht allein noch an der eigenen Ehefrau ausüben kann. Das war, weil mit Intelligenz und Spiellaune vorgezeigt und (erstaunlicherweise) gänzlich unmanieriert vorgetragen, eine komödiantisch-sängerische Meisterleistung. Ideal besetzt war auch die Gräfin mit der jugendlichen Heather Harper und natürlich Cherubino mit Teresa Berganza.

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Thomas Thieringer

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     Südkurier, Konstanz, 22. September 1975         

Fischer-Dieskau - das Ereignis

Eindrücke von den Festspielen in Edinburgh

    

Zu Beginn der Edinburgher Festspiele waren gleich große Namen zu finden, und zwar in "Figaros Hochzeit" von Mozart; Geraint Evans hatte diese Oper menschlicher Gestalten inszeniert und sang auch die Titelpartie mit einer Mischung aus Humor, Charme und selbstbewußter Hartnäckigkeit. Das Entscheidende an der Aufführung war sicherlich das harmonische Zusammenspiel von Sängern und Musikern. Hier waren Künstler am Werk, die sich gegenseitig anregten.

Ileana Cotrubas scheint für die Rolle der Susanna geschaffen zu sein. Wie bereits im letzten Jahr in Glyndebourne, machte sie aus dieser Gestalt ein Wesen, das sich nicht nur kapriziös und listig aus den gräflichen Armen zu entwinden versteht, sondern das auch in aller Offenheit in der Arie im vierten Akt dem Verlangen mit Figaro endlich vereint zu sein, mit zarter, weicher Stimme, aber unmißverständlich Ausdruck gibt. Teresa Berganzas Cherubino war erfüllt von errötendem Draufgängertum.

Der Graf wurde durch Dietrich Fischer-Dieskau zu einem etwas dandyhaften, aber verführerischen Mann, der empfindlich reagierte, wenn er sich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlte. Seine Stimme war ein Ereignis. Heather Harper als Gräfin wirkte etwas blaß und unbeweglich, sie wurde der Rolle weder stimmlich noch darstellerisch wirklich gerecht. Einen Löwenanteil an dem Erfolg dieser ersten Aufführung hatte das English Chamber Orchestra unter der hervorragenden Leitung von Daniel Barenboim. Barenboim dirigierte den "Figaro" das erste Mal. Die Bewunderung für seine subtile Musikalität, mit der er die einzelnen Linien, die dynamischen Pole dieser Musik mit unendlicher Feinheit gemeinsam mit Sängern und Musikern herausarbeitete, drückte sich in starkem Beifall aus.

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Ursula Dauth

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     Wiesbadener Kurier, 16. September 1975     

Edinburgher Festspiele

Ist das Provisorium das Geheimnis des Erfolgs?

Oper, Schauspiel, Konzert - eine Schlußbilanz in Auszügen

    

Die Höhepunkte? [...] Auch die ambitiöse Opern-Eigenproduktion des Festivals von Mozarts "Figaro" wurde ein glänzender Erfolg.

Daniel Barenboim, der junge Dirigent und Pianist, huscht zwar, von der Ouvertüre an, oft noch zu gefällig über die Partitur hinweg, entsprechend der von Gags und Fröhlichkeit übersprudelnden Regie des unverwüstlichen Figaro Geraint Evans; dennoch zieht man diese unbeschwerte Inszenierung der Salzburger (Karajan/Ponnelle) vor, besonders wegen der vorzüglich harmonierenden Solistenschar: Ileana Cotrubas - einfach ein Gedicht von Susanna, Teresa Berganza - Cherubino, Heather Harper - eine etwas blasse Gräfin, Dietrich Fischer-Dieskau - ein komödiantischer, aufgelockerter Graf, der auch an ernsten Stellen kaum das Lachen verbergen kann.

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E. Sch.

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