Zum Liederabend am 27. April 1978 in Landau


    

     Die Rheinpfalz, Unterhaardter Rundschau, Ludwigshafen,
    
29. April 1978     

Aufbegehrende Todessehnsucht

Dietrich Fischer-Dieskau sang "Die Winterreise" in Landau –
Günther Weissenborn am Flügel

     

Von Dietrich Fischer-Dieskaus Erfolgen künden wollen, mag ebenso absurd erscheinen, wie die Absicht, ihm das Schubert-Lied nahezubringen. Auf dem Programm seines Abends in der Landauer Festhalle stand Schuberts "Winterreise" und es gibt derzeit wohl keinen Sänger, der die Lieder – Psychogramme und Naturbilder –eindringlicher darzustellen und musikalischer zu gestalten vermag. Fischer-Dieskau hat niemals aufgehört, sich gerade mit diesem Werk auseinanderzusetzen. Nur so ist es möglich, daß jedes Lied immer wieder einen eigenen Charakter erhält und keinerlei Einförmigkeit aufkommen kann.

Mit raschem, an den Halben orientiertem Schritt begibt sich der Sänger in "Gute Nacht" auf die Wanderung zu den einzelnen "Leidensstationen", trägt die illusionslose Schilderung einer verlorenen Liebe mit weicher Kantilene klar und beinahe distanziert vor. Von diesem Beginn bis zum Schluß behält er eine unter die Haut gehende, erschütternde Spannung bei, die im "Leiermann", zuletzt stockend, in völliger Depression und einer fast aufbegehrenden Todessehnsucht kulminiert.

Was an der Wiedergabe dieses großen Schubert-Sängers so beeindruckt, ist sein Vermögen, die Dualität von Jugendlichkeit und Resignation in den Liedern aufzuzeigen, den stürmischen Ausbrüchen und lyrischen Empfindungen eines jungen Mannes den resignierenden Leidensdruck eines alten gegenüberzustellen. So wird die ganze Spannweite seiner Ausdruckskraft sichtbar, wenn es innerhalb eines Liedes ("Lindenbaum", "Frühlingstraum") die Ambivalenz von Erinnerung und Gegenwart darzustellen gilt. Im Traum, der Dur-Lyrik, läßt er seine Stimme kantabel und warm aufblühen, um im nächsten Augenblick beim Erwachen, der Konfrontation mit der Realität dramatisch deklamierend den Wohlklang schonungslos zu durchbrechen.

Faszinierend auch, wie er die Lieder ja selbst noch im kleinsten Detail durchformt. Jede Anrede, beispielsweise an das Herz oder die Krähe ("Die Post", "Die Krähe"), ist eine deutliche Hinwendung, wird zum verzweiflungsvollen Bemühen des Wandernden um ein Zwiegespräch. Einzelworte erhalten tonmalerische Valeurs: So wird die Stimme weich und nachgiebig, wenn "der weiche Schnee zerrint" ("Wasserflut") oder fällt gewissermaßen in sich zusammen und setzt fast aus, wenn "ein mattes Lüftchen weht" ("Einsamkeit"). Diese Nuancen sind aber nie rein tonmalerische Details, sie dienen allein der Schilderung der Naturbilder. Hier erklingt im Sinne Schuberts "die Sprache der Natur".

Am Flügel begleitete Günther Weissenborn: Anfangs ziemlich trocken, zuweilen fast spröde, ein pedalarmer, nicht sehr zugänglicher Klang – gewissermaßen das musikalische Abbild der Winterlandschaft. Nach und nach wurde der Ton weicher und anpassungsbereiter, vereinten sich Gesang und die äußerst sensible Begleitung zu ergreifender Einheit.

Ursula Dauth

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