Zur Liedermatinee am 11. November 1979 in Berlin
Berliner Morgenpost, 14. November 1979
Matinee mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Deutschen Oper Berlin
Die gebeutelte Seele Schumanns besungen
Die schillernde Gestalt des Künstlers schlüpft in unzählige Masken und gibt sich dennoch um so entschiedener zu erkennen. Ob als Spielmann, Schatzgräber, Soldat, als Träumer oder immer wieder als Liebhaber – stets verbirgt sich dahinter in Schumanns Liedern das künstlerische Subjekt der Romantik in seiner Gebrochenheit, seiner Suche nach dem Schönen, seiner Sehnsucht nach dem Unendlichen.
Dietrich Fischer-Dieskau traf für seine Lieder-Matinee in der Deutschen Oper eine Auswahl, die man einen Diskurs der Seele des Romantikers nennen könnte, ihren gesteigerten Ausdruckswillen wie deren innere Widersprüchlichkeit gleichermaßen erfassend.
Den ersten Teil bildeten Kompositionen vorwiegend aus dem Liedjahr 1840 – jener so überaus fruchtbaren Schaffensperiode Schumanns. Die glückliche Entwicklung der Beziehung zu Clara Wieck fand ihren schöpferischen Niederschlag in der Entstehung von 138 Liedern, versinnbildlicht in "Widmung", dem ersten Lied des Zyklus "Myrten" nach Rückert-Gedichten. Fischer-Dieskau beginnt damit, läßt es aus der Welt reiner Empfindung in strahlendem Überschwang entstehen und spannt von ihm aus über drei Lieder aus Opus 37 einen großen Bogen auf "Zum Schluß", dessen bekenntnishafter Weltverklärung er als extremen Kontrast das hohe Lachen im "Schatzgräber" gegenüberstellt.
Zwischen die Schwarze Romantik Eichendorffs und Andersens schiebt Fischer-Dieskau das zehn Jahre später entstandene Lied "Resignation" und schließt damit dramaturgisch äußerst geschickt den Kreis um die gebeutelte Seele Schumanns, die sich nirgends deutlicher, unverstellter zeigt als in diesen Liedern.
Schumanns literarischer Anspruch drückt sich in dem hohen Niveau der Texte aus, die er zur Vertonung heranzog. Nicht immer konnte er es kompositorisch einlösen. So nimmt er etwa stilisierte Todessehnsucht in Lenaus "Meine Rose" wörtlich, gestaltet sie in rückhaltloser Kontemplation nach.
Doch bei aller Stimmkultur, aller Beredtheit, Tiefe und Kompetenz der Interpretation kann es auch einem Fischer-Dieskau nicht gelingen, einen völlig unzureichenden Begleiter vergessen zu machen. Jörg Demus hatte am Klavier nicht mehr zu bieten, als das trockene, nüchterne Herunterspielen dessen, was in den Noten steht, und selbst damit schien er bisweilen auf Kriegsfuß zu stehen.
Wolf Zube
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Der Tagesspiegel, Berlin, 13. November 1979
Mensch und Musiker
Schumann-Matinee Fischer-Dieskau/Demus
Ob Abglanz, Gleichklang, Fortspinnung – die Klaviernachspiele der Lieder Robert Schumanns nehmen in der Interpretation durch Jörg Demus den Tonfall des Gesungenen mit einer Sensibilität auf, die erworbene Selbstverständlichkeit bedeutet. Die musikalische Partnerschaft des österreichischen Pianisten mit Dietrich Fischer-Dieskau ist so alt und immer wieder kontinuierlich erneuert worden, daß sie aus beider Biographien nicht wegzudenken (und im Fall Demus vom Riemann-Lexikon fixiert) ist. Für ein Schumann-Programm, wie es die Künstler als Matinee in der Deutschen Oper gestalteten, erscheint sie ideal, weil die musikalischen Gedanken des Vokal- und des Instrumentalparts poetisch-innig zueinanderstreben. Kennzeichnend und angemessen der vom Sänger inspirierte gemeinsame Ton.
Dietrich Fischer-Dieskau, überaus herzlich gefeiert, fesselte sein Publikum mit einer Auswahl von Schumann-Liedern jenseits der berühmten Zyklen, mit Heine-Texten zwischen lustvoller Ironie ("Abends am Strand") und beklemmender "Tragödie", die keinen Trost kennt: "Sie haben gehabt weder Glück noch Stern." Er trägt das in seinem unvergleichlichen beteiligten Erzählerton vor, als sei er selbst der Liedermacher oder verfertige die Gedichte gar beim Singen. Die Interpretation eignet sich Schumanns Bekenntnis an: "Mensch und Musiker suchen sich immer gleichzeitig bei mir auszusprechen." Rückerts Liebeslieder in eindringlicher Dialektik – "Du meine Wonn’, o du mein Schmerz" -,Andersen-Vertonungen mit ihrer unheimlich-visionären Ausdruckskraft ("Muttertraum", "Der Soldat", "Der Spielmann"), "Der Schatzgräber" nach Eichendorff waren weitere Gipfel in der Vortragsfolge aus Höhepunkten. In ihr war manche Kostbarkeit enthalten, die in Fischer-Dieskaus eigenem Handbuch "Texte deutscher Lieder" (1968) noch fehlt. Die musikalische Konzentration des Sängers verband sich stimmlicher Bestform.
Vorher herrschten im Kassenraum nahezu chaotische Zustände, weil der Kartenerwerb zum unmittelbaren Beginn des Konzerts mit dem Opernvorverkauf kollidierte. Hier sollte man sich Reformen einfallen lassen, denn an sich ist die Atmosphäre in der Oper für Liedprogramme fast günstiger als die der Philharmonie, da – erkläre das ein Psychologe! – viel weniger gehustet wird.
Sybill Mahlke