Zur Oper am 25. September 1977 in Berlin


Die Welt, Berlin-West, 27. September 1977

Dietrich Fischer-Dieskau sang in der Deutschen Oper Berlin die Partie des Hans Sachs

Milde und Heiterkeit des Meistersingers

Festwochen sind dort, wo Dietrich Fischer-Dieskau singt. Diesmal verlegte er sie ins Opernhaus. Unter Eugen Jochums Leitung sang er in Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" den Hans Sachs, wobei er allerdings den Titel Wagners unter der Hand korrigierte. Aus dem Nürnberger Plural wird durch Fischer-Dieskau unversehens in der Deutschen Oper immer wieder ein Singular.

Dabei mischt Gerd Nienstedt, einspringend für Feldhoff, seinem Kothner einen nachdrücklichen Schuß Komik bei, der sich gut ausmacht, und Ernst Krukowski bosselt sich die Figur Beckmessers auf durchaus erheiternde Weise tragikomisch zurecht. Beide sind ausgezeichnet, und Josef Becker darf als forscher wie verängstigter Nachtwächter sich auf angenehme Art Aufmerksamkeit ersingen.

Die Aufführung, mit Victor von Halem und Barbara Scherler freilich etwas matt besetzt, kann sich außerdem auf Gerd Brenneis’ ausdauernden Tenor stützen, der bis zum Schluß ohne Wanken präsent bleibt.

Janis Martin singt nun die Eva, ein einziges Mal (im Quintett) in Grelle verfallend, sonst mit schönem Ausdruck, Klarheit und Wohlklang ihre Aufgabe meisternd, deren Lyrismus sie durchaus einen Zug ins Große zu geben vermag, ohne die mädchenhafte Kontur der Rolle zu sprengen.

Dennoch - das Glück der umjubelten Aufführung stiften Donald Grobe und Fischer-Dieskau. Grobe singt und spielt den Lehrjungen David auf ganz besonders bestrickende Weise: mit einer Natürlichkeit, die aus einer beinahe unmöglichen Opernfigur einen Menschen macht voller Hochherzigkeit, Respekt und Belustigung - einen durchaus komplexen Charakter. Davids Szene mit Sachs am Anfang des 3. Aktes wird dadurch zu einem Kabinettstück menschlichen Einverständnisses zwischen Lehrer und Schüler, wie man es ähnlich eindringlich niemals zuvor hörte noch sah.

Die heitere Vertiefung ist ungemein. Man wird sie nie wieder missen mögen. Grobe macht auf eine nur ihm eigene aufrichtige Art das Glück plausibel, bei diesem Sachs in die Lehre gegangen zu sein. Beide Rollen profitieren davon.

Aber in Fischer-Dieskau findet schließlich nicht nur David einen Lehrherrn von unvergleichlicher Statur.

Sein Hans Sachs ist stets auf milde, oft auf insgeheim nachdenkliche Weise amüsiert. Er ist durchaus kein singendes Sprachrohr der deutschen Nation. Selbst sein Schlußwort (bei dem Jochum im Orchester allerdings wieder Bayreuther Gedanken kommen) besitzt bei allem Nachdruck schöne Beiläufigkeit.

Fischer-Dieskau hält die ganze Partie in der Schwebe - und dies ohne Autoritätsverfall. Er setzt Heiterkeit durch im Ernst, und das ist noch immer die schwierigste Kunst. In ihr ist Fischer-Dieskau der unübertroffene Meister - und zwar nicht nur in Nürnberg.

Klaus Geitel

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