Zum Konzert am 7. März 1977 in München


Süddeutsche Zeitung, Datum unbekannt

Das romantische Mysterium vom Doktor Faust

Wolfgang Sawallisch dirigierte Robert Schumanns Goethe-Szenen in München

Es war - Verzeihung für das große Wort - ein Ereignis, eine Rechtfertigung des sonst häufig zwischen Abfütterung und Sensation schwankenden Konzertwesens. Letzte Fragen des Machtkampfs zwischen Wort und Ton wurden ausgetragen, durchlitten und überhöht in einem Konzert, das verarbeitet statt geschlürft sein will: ein antikulinarischer Vorgang auf hochromantischem Terrain. Robert Schumanns Szenen aus Goethes "Faust", die Wolfgang Sawallischs künstlerisches Ethos konzertant auf die Bühne des Nationaltheaters wuchtete, enthalten neben dem Goethe-Verständnis der Romantik eine Überfülle teils immerwährender, teils vorweggenommener Stilprobleme und ein Maß an "Zukunftsmusik", wie man es bei jenem Komponisten nicht vermuten möchte, der einst in Verkennung seines Willens zum Hort des Konservativismus abgewertet worden ist. Daß dieser Hinweis auf den relativ späten, herb konsequenten Schumann sich mit einem vokalen Aufwand vollzog, wie ihn eine luxuriöse Schallplattenproduktion kaum aufzubieten vermag, hob zusätzlich den Rang dieses 5. Akademiekonzerts hervor.

Robert Schumann wählte aus, was an Goethes "Faust" opernhaft erscheint, um es nicht im Sinne der Oper zu behandeln, ja um es als Gleichnis für eine imaginäre Hör-Bühne - Raumklang usw. begibt sich hier hundert Jahre vor der Entwicklung der Stereophonie - jeglichem Kulissenwesen zu entrücken und in eine Zone reiner Wortauslegung zu versetzen. Eine Handlung gibt es dort nicht, wo das intellektuelle Mißtrauen gegen das Theater Regie führt; wer "Faust II" nicht kennt, versteht wenig, wem auch "Faust I" fremd sein sollte, begreift überhaupt nichts. Keine Wortwiederholungen, diese treuesten Begleiter der Oper, verschaffen dem Gedanken Nachdruck; die Musik überantwortet sich bis zur Selbstlosigkeit dem Dichterwort, und die große, frei deklamierte Sterbeszene des Faust führt in die Nachbarschaft zum Rezitativ Hans Sachs’, Wotans, ja Wozzecks. Zumal wenn Dietrich Fischer-Dieskau, der Inbegriff eines faustischen Musikertemperaments, die ganze Skala tieferer Bedeutung durchmißt, jedes Wort auf die sängerische wie auf die philologische Goldwaage legt und als Doctor Marianus schließlich noch die ekstatischste aller Pianissimo-Kantilenen singt.

Auf dem Wege zum romantischen Mysterium, zum abstrakten Passionsspiel nach Goethe - es erfüllt sich, ähnlich wie in Mahlers 8. Symphonie, mit dem verklärenden Schluß von "Faust II" - scheut Schumanns Treue zum eigenen Prinzip keine steinigen und verkarsteten Strecken. So ringt der Frühvergeistigte die Versuchung nieder, Faust und Gretchen verliebt duettieren zu lassen; im Konversationston, der nie des Romantikers Stärke war, erledigt er, was an den Figuranten eines Gleichnisses allzu menschlich ist. Bei Gretchens Kirchenszene, wo Siegmund Nimsgern heldenbaritonal und infernalisch pointiert den Mephisto spielt, enthält sich Schumann der "naturalistischen" Orgel: mehr Ausdruck des Sinns als Definition des Handlungsorts. Des entsagungsvollen Musikers Größe schreitet bisweilen in Grau einher, im kargen Gewande rezitativischen Ernstes und in strikter Abstinenz von jeglicher Tonmalerei. Gretchen bleibt lediglich der "dramatische" Ausbruch an sich, der Aufschrei der gepeinigten Kreatur; Julia Varady erfaßt diese frühe Schwester des Wozzeck mit allen Kehlen- und Seelenkräften des Espressivo. Abstrakte Schönheit umgibt den von Peter Schreier intelligent multiplizierten Oratorienausdruck des Ariel im unsinnlichsten Sonnenaufgang der Musikliteratur. Umrisse eines Scherzo bestimmen den Auftritt der vier grauen Weiber, eine Hexenszene aus Andeutungen (Leonore Kirschstein, Marianne Seibel, Liliana Nejtschewa, Gudrun Wewezow). Die Partitur - pardon, die in Tönen abgefaßte Goethe-Exegese - schreitet über einsames, von Respekt und Wortbezogenheit fahl beleuchtetes Gelände hinaus zur musikalischen Gloriole von Fausts Himmelfahrt.

Das Finale aus dem Geiste der Hochromantik, die hier die Liturgie der Weltfrömmigkeit zelebriert, gehört zum Edelsten und Schönsten, was der Jünger Goethes, Byrons und Jean Pauls komponiert hat, der zum Mystiker gediehene Davidsbündler. Wenn es ein Mysterium aus dem Intellekt gibt, dann in dieser Verklärungsmusik außerhalb von Zeit und Ort, wo sich kaum Melodien im gängigen Sinne finden, wo, konform mit Goethes Dichtung, alle Nuancen der Helligkeit ausgespielt und zugleich abstrahiert werden und wo sogar der ewige Schulmeister im deutschen Musikus schweigt, der doch Fausten zumindest beim seligen Ende auf Kontrapunkt gebettet haben würde. Es ereignet sich eine ganz freie und doch ganz wortgebundene Musik der reinen Harmonie, und Wolfgang Sawallisch kann sich rühmen, sie aufs phantasievollste und genaueste realisiert zu haben, im Verein mit dem von Wolfgang Baumgart in Schumanns ätherischen Satz eingeweihten Chor der Bayerischen Staatsoper und mit dem vortrefflichen Staatsorchester, das man über Gebühr nach rückwärts gesetzt hatte, um Schumanns schier sklavischen Dienst am Goethe-Wort nicht durch Klangmassen zu behindern. In die Schlußszene tönten überdies zwei bewegende Baßstimmen: die satten Register Karl Christian Kohns und die balsamisch runde Fülle des den Pater profundus ein für allemal prägenden Kurt Moll.

Der Beifall für den äußersten Gegensatz zur Oper klang heftig wie nach einer opulenten Opernpremiere. Musik als geistige Leistung fand die gebührende, eine einschüchternde Anstrengung würdigende Resonanz. Was bleibt von der Saison 1976/77? Auf jeden Fall die Erinnerung an die Faust-Szenen.

Karl Schumann

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     Münchner Merkur, 9. März 1977        

Goethe von hinten aufgezäumt

4. Akademiekonzert: Robert Schumanns "Faust"-Szenen

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Wie setzt sich nun Wolfgang Sawallisch mit Wolfgang von Goethe und Schumann auseinander? Unter seiner energischen Leitung funktionierte der mit größtem äußeren Aufwand arbeitende Apparat vorbildlich, Chöre, Orchester und Solisten konnten kaum sorgfältiger aufeinander abgestimmt sein. Sawallisch schattierte kontrastreich, gab den düsteren Szenen ("Mater dolorosa", "im Dom") Bedeutungsschwere, den hellen ("im Garten") eine fast beschwingte Leichtigkeit und ließ in der Szene der "vier grauen Weiber" die Musik "hohl, gespensterhaft gedämpft", wie Goethe sie beschreibt, tönen.

Dietrich Fischer-Dieskau dürfte als singender Faust (ebenso als Pater Seraphicus und Doctor Marianus) nicht zu übertreffen sein. Er differenziert aufs stilvollste Schumanns Gesangsbögen und lotet zugleich Goethes Text bis in die Tiefen aus. Das gleiche gilt für Julia Varady, die das Gretchen mit echt musikalischen Mitteln prägt, etwa dem Klang ihrer Stimme, die sie an diesem Abend besonders hell strahlen läßt.

Ein ausgesprochener Charaktersänger auch Siegmund Nimsgern als Mephisto, der seiner Stimme, wenn es sein soll, ein geradezu hämisches und bösartiges Timbre gibt. Shakespeares Luftgeist Ariel ist nun auf dem Umweg über Goethe und Schumann Tenor geworden und der empfindsame Peter Schreier singt ihn grundmusikalisch sowie noch den Pater Ecstaticus. Großen Anteil am Erfolg hatten auch Leonore Kirschstein, Kurt Moll sowie der treffliche Einstudierer der Chöre, Wolfgang Baumgart.

Der Beifall des Publikums war einmütig und stark.

Helmut Schmidt-Garre

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     Abendzeitung, München, 9. März 1977      

Starparade mit Schumann

Akademiekonzert: Szenen aus Goethes "Faust"

    

Die von Robert Schumann komponierten "Szenen aus Goethes ‚Faust’" boten Chor und Orchester der Staatsoper in der Musikalischen Akademie (Nationaltheater). Glanzvolle Besetzung der Solopartien, Wolfgang Sawallisch dirigierte.

Schumanns "Faust"-Szenen, ein merkwürdiges Mittelding zwischen Opernfragment, Oratorium und Schauspielmusik, sind eine Konzertrarität ersten Ranges. Noch jedenfalls, aber ein Trend zur Besinnung auf die großen romantischen Chorwerke ist neuerdings allenthalben zu beobachten. Ein an musikalischer Schönheit so überreiches Werk wie dieses sollte Chancen auf eine Rehabilitation haben.

Denn zumindest die Sologesänge Gretchens und Fausts sind wohl kaum irgendwo intensiver, empfindungsreicher und auch geistig anspruchsvoller vertont worden als von Schumann. Die Chorszenen kehren dagegen zuweilen an die Liedertafel zurück vor allem im Schlußteil, "Fausts Verklärung".

Denn daß die Aufführung trotz einiger Unvollkommenheiten begeisternden Eindruck hinterließ, spricht ja wohl für das Werk. Die Distanz-Placierung von Chor und Orchester auf der Bühne nimmt der Musik einiges von ihrer Attacke, und ich traue auch Wolfgang Sawallisch und den Solisten zu, daß sie mit mehr Probenaufwand einiges mehr an Wirkung herausgeholt hätten. Wie das Werk klingen kann, beweist die Plattenaufnahme unter Benjamin Britten (Decca SET 567/8).

Dietrich Fischer-Dieskau sang den Faust, Julia Varady (eine anfechtbare Besetzung) das Gretchen, Peter Schreier die Tenorpartien, Siegmund Nimsgern den Mephistopheles, Kurt Moll den Pater Profundus - da sagen die Namen schon alles über das sängerische Niveau. Den ja stimmlich nicht sonderlich brillanten Staatsopernchor hatte Wolfgang Baumgart vorzüglich präpariert.

Bth.

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     tz, München, 9. März 1977       

Musik in München

Gespenstischer Faust

   

Robert Schumanns: "Szenen aus Goethes ‚Faust’" im 5. Konzert der "Musikalischen Akademie" im Nationaltheater. Leitung: Wolfgang Sawallisch.

Zunächst ein ungewohntes Bild: der Klangapparat nicht wie sonst auf dem verdeckten Orchestergraben, sondern weit in die Bühne hinein postiert - im ersten Moment etwas befremdend, etwas herausgeputzt wie für eine Film- oder Fernsehaufnahme: Faust-Szenen in Luxusausgabe.

Dieser Eindruck wurde im Verlauf der Aufführung noch unterstrichen durch Veränderung der Choraufstellung und fortwährendem Wechsel von Solistenauftritten. So haftete optisch diesem Konzert etwas unbegründbar Sakrales an.

Doch zur Musik: Phänomenal, wie Sawallisch diese widersprüchliche Partitur beherrscht, doch sie zerrint auch unter seinem immer wieder anfeuernden Schlag. Die beginnende Bewußtseinsspaltung Schumanns geistert gespenstisch durch dieses Werk.

In der Szene im Dom ist noch dramatischer Impetus zu spüren, wie da in den Dialog Gretchen-Mephisto das Dies irae des Chores hineinfährt, ist grandios. Doch immer mehr versanden die Ideen, die Zusammenhänge fehlen, Gedankenblitze leuchten wie Irrlichter auf.

Sawallisch ist dafür zu danken, aus den üblichen Konzertprogrammen auszubrechen und diese Schumannsche Faust-Musik in Erinnerung gebracht zu haben - zu retten ist sie nicht.

Den Vokalsolisten Julia Varady (Gretchen), Dietrich Fischer-Dieskau (Faust), Siegmund Nimsgern (Mephisto) und Peter Schreier (Ariel), die eine optimale Interpretation ihrer jeweiligen Parts garantierten, standen in Leonore Kirschstein (Sorge), Liliana Nejtschewa (Mangel), Gudrun Wewezow (Marthe) und auch Kurt Moll (Pater Profundus) Solisten gegenüber, die bedenklich abfielen.

Glänzend vorbereitet war der Chor der Bayerischen Staatsoper und das Staatsorchester musizierte mit Präzision und Elan. Ovationen vor allem für Sawallisch.

Karl-Robert Danler

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     Reutlinger General-Anzeiger, 11. März 1977         

"Jauchzet auf: Es ist gelungen!"

Schumanns "Faust"-Szenen als seltene Sonderleistung in München

 

Selbst sehr versierte Musikkenner höheren Lebensalters können sich nicht erinnern, jemals Schumanns "Szenen aus Goethes ‚Faust’", einem Mittelding zwischen Opernfragment, Oratorium und Schauspielmusik, im Konzertsaal erlebt zu haben. Liegt es an der Widersprüchlichkeit des - häufig enorm tonschönen und oft musikalisch tiefgründigen - Werkes? Oder an der Schwierigkeit der Besetzung für großes Orchester, riesigen Chor und elf Solisten, von denen mindestens die vier bis fünf Hauptrollen absolut erstklassiges Format haben müssen?

Im 5. Konzert der Musikalischen Akademie wagte es Wolfgang Sawallisch in strapaziöser Arbeit mit dem glänzend disponierten Bayerischen Staatsorchester und dem redlich bemühten Staatsopernchor, seinem Abonnentenpublikum statt der weitgehend bekannten Werke diese unbekannte Rarität anzubieten. Da steht Bestechendes neben Belanglosem und Verwirrtem, ganz der beginnenden Bewußtseinsspaltung Schumanns entsprechend, der neun Jahre an diesem Werk gearbeitet hatte und die Ouvertüre erst ein Jahr vor dem Beginn seiner geistigen Umnachtung komponierte.

Alles ist drin, aus "Faust I und II", wenn auch zusammenhanglos, und daß gerade beim - schon auf der Sprechbühne höchst problematischen - zweiten Teil die Eindrücke stark auseinanderklaffen, ist der Wiedergabe nicht anzulasten (Fazit wie bei "Fausts Verklärung": "Jauchzet auf: Es ist gelungen!").

Sie hatte einen vorbildlich lyrisch singenden Peter Schreier im Tenor-Solo (Sonnenaufgang: "Sie tritt hervor", herrlich wie in Haydns "Schöpfung"!), sie hatte einen unübertreffbar schwelgenden und tonkultiviert sterbenden Faust in Dietrich Fischer-Dieskau auf der Bühne ("Verweile doch, du bist so schön"!),eine mehr glänzend hochdramatische als lyrisch still duldende Margarete (Julia Varady), den profunden, infernalisch bösen Baß von Siegmund Nimsgern als Mephisto (eine grandiose Mischung von Talvela und Ghiaurov!), dazu die vielen mit mehr oder weniger Glück bemühten Nebenrollen.

Ein Akademiekonzert der Sonderklasse, und das trotz kleiner Einwände (Probenmangel?). Es wird unvergeßlich bleiben, trotz und gerade wegen dieser Eigenart und Einmaligkeit.

Hans Köhler

    

     "Oper und Konzert", München, 4/1977     

Nationaltheater

5. Konzert der Musikalischen Akademie

    

Darf man auf die Richtigkeit der Zusammenstellung aller seit 1811 von der Musikalischen Akademie aufgeführten Werke vertrauen, so wurden die "Szenen aus Goethes Faust" in diesem Rahmen zum ersten Mal aufgeführt. Der Publikumsandrang vor dem und eine nahezu spannungsgeladene Atmosphäre im Nationaltheater ließen ein außergewöhnliches Konzertereignis erwarten. (Es sei dahingestellt, ob Dietrich Fischer-Dieskau und Peter Schreier allein die bombensicheren Kassenmagneten waren.) [...]

Schumanns sogenannte Faust-Szenen sind eine ausgesprochene Rarität im deutschen Konzertprogramm. Während die mitunter klischeehaften Oratorien des 19. Jahrhunderts heute Aufführungen von etwa auch zweit- und drittrangiger Qualität vertragen würden [...], ohne groben Schaden zu erleiden, setzt dieses "lyrische Oratorium" Schumanns ein so hohes künstlerisches Niveau der Darstellung voraus, daß es wirklich nur von erstklassigen Kräften erreicht werden kann. Daß über die musikalisch-technische Perfektion hinaus dann auch noch Intelligenz und Geistesbildung der Solisten von entscheidender Bedeutung sind, konnte man bei dieser insgesamt exemplarischen Aufführung dann auch erleben. Wie will man denn einen Goethe-Text (gar noch aus seiner "Faust"-Dichtung) musikalisch-künstlerisch gestalten, wenn nicht sein tiefster Sinn ergründet und verstanden ist?

So gesehen sei an erster Stelle Wolfgang Sawallisch rühmend erwähnt, weil er Dichtung und Musik in allen Teilen des Werkes ausgelotet hat und dank seiner humanistischen Bildung Wort und Ton zu einer künstlerischen Einheit zu verbinden vermochte. Wenn bei so durchdachter und klarer Vorstellung Künstler höchsten Ranges ihren Dienst am Werk mitvollziehen, wie an diesem Abend es sich zeigte, und wenn ein gegenüber dem literarischen Stoff und seiner musikalischen Gestaltung so aufgeschlossenes Publikum gleichsam geistiger Partner solchen Vollzuges ist, dann ist die höchste Stufe gesamtkünstlerischer Konspiration und Kommunikation erreicht. Dietrich Fischer-Dieskau hat als Faust (Pater Seraphicus/Doktor Marianus) einen Maßstab gesetzt, der wohl niemals mehr bei einem anderen Solisten richtungsweisend und anwendbar sein kann. Ihm zur Seite stand Peter Schreier, der die Partie des Ariel/Pater Ecstaticus in ebenso ergreifender wie beglückender Weise sang. Wenn Siegmund Nimsgern (Mephistopheles/Böser Geist) aus der Reihe der namhaftesten Solisten vorgezogen wird, dann ist es aus seinem tieferen Verständnis der Dichtung und der daraus resultierenden eindrucksvolleren gesanglichen Darstellung zu erklären. Julia Varady sang gewiß wunderschön, aber doch ein Stückchen am Text, am Gehalt der Dichtung vorbei; Artikulation und sprachliche Gestaltung stellten sie vor ein nicht restlos lösbares Problem. Dem Pater Profundus lieh Kurt Moll seine schöne Stimme, und Karl Christian Kohn war vor allem im Solisten-Ensemble eine vollklingende und tragfähige gesangliche Stütze. Gudrun Wewezow gestaltete ihren Part als Marthe sowie alle ihr zufallenden Alt-Solopartien mit großem künstlerischen Ernst. Leonore Kirschstein vor allem, aber auch Marianne Seibel und Liliana Nejtschewa ergänzten den Reigen der vokalsolistisch Mitwirkenden in schöner Weise. Norbert Orth sang die kleineren Tenor-Soli mit angenehmer Stimme. - Eine großartige Leistung bot der Chor der Bayerischen Staatsoper, den Wolfgang Baumgart hinsichtlich einer optimalen Intonation, rhythmischen Präzision, Textverständlichkeit und Differenzierung im dynamischen Bereich tadellos vorbereitet hatte. Daß er und sein Chor auf einer eigenen Welle des Applauses hochgetragen wurden, war nicht mehr als recht und billig. Das hervorragend disponierte Bayerische Staatsorchester brachte die diesem Werk eigentümlichen Klangfarben in schönster Weise zur Geltung und war den Sängern ein zuvorkommender, ebenbürtiger musikalischer Partner; es folgte allen Intentionen seines Dirigenten äußerst gewissenhaft und mit hohem künstlerischen Einfühlungsvermögen. [...] - Der Beifall sprengte die Grenzen des Herkömmlichen. [...]

Hans Busch

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