Zum Liederabend am 17. März 1979 in Bremen


Bremer Nachrichten, 19. März 1979

Als Sänger und Interpret höchste Maßstäbe gesetzt

Liederabend Dietrich Fischer-Dieskaus in einer Sonderveranstaltung der Meisterkonzerte

Liederabende werden im Rahmen der Bremer Meisterkonzerte seit einigen Jahren auf geradezu sträfliche Weise vernachlässigt. Ob dahinter ein Programm steht? Hoffen wir, nein. Denn daß Sänger auf dem Konzertpodium auch in Bremen ihr begeistertes und dankbares Publikum finden, bewies erneut das Auftreten Dietrich Fischer-Dieskaus in einer Sonderveranstaltung der Meisterkonzerte im großen Glockensaal.

Fischer-Dieskaus Liederabenden haftet seit den frühen fünfziger Jahren die Aura des Außerordentlichen an. Daran hat sich seit nunmehr gut fünfundzwanzig Jahren nichts geändert; noch immer sind seine Liedinterpretationen maßstabsetzend in ihrem sängerischen wie in ihrem geistigen Anspruchsniveau. Das Lied, diese so diffizile und typisch deutsche Verbindung von Wort und Ton, findet in Fischer-Dieskau, der gleichzeitig Musiker und Literat ist, in beiden Belangen den idealen Sachwalter.

Das Programm, bei Fischer-Dieskau stets bewußt zusammengestellt, beschränkte sich diesmal auf Schumann-Lieder. Er ordnete von ihnen einiges Bekannte und auch etliches weniger Populäre zu einem Ganzen, das sich zwar nicht unter einen eindeutigen Leitgedanken fassen läßt, das aber stimmungsmäßig trotz des Beginns mit der jubelnden "Widmung", dem ersten Lied des "Myrten"-Zyklus, viel Trübes, Schwermütiges, Wehmütiges, auch Skurriles enthielt. Erst ganz zum Schluß ließ es mit den beiden Geibel-Kanzonen "Weh, wie zornig ist das Mädchen" und "Der Contrabandiste" auch befreiendem Humor Raum.

Fischer-Dieskaus Bariton ist mittlerweile natürlich spröder geworden, stößt auch im manchmal stumpfen Forte ("Flügel!, Flügel! Um zu fliegen" nach Rückert) bisweilen an Grenzen. Aber das tut der Interpretation kaum Abbruch; denn auch im rein sängerischen Bereich hat die Stimme vieles an Charakteristischem in nahezu unverminderter Präsenz bewahren können. Da ist etwa die immer noch unnachahmliche, mit expressiver Intensität aufgeladene Kantilene (wie in "O du mein Schmerz, du meine Lust" aus dem Rückert-Lied "Der Himmel hat eine Träne geweint"), da ist die äußerst verfeinerte Kultur der Phrasierung (zum Beispiel in den Legato-Nonlegato-Phrasen in "Abends am Strand" nach Heine), und da ist die hohe Kunst der ganz und gar ebenmäßigen, klangvollen Mezzavoce, die etwa das Lenau-Lied "Meine Rose" zu einer in seiner Wirkung nachhaltigen, stimmungsdichten lyrischen Miniatur (und dabei vielleicht sogar zum stärksten Eindruck des Abends) werden läßt.

Das, was über das Nur-Sängerische hinausgeht, die Fähigkeit, Gegensätze auf kleinstem Raum nebeneinanderzustellen ("Der Schatzgräber" nach Eichendorff), ein Drama "in nuce" zu gestalten ("Der Soldat" nach Andersen) oder auch Charakterbilder scharf und deutlich herauszuarbeiten ("Der Spielmann", nach Andersen, mit der Doppelbödigkeit im Tanzrhythmus), die Fähigkeit also, ein Lied unter Berücksichtigung aller Einzelaspekte auch als Ganzes zu verlebendigen – in dieser Kunst hat Fischer-Dieskau sich gegenüber früher noch vervollkommnen können. Das zeigte sich ganz besonders in den vier Heine-Liedern, deren innere Zerrissenheit, von Schumann kongenial in Musik übertragen, von Fischer-Dieskau ganz ohne die von ihm hier sonst manchmal eingesetzten Manierismen auf beklemmende Weise deutlich gemacht wurde.

Souverän beherrscht wird dabei das nahezu in Sprache übergehende und dennoch ganz Gesang bleibende Parlando (";Mein Wagen rollet langsam"), ganz überzeugend auch der scheinbar naive, doch mehrdeutige Märchenton ("Es leuchtet meine Liebe"), von äußerster Subtilität das Volkslied "Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht". Schade allerdings, daß bei diesem letzten Lied, von Schumann mit dem zweistrophigen "Entflieh mit mir" zu einer Miniatur-"Tragödie" (op. 64,3) zusammengefaßt, der dazu mit opernhaftem Pathos kontrastierende erste Teil gestrichen worden war.

Fischer-Dieskaus Partner am Klavier war wieder einmal Günther Weißenborn, mit dem der Sänger schon in den fünfziger Jahren nach Bremen kam. Weißenborn gehört nicht in die Kategorie der um jeden Preis "interessanten" Pianisten, aber seit Fischer-Dieskau mit so ausgeprägt eigenwilligen Klavierpersönlichkeiten wie Demus, Richter, Sawallisch und Eschenbach zusammenarbeitet, vermag man auch die eher unauffälligen Begleiterqualitäten eines Weißenborn neu zu schätzen. Da ist nichts, was sich in den Vordergrund drängt; statt dessen ein waches Gespür für die Impulse des Sängers und ein minuziöses Reagieren darauf. Wo immer allerdings von der Komposition her sich Weißenborn die Gelegenheit bot, stärker in den Vordergrund zu treten – bei den typischen Schumann-Nachspielen etwa -, da nutzte er sie mit großer Musikalität.

Starker, lang anhaltender Beifall und unter den Zugaben einige der bekanntesten Schumann-Lieder: "Erstes Grün" aus dem Kerner-Zyklus, "Schöne Fremde" aus dem Eichendorff-Liederkreis op. 39 und "Mit Myrten und Rosen" aus dem Heine-Liederkreis op. 24. Das Fazit dieses ungemein konzentrierten Hörerlebnisses kann nur lauten: Wieder mehr Liederabende im Rahmen der Meisterkonzerte!

Gerhart Asche

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