Zur Oper am 16. März 1976 in Berlin


Der Nord-Berliner, 26. März 1976

Meisterhafte "Meistersinger" in der Deutschen Oper

Neuinszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" in der Deutschen Oper Berlin

Spricht man von Wagner-Opern, denkt man sofort an die grandiosen Aufführungen in Bayreuth. Jede Inszenierung wird sich an den dortigen Aufführungen messen lassen müssen. Nach der Neuinszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" in der Deutschen Oper Berlin wird man für diese Oper Berliner Maßstäbe anlegen können. Hier ist eine so glückhafte Einheit der Inszenierung, musikalischer Interpretation, gesanglicher und darstellerischer Leistung, von Bühnenbild und Kostümen gelungen, daß man eine in der Tat in sich geschlossene Meisterleistung erleben durfte. Das Premierenpublikum genoß ein unübertroffenes Labsal der optischen wie der musikalischen Gestaltung, ein Kunsterlebnis ersten Ranges. Der einhellige Jubel wollte kein Ende nehmen.

Die Inszenierung von Peter Beauvais zeichnet sich durch unübertrefflichen Realismus aus. Er verzichtet bewußt auf alle Extravaganzen, auf jede experimentelle modernistische Deutung der Wagner-Oper, und gerade das macht seinen Erfolg aus. Im Mittelpunkt stehen für ihn die Volksszenen, die deftige Prügelszene des zweiten Aktes, das Volksfest auf der Festwiese im dritten Akt - hier stellt er so farben- prächtige, lebendige Bilder, daß der Jubel nicht enden will. Die Meistersingerthematik, die Deutschtümelei tut er beinahe nebenher ab, er führt das bürgerliche Leben des 16. Jahrhunderts ganz selbstverständlich vor, Traditionen werden psychologisch begründet, ohne jede Aufdringlichkeit gezeigt. Beauvais stellt eine Welt vor, die zwar vergangen ist, die aber in seiner Inszenierung verständlich wird. Dies gelingt ihm durch die Zeichnung genauer Charakterstudien, durch die Zeichnung atmosphärisch dichter Bilder. Er führt die Personen unaufdringlich und gleichzeitig exakt, sämtliche Darsteller beweisen sich in dieser Inszenierung nicht nur als hervorragende Sänger, sondern gleichzeitig auch als exzellente Schauspielerpersönlichkeiten, denen es gelingt, ihre Haltungen glaubhaft zu gestalten.

Das Bühnenbild von Jan Schlubach paßt sich der realistischen Konzeption der Regie in einmaliger Weise an. Für das Bühnenbild des zweiten Aktes, ein Blick in die Nürnberger Altstadt, und für die Festwiese des dritten Aktes gibt es schon beim Öffnen des Vorhanges donnernden Szenenapplaus, wann hat es das in der Deutschen Oper gegeben? Im ersten Akt führt uns Schlubach in das Seitenschiff der Katharinenkirche, eine steinerne Halle, die sich zu Gottes Ehre in die Höhe zu schwingen scheint, im Mittelpunkt ein goldenes Heiligenbild, das zur Besinnung zwingt. Der zweite Akt führt uns in die Nürnberger Altstadt, links das Haus des Schuhmachers Hans Sachs, gut bürgerlich und fest gebaut, auf der anderen Seite das prächtige Haus des reichen Goldschmiedes mit verspielten Erkern und Türmchen, in der Mitte ein abgedeckter Brunnen, efeuumrankt, eine Bank. Steintreppen führen in die Altstadt, zu den Bürgerhäusern einer in sich gefestigten Welt. Man meint, in das Nürnberg des 16. Jahrhunderts geführt zu werden, wenn man dieses meisterhafte Bühnenbild in all seiner Schönheit, seiner Solidität, in seiner historisch-künstlerischen Gestaltung studiert. Im dritten Akt schauen wir in das Innere eines gutbürgerlichen Hauses, in die mächtige Diele, ausgefüllt durch das Arbeitszimmer des dichtenden Schuhmachers Hans Sachs, in die Schuhmacherwerkstatt. Durch die geöffneten Fenster schaut man in einen dunstigen, sonnigen Frühlingstag, sieht man in der Ferne die Silhouetten des alten Nürnberg, ein Bühnenbild von unvergleichlicher Tiefenwirkung. Dann wird der Blick freigegeben auf die Festwiese, auf ein lebendes Gemälde eines großen Meisters vergangener Tage, aber auch auf ein Bild von immenser Farbenpracht. Und hier sind wir schon beim nächsten Höhepunkt dieser Aufführung. Barbara Bilabel hat die Kostüme geschaffen, Kostüme von solchem Glanz, solcher Farbenpracht, daß der Jubel des Publikums nicht enden will. Bühnenbilder und Kostüme verbinden sich zu einer glückhaften Einheit, sie unterstützen die Inszenierung in unübertrefflicher Weise. Die Chöre unter Walter Hagen-Groll, bei jeder Inszenierung können sie lobend herausgehoben werden, erreichen hier eine meisterhafte, unübertreffbare Spitzenleistung. Ihnen gelingt eine so lebendige Darstellung, sie sind gesanglich so vorzüglich, ihnen gelingen die großen Volksszenen des zweiten und dritten Aktes so unübertrefflich charakteristisch, daß sie an dem hinreißenden Opernerlebnis nicht unwesentlichen Anteil haben.

Alle Rollen, bis zur kleinsten Nebenrolle, wurden imponierend, einmalig besetzt. Dietrich Fischer-Dieskau singt die Partie des Schuhmachermeisters Hans Sachs. Sämtliche zukünftigen Interpreten dieser Partie werden sich an der grandiosen Leistung dieses Sängers und Darstellers messen müssen. Er ist ein Meister der künstlerischen Gestaltung, der mit schauspielerischer und sängerischer Klugheit ein vortreffliches Charakterbild des bald heiteren, bald melancholischen, verschmitzt augenzwinkernden, biederen Schuhmachers zu zeichnen weiß. Ihm gelingt eine so glaubwürdige lebendige Gestaltung, wie man sie wohl nur selten bisher erlebt hat. Er hält Zwiesprache mit sich, mit der Welt so eindringlich, so glaubwürdig, daß man hier nur von einem Kunsterlebnis ersten Ranges sprechen kann. Gerd Brenneis in der Rolle des Ritters Walther von Stolzing legt sich schauspielerisch Zurückhaltung auf, trotzdem gelingt es ihm, mit einer angedeuteten Geste innere Wallungen, seelische Zustände überzeugend zu gestalten. Sängerisch gelingt ihm ebenfalls eine hervorragende Leistung, er überzeugt mit seiner klangvollen Tenorstimme vor allem in den lyrischen Passagen. Zu einem der vielen Höhepunkte des Abends gerät das "Preislied", das er mit Wärme, Nachdruck und lyrischem Schmelz vorträgt. Ebenfalls gelingt Gerti Zeumer als Eva gesanglich und darstellerisch eine differenzierte Charaktergestaltung, Barbara Scherler überzeugt in der Rolle der Magdalene.

Ernst Krukowski gestaltet den Part des Sixtus Beckmesser zu einer beeindruckenden Charakterstudie. Er hebt die Figur des neurotischen Hagestolzes weit über die Karikatur hinaus, er gestaltet in seinem Spiel eine Persönlichkeit von tragischer Einsamkeit, einen giftigen Junggesellen, der einen trotz allem dauern kann, den man nicht mit einem boshaften Lachen abtun kann. Großartig, darstellerisch wie gesanglich, Horst Laubenthal in der Rolle des Lehrjungen David. Ihm gelingt eine absolut rollendeckende Gestaltung, ebenso Peter Lagger als Goldschmiedemeister Veit Pogner und Gerd Feldhoff in der Rolle des Fritz Kothner. Die übrigen Meister, jeder für sich ein überragender Solist, sind Peter Maus, Martin Vantin, Ivan Sardi, Karl Ernst Mercker, Roberto Banuelas, Miomir Nicolic, Klaus Lang und Loren Driscoll, ein Chor der Meister, wie er in dieser Vortrefflichkeit wohl nur selten zu besetzen ist. Die beeindruckende Charakterstudie eines Nachtwächters liefert Josef Becker. Eugen Jochum am Dirigentenpult - er feierte am Tage der Aufführung sein 50jähriges Bühnenjubiläum - verzichtet bei der Gestaltung der Partitur auf jedes hohle Pathos, er steigert sich von Szene zu Szene - übertönt im ersten Akt das vorzüglich spielende Orchester noch partiell die Solisten - so verschmelzen anschließend Gesang und Musik zu einer großartigen Einheit. Jochum gelingt es hervorragend, die drastischen, humoristischen Teile der Partitur herauszuarbeiten, ebenso aber auch die zarten, lyrischen Passagen der reichen Partitur zu gestalten.

Nach einer beinahe sechsstündigen Aufführung - die Zeit verging wie im Fluge - einhelliger, nicht endenwollender Beifall, Bravo-Rufe für eine meisterhafte Inszenierung, für meisterhafte Bühnenbilder und Kostüme, für meisterhafte musikalische Gestaltung und Interpretation durch Eugen Jochum und das Orchester, für meisterhafte gesangliche und darstellerische Leistungen aller Mitwirkenden, für die meisterhafte Leistung der Chöre, der Tanzgruppe und des Bewegungschores.

Selbst Nicht-Wagner-Anhängern kann man nur dringend empfehlen: Unbedingt in die Deutsche Oper Berlin gehen! Ein einmaliges Erlebnis erwartet Sie!

Horst Dammrose

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     Oberhessische Presse, Marburg, 20. März 1976

Geschmackvoller Realismus

Meistersinger in neuem Gewande - Triumph für Fischer-Dieskau

    

In der Deutschen Oper Berlin wurde die szenisch abstrahierende Meistersinger-Interpretation von Wieland Wagner nun abgelöst durch eine Neuinszenierung, die wieder die Schaulust des Publikums auf ihre Kosten kommen läßt. Alt-Nürnberg mit Gassen und Fliederbusch ist auf die Bühnenbretter zurückgekehrt und die Festwiese zeigt wieder ein Volksfest, statt streng durchchoreographierten Rituals. Der Trend zu Historismus, Realismus und Konkretisierung der Bühnenvorgänge ist im Theater unserer Tage ja allgemein nicht zu übersehen.

In den geschmackvollen Bühnenbildern von Jan Schlubach, die 2mal spontanen Beifall auslösten, ergänzt durch die prächtigen stilechten Kostüme von Barbara Bilabel, ersteht eine Meistersinger-Welt, die neben dem historischen Kolorit auch zugleich ein wenig vom Fluidum der Entstehungszeit (19. Jh.) vermittelt. Peter Beauvais, als ausgezeichneter Fernsehregisseur bekannt, führt eine kluge, nuancierte Personenregie. Für ihn stehen die menschlichen Beziehungen des Handlungsgeflechts im Vordergrund, nicht die Kunstphilosophie wie einst bei Wieland. Beauvais folgt dem Buch und der Musik.

Im Zentrum des Geschehens steht Dietrich Fischer-Dieskau als Hans Sachs. Es ist sein Rollendebüt und er erobert die anspruchsvolle Partie im ersten Anlauf. Sein in jeder Nuance überzeugendes Spiel, die Intelligenz und Musikalität der sängerischen Gestaltung - weitab von jeglichem Auftrumpfen der Wagnersänger alter Schule - die souveräne Ausstrahlung einer großen Persönlichkeit, ergeben eine Bühnenfigur aus einem Guß. Vielleicht tritt der Poet und Lebensphilosoph etwas vor dem Handwerksmeister in den Vordergrund und der Stimme fehlt es zuweilen an satter Fülle in den tieferen Lagen. Aber der menschlich-künstlerische Gesamteindruck ist der einer absoluten Rollenerfüllung.

Neben Fischer-Dieskau hinterläßt Ernst Krukowski, der schon bei Wieland der Beckmesser war, den stärksten Eindruck. Er zeichnet ein eindrucksvolles Charakterbild des zu kurz kommenden, galligen Merkers, ohne jegliche Verzerrung zur billigen Karikatur oder verharmlosende Oberflächenkomik. Seine Szenen mit Fischer-Dieskau gehören zu den stärksten des Abends. Außerdem singt Krukowski den schwierigen Part ausgezeichnet.

Die übrige Besetzung war von solidem Zuschnitt. Gerd Brenneis überzeugt als Ritter Stolzing mit seinem schönen Tenor und sympathischer Ausstrahlung. Evchens Liebhaber glaubt man ihm eher, als den Dichter des Preisliedes. Gerti Zeumer ist ein hübsches Evchen mit vorerst noch etwas schmalen Stimmitteln, Barbara Scherler eine muntere Lene. Horst Laubenthal singt den David mit heller, klarer Stimme sehr schön und ist auch als Erscheinung glaubwürdig. Sein Spiel würde noch einen Schuß Temperament vertragen. Unter den Meistern profilieren sich musikalisch und darstellerisch besonders Peter Lagger (Pogner) und Gerd Feldhoff (Kothner).

Am Pult stand Altmeister Eugen Jochum. In der zweiten Aufführung gelang es ihm besser, Orchester und Sänger aufeinander abzustimmen als in der Premiere, wo die Lautstärke oft zu ungunsten der Sänger ging. Die Pianostellen hatten jetzt mehr Intensität, die Musik strömte geschmeidiger, die motivischen Details waren prägnanter herausgearbeitet. Der Chor war wie immer vorzüglich studiert und auch spielmäßig aktiviert. Eine schöne Aufführung, die nie ins Biedere oder Deutschtümelnde abgleitet, ein großer Publikumserfolg.

Ruth Köhler

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     Petrusblatt, Berlin-West, 4. April 1976 

Deutsche Oper: Meistersinger von Nürnberg

Fischer-Dieskau sang den Hans Sachs

    

In Richard Wagners aufschlußreicher Schrift: "Was ist deutsch?" ist zu lesen: "Johann Sebastian Bach, dieser musikalische Wundermann, ist die Geschichte des deutschen, christlichen Geistes während des grauenvollen Jahrhunderts gänzlicher Erloschenheit des deutschen Volkes!" Und im weiteren Verlauf seiner Schrift äußert Wagner: "Dem Deutschen liegt am Erhalten mehr als am Gewinnen; das neu Gewonnene hat für ihn nur Wert, wenn es zum Schmuck des Alten dient!"

Diese Worte offenbaren klar und eindeutig die sublime Größe eines der bedeutendsten Musikdramatiker.

Der Unterzeichnete hörte die Wiederholung der Premiere der "Meistersinger von Nürnberg", die auch Anlaß gab, den hervorragenden Dirigenten Eugen Jochum anläßlich seines 50jährigen Bühnenjubiläums zu feiern.

Hans Sachs, der mit dem Eichkranz ewig jung belaubte Poet, konnte sängerisch und darstellerisch kaum besser vermittelt werden als von Dietrich Fischer-Dieskau: Eine einheitliche Leistung par excellence. Ihm standen - im geringen Abstand -sekundierend zur Seite: Gerd Brenneis (stimmlich prächtig, darstellerisch etwas gleichförmig), Gerti Zeumer (eine ideale Eva mit pointierter Stimme in der Höhenlage), Barbara Scherler (die mit ihrem Part als Lene gut abschnitt), Ernst Krukowski als Beckmesser, Horst Laubenthal als David (beide untadelig in ihren Leistungen), Peter Lagger, der durch seinen grundierten Baß und seine noble Verkörperung von Veit Pogner, Vater Evas, erfreute.

Daneben, insgesamt bestens profiliert, die anderen Meistersinger; der von Hagen-Groll diszipliniert vorbereitete Chor und das Orchester in Hochform.

Für die meisterhaft gestaltete Regie zeichnete Peter Beauvais, der - im Sinne Richard Wagners - Altes mit Neuem geschickt zu vereinen weiß, ein Künstler, der vortreffliche Detailarbeit leistet. Jan Schlubach assistierte ihm mit eindrucksvollen Bühnenbildern, die lebhaft beklatscht wurden, Barbara Bilabel mit stilvollen Kostümen, Jörg Schmalz durch choreographische Mitarbeit.

Nach dem authentischen C-Dur-Schluß-Dreiklang nicht endenwollender Beifall von allen Seiten des Hauses.

F. K. G.

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