Zum Konzert am 20. Februar 1978 in Berlin


Berliner Morgenpost, 22. Februar 1978

Gedenkkonzert für den Dirigenten Fricsay

Philharmonie: Das Radio-Symphonie-Orchester spielte zu Ehren seines einstigen Chefs

Gedenkkonzerte sind gewiß ein Akt der Pietät und der Verehrung. Als solche sind sie jedenfalls intendiert. Daß sie auch die Wunden eines besonders schmerzlichen Verlustes aufreißen können, wird dabei meist übersehen.

[...]

Die Fricsay-Gesellschaft hatte auch in Verbindung mit dem RIAS in der Philharmonie das Gedenkkonzert zum 15. Todestag arrangiert. Bestritten wurde es von Interpreten und Komponisten, die im Leben des Dirigenten eine mehr oder weniger große Rolle gespielt haben. [...]

Wenn es um Fricsay geht, darf Mozart nicht fehlen. Und schon gar nicht Dietrich Fischer-Dieskau, der die Kometenlaufbahn einst an der Städtischen Oper Berlin in der Ära Fricsay begonnen hatte. Der Alleskönner sang Konzertarien von Mozart erwartungsgemäß so vollendet in Deklamation und Gestaltung, daß er um eine Zugabe nicht herumkam. Gerd Albrecht, der einzige, den außer seiner Berufsausübung nichts mit dem Anlaß des Gedenkens verbindet, stürzte sich unerschrocken in das Schattenboxen mit einem übermächtigen Geist. Und wenn man nicht an Fricsay dachte, durfte man mit Beethovens 8. Symphonie sogar recht zufrieden sein. Zumindest war Albrecht um klare Konturen und Vitalität bemüht.

Besonderes Lob verdient das Radio-Symphonie-Orchester. Obwohl ihm nur noch wenige angehören, die selbst mit Fricsay zusammen gearbeitet haben, war das Ensemble leidenschaftlich bestrebt, sich des einstigen Chef-Dirigenten, ja, des eigentlichen Schöpfers dieses Orchesters, würdig zu erweisen.

Wilfried W. Bruchhäuser


    

     Die Welt, 22. Februar 1978     

Ein Konzert zum Gedenken von Ferenc Fricsay in Berlin

Menuhin kam ohne Geige

    

"Auch Ferenc Fricsay, der jung starb, war Ungar. Ein Dirigent mit immensen Möglichkeiten in Oper und Konzert" – nur dieser nichtssagende Satz findet sich in einem Standardwerk über "Die großen Dirigenten" unserer Zeit. Er umreißt auf drastisch lapidare Weise die Situation, daß Fricsay, der in den fünfziger Jahren von München und Berlin aus das deutsche Musikleben entscheidend prägte, auch darüber hinaus eine feste Größe war, heute fast nur noch Eingeweihten ein Begriff ist.

Wohl deswegen steuert die 1974 gegründete Gesellschaft, die den Namen des großen Dirigenten trägt, der Gefahr gegen, daß Fricsay aus dem Bewußtsein der breiten musikalischen Öffentlichkeit schwindet, er allzu rasch der Vergessenheit anheimfällt. Neben zahlreichen Aktionen veranstaltete sie jetzt anläßlich Fricsays 15. Todestag ein Gedenkkonzert, zu dem sich honorarlos einige von Fricsays engsten künstlerischen Partnern in Berlins Philharmonie zusammengefunden hatten.

Yehudi Menuhin war diesmal ohne seine Geige gekommen. Er griff zum Taktstock und trat an das Pult des Radio-Symphonie-Orchesters Berlin, mithin jenes Klangkörpers, den Fricsay einst aufgezogen und künstlerisch zu internationaler Reputation gebracht hatte. Menuhin dirigierte ein Werk desjenigen Ungarn, den Fricsay "für den in unserem Jahrhundert bedeutendsten Komponisten" gehalten und dem er Interpretationen angedeihen lassen hatte, deren Maßstäbe noch heute Gültigkeit beanspruchen können: Béla Bartók. Sein Divertimento für Streichorchester hat Menuhin einst während einer Bahnfahrt mit Fricsay genauestens studiert, und es gelang ihm, wie er es sich erhoffte, viel "von dem zu vermitteln, das hinter den Noten liegt und das Fricsay so vertraut war".

Mit Dietrich Fischer-Dieskau betrat dann jener Sänger das Podium, der seine Opern-Karriere unter Fricsays Obhut startete und zu einem ersten Höhepunkt führte. Von Mozart, Fricsays zweitem Fixstern in seiner Musikwelt, sang Dieskau zwei Konzertarien. Und weil am Beginn von Fricsays kurzem Ruhm die Uraufführung der Büchner-Oper "Dantons Tod" von Gottfried von Einem stand, hat dieser im Auftrag des RIAS und der Fricsay-Gesellschaft "Arietten für Klavier und Orchester" komponiert.

Drei Sätze in ruhigem Tempo vom Klavier ausgesponnen, umhüllt von einer filigranartigen Orchesterfolie, lassen unbekümmert Dur- und Moll-Wendungen, nur mäßig durch Dissonanzen verschleiert, aufklingen. Alles hört sich so an, als hätte es nach Richard Strauss keinen Komponisten mehr gegeben. Doch Einems Gediegenheit sicherte ihm einen widerspruchslosen Uraufführungserfolg, zumal als Solistin Gerty Herzog mit großer innerer Anteilnahme das Werk aus der Taufe gehoben hatte.

Wolfgang Schultze


   

     Unbekannte Presse, 22. Februar 1978     

Der große FF

Ferenc Fricsay-Gedenkkonzert mit Einem-Uraufführung

   

Irgendwo auf dem Weg zwischen dem Fontane-Haus im Märkischen Viertel und der Philharmonie muß sie verlorengegangen sein. Ich meine die "federnde Entspanntheit", die laut Tagesspiegel Yehudi Menuhin mit dem Radio-Symphonie-Orchester am Sonnabend noch in der öffentlichen Probe des "Divertimento für Streichorchester" von Bartók eingeübt hatte. Menuhin selbst konnte damit nicht zufrieden gewesen sein; denn auf der vorgeführten Suche nach musikalischer Ausdruckswahrheit geschahen zu viele rhythmische Unpräzisheiten, lief sich das Metrum allzuoft fest. Nur schwerfällig, nur mit viel dirigentischem Kraftaufwand kam die Klangregie der eruptiven Rhythmen, der Barbarismen und der lyrischen Solopassagen zur Wirksamkeit..

Mit dieser – vom Publikum gleichwohl umjubelten – Enttäuschung leitete Menuhin das Ferenc-Fricsay-Gedenkkonzert zum 15. Todestag ein, das nicht bloßes Gedenken an die große Dirigierpersönlichkeit des Nachkriegs-Berlin sein sollte. Ziel des Veranstalters, der Ferenc-Fricsay-Gesellschaft, ist es auch, zum Nachdenken darüber anzuregen, wie die künstlerischen Intentionen des großen FF weitergeführt werden können; Nachwuchsförderung, Kompositionsaufträge und so weiter.

Zum Auftakt gab es in der Philharmonie Werke und Künstler zu hören, die alle irgendwie und zumeist sehr eng zu Ferenc Fricsay in Beziehung standen: Dietrich Fischer-Dieskau (im Präsidium der Ferenc-Fricsay-Gesellschaft neben Yehudi Menuhin und Egon Seefehlner), der im Programmheft von der durchsichtigen und schwerelosen Mozart-Interpretation des Meisters schwärmt, sang mit keckdramatischer Verve und lockerer Stimmgestik zwei Mozart-Konzertarien ("Un bacio di mano" KV 541 und "Mentre ti lascio" KV 513). Ohne Zugabe ging es vor begeistertem Publikum denn auch nicht ab.

Nach der Pause eine Uraufführung des Komponisten, mit dessen Oper "Dantons Tod" der für Klemperer eingesprungene Fricsay bei den Salzburger Festspielen 1947 einst seine internationale Karriere begann: Gottfried von Einem schrieb für diesen Konzertanlaß sein zweites Klavierkonzert, drei "Arietten für Klavier und Orchester Opus 50" (1977). Sie wurden wiederum von einer Pianistin auf das Podium gehoben, die – unter Fricsays Leitung – bereits von Einems erstes Klavierkonzert uraufgeführt hatte, nämlich von Gerty Herzog. [...]

Gerty Herzog lieh dem Klavierpart alle nötige Präzision im Zusammenspiel,. Gab gestalterische Impulse, die Gerd Albrecht am Pult souverän an das gut disponierte RSO weitervermittelte.

Als Abschluß noch einmal ein Spezialgebiet des großen FF: Beethoven. Der musikalische Extremist Gerd Albrecht machte aus der achten Sinfonie ein Interpretationsspektakel, das einige Buhrufer offensichtlich mehr für ein Debakel hielten: ungewohnte Temponahmen wie die scharfe dramatische Forcierung im ersten Satz oder das "Allegretto scherzando", genommen in der Zeitlupe, trieben dem Werk jedoch nur die oftmals angedichtete und so gefällige "Heiterkeit" aus, stellten es neben die aufwühlenden Metren-Blöcke der siebenten Sinfonie: für mich war es die an diesem Abend überzeugendste Hommage à Fricsay.

Jürgen Engelhardt

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