Zur Oper am 20. November 1977 in Berlin


Der Tagesspiegel, Berlin, 22. November 1977 

Berlins teurer Sachs

"Die Meistersinger" in der Oper

Heinrich Hollreiser hatte "Die Meistersinger von Nürnberg" in der Deutschen Oper übernommen und dirigierte ein verheißungsvolles Vorspiel zum ersten Akt: viel Espressivo bei durchhörbarem Satz, vitaler Kontrapunkt in der Themenschichtung. Schwer zu begreifen, warum der so gesetzte Maßstab nicht gehalten, sondern im folgenden immer wieder zugunsten eines klebrig-undifferenzierten Musizierens aufgegeben wurde, das zeitweise vom Versinken des Dirigenten in Desinteresse zu künden schien. Solcher Umgang mit dem Orchester der Deutschen Oper, das zu Eliteleistungen fähig ist, wenn es gefordert wird, bereitet Sorge vor dem Hintergrund der langwierigen Bemühungen des Hauses um einen Generalmusikdirektor. Ich vermute, daß das Gefälle Hollreiserscher Interpretationen nicht mit Kunst allein zu tun hat - wegen der Stellen, an denen plötzlich durchklingt, was möglich wäre.

In der zehnten Aufführung der bunten Beauvais-Inszenierung war Donald Grobe Sachsens Lehrbube David, eine exzellent beherrschte Rollengestaltung, wie fast alles, was dieser Sänger anfaßt, "jed’ Zierat fest nach des Meisters Spur". Gerd Feldhoff ragte aus dem Ensemble der Meister mit einem Kothner in stimmlicher Bestform, und als Ernst Krukowskis Beckmesser auf der Festwiese in die Irre seines Preislieds ging, durfte man den Atem anhalten. Nicht mehr ganz überzeugend finde ich die Besetzung der Eva - neben dem Stolzing von Gerd Brenneis - mit Janis Martin, weil die Stimme ins Hochdramatische drängt, wo sie bereits ihre Ziele gefunden hat. An ihrer Seite Barbara Scherler als frische Magdalene beziehungsweise Matti Salminen - noch unausgeglichen - als Vater Pogner.

Für und von Dietrich Fischer-Dieskaus Sachs zu schwärmen ist erlaubt: Souveränität, auch stimmlich, versteht sich, Präsenz in jedem Augenblick, und alle Leuchtkraft geht von diesem faszinierenden Persönlichkeitston aus, der in der Konversation wie im Monolog gar nicht fern vom einstigen jugendlichen Winterreisenden ist, etwa wenn es um die Betroffenheit des Schusterpoeten geht - "dem Vogel, der heut sang...". Das Publikum feierte mit Ovationen den unvergleichlichen Sänger, der nun schon an die dreißig Jahre auf der Bühne steht und in Zukunft hoffentlich noch oft auch in Berlin.

Sybill Mahlke

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