Zum Liederabend am 30. Oktober 1980 in Kiel


Kieler Nachrichten, 1. November 1980

Ernste Gesänge

Dietrich Fischer-Dieskau zu Gast im Kieler Schloß

Wer immer vom 2. Meisterkonzert dieser Saison einen Schubert-Liederabend "wie gehabt" erwartete, wer in Goethes Sturm-und-Drang-Lyrik, in Harfner-Gesängen schwelgen zu können glaubte, wird kaum auf seine Kosten gekommen sein. Dietrich Fischer-Dieskau, dem der Abend ganz und gar gehörte, ist ein Sänger von so hohem Niveau und Ruhm, daß er seine Programme nach eigenen Vorstellungen und Erfahrungen zusammenstellen, daß er sein Publikum mit spröden Texten, schwierigen Liedern fordern kann.

So begegnete man im ersten Teil durchweg Stücken, die (wie "Memnon" oder "Freiwilliges Versinken") einer "antikischen" Liedergruppe zuzurechnen sind, oder Gesängen, die vom Sterben, von der Begegnung mit dem Tod, den Grenzen menschlichen Daseins reden; und auch nach der Pause blitzte das Heitere, Unbekümmertere neben viel Düsterem, Verhangenem erst am Schluß kräftiger auf.

Als Dichtung zeugen viele der Lieder, die Schubert großenteils nach Texten guter Freunde wie Mayrhofer, Bruchmann, Leitner komponierte, von einer Art empfindsamer Schwächlichkeit, aber niemand konnte das so vollkommen wie Schubert durch seine Einfachheit neutralisieren. Und wie vollendet gestaltete dann Fischer-Dieskau die Gedanken in ihrer musikalischen Form. Er ist einer, der nicht nur dem Duktus der Musik genau nachspürt, sondern auch selbst empfänglich ist für echt empfundenes oder auch nur gefundenes Wort des Leidens und Begeisterns.

Bei Fischer-Dieskau von Technik zu sprechen, ist überflüssig. Es gibt nur sehr wenige, die so nahtlos zu phrasieren, die Höhe ohne Registerwechsel so schön zu greifen wissen, sich mit einem Lied so ernsthaft identifizieren wie er. Den "Tod und das Mädchen" nach dem hochpoetischen Claudius-Text, Goethes "Über allen Gipfeln ist Ruh" kann man kaum ergreifender, "Meeresstille" nicht impressionistischer gestaltet hören.

Fischer-Dieskau ist ein reifer Künstler (trotz der überflüssigen Schummerbeleuchtung erkennbar auch ein äußerlich sehr repräsentabler). Daß auch seine Stimme dem Prozeß des Älterwerdens unterworfen ist, daß sie allmählich ihren Zenit überschreitet, ist da eigentlich nicht verwunderlich. Immer noch ist sie unvergleichlich schön im Timbre, kräftig in der Mittellage, und immer noch sind Höhe und Tiefe zwei weit auseinanderliegende Punkte, zwischen denen sich der Bogen der Töne spannt – manchmal nicht recht ausgesungen, nur markiert, doch stets offen und ohne Krampf.

Ein Glücksfall in diesem Konzert: Jörg Demus. Seit langem hochqualifiziert als Liedbegleiter, gibt er für Fischer-Dieskau den idealen Partner ab, der weiß, daß jedes Schubert-Lied Gesicht und Gewicht eigener Art hat; einer, der sich nicht nach vorn drängen muß, um seinen Beitrag in diesem Zusammenspiel zu betonen. Der Schlußbeifall – mit drei Zugaben quittiert – galt denn auch beiden Künstlern. (Veranstalter: Konzertdirektion Streiber).

Tina Weiland

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