Zur Liedermatinee am 6. September 1981 in Berlin


    

     Der Tagesspiegel, Berlin, 9. September 1981     

Der Hofkapellmeister privat

Dietrich Fischer-Dieskau in der Deutschen Oper

     

Gewiß war Richard Strauss zwanzig Jahre lang, von 1898 bis 1918, preußischer Hofkapellmeister. Dennoch kann die Matinee Dietrich Fischer-Dieskaus mit Strauss-Liedern nur indirekt als Beitrag zur Preußenthematik gewertet werden. Denn charakteristisch für den Hofkapellmeister sind die heute wohl zu Recht vergessenen wilhelminischen Prachtwerke "Feuersnot", "Taillefer", "Bardengesang" sowie diverse Militärmärsche und Männerchor-Schlachtgesänge. Dazu stehen die Lieder eher im Kontrast. Nicht nur entstanden sie meist noch vor der Übersiedlung des Komponisten nach Berlin, ihnen liegt oft auch gerade solche Lyrik zugrunde, der die kaiserliche Gunst nicht gehörte: zeitgenössische Lyrik von Mackay, Dehmel, Bierbaum, die rauschafte Lebensfreude bis zu burschikoser und frivoler Lässigkeit ausweitete.

Gerade diese Vertonungen der literarischen Moderne der Jahrhundertwende aber machten den Liedkomponisten Strauss bei seinem bürgerlichen Publikum populär. Bis heute zog es den lockeren Geist Schwabings oder Friedrichhagens dem des wilhelminischen Preußen vor. Dabei verschwand allerdings die Mehrzahl solcher Strauss-Lieder aus dem Repertoire, die keinem dieser Stilbereiche zugehören, die weder jugendstilhaft noch preußisch sind.

Dietrich Fischer-Dieskau hat auf dem Gebiet des Liedgesangs genügend Autorität, um auch ein breites Publikum von den eingefahrenen Wegen des Standardrepertoires wegführen zu können. In seinem Strauss-Programm fehlten die berühmtesten Strauss-Lieder nicht nur deshalb, weil es meist Frauenlieder sind, sondern auch, weil er einige Klischees über den Liedkomponisten Strauss korrigieren wollte. Dieser vertonte eben nicht nur Zeitgenossen, sondern auch Goethe, Arnim, Heine, Meyer, Lenau, nicht nur Natur- und Liebespoesie, sondern auch Gedankenlyrik ("Wanderers Gemütsruhe"), nicht nur optimistische Frühlingsgesänge, sondern auch Lieder der Todessehnsucht (so das eindrucksvolle "Im Spätboot") und der Verzweiflung ("O, wärst du mein"). Insgesamt ist sein Liedwerk wohl ebenso vielgestaltig wie das Opernschaffen, auf das es schon hindeutet. Wie dieses zeugt es von Strauss’ Fähigkeit, sich modischen Zeitströmungen anzupassen.

Bei diesem Programm konnte Dietrich Fischer-Dieskau auch seine reiche Opernerfahrung in die Waagschale werfen – die Grenzen der intimen Liedgattung hatte Strauss ohnehin schon gesprengt. So gab es etwa im Lenau-Lied "O, wärst du mein" opernhafte Ausbrüche der Verzweiflung und im Gesang "Ruhe meine Seele" dynamische Extreme, zwischen denen der Sänger mit stimmtechnischer Meisterschaft vermittelte. Die Textworte von Karl Hanckell könnten wohl auch als Strauss’sche Lebensmaxime gelten: "Diese Zeiten sind gewaltig, / Bringen Herz und Hirn in Not - / Ruhe, ruhe meine Seele, / Und vergiß, was dich bedroht!"

Aber der Herr Hofkapellmeister schuf sich in seinen Liedern nicht nur künstliche Paradiese, er schrieb auch bissige Satiren. Der "Krämerspiegel" auf Texte von Alfred Kerr war seine Antwort auf den Geschäftssinn eines Berliner Musikverlages. Zu einem Kabinettstück wurde insbesondere "Die Händler und die Macher", von Fischer-Dieskau mit verschmitztem Schalk vorgetragen.

Wie in vielen anderen Städten hat der Sänger auch in Berlin ein aufmerksames und konzentriertes Stammpublikum, von dem andere Sänger nur träumen können. Auch dieser Auftritt in der ausverkauften Deutschen Oper endete mit Beifallsovationen. Nach der fünften Zugabe klappte Wolfgang Sawallisch diskret den Flügeldeckel zu. Mit seinem bravourösen und nuancierten, den Strauss’schen Gestus exakt treffenden Klavierspiel hatte er sehr wesentlich zum Erfolg dieser Matinee beigetragen.

Albrecht Dümling

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     Berliner Morgenpost, 8. September 1981     

Dietrich Fischer-Dieskau mit Strauss-Liedern auf der Opernbühne

Begeisterung für einen Meistersinger

    

Dietrich Fischer-Dieskau singen zu hören, bereitet immer Genuß ohne Reue, und gleich auf vielerlei Art. Die Kulinariker, die nach bloßem Wohlklang lechzen (eine Einseitigkeit, zu der sie aber vor Gott und Menschen fraglos berechtigt sind), hören eine Stimme, die auch nach mehr als dreißig Jahren sängerischer Aktivitäten – vor allem auch in der doch angeblich stimm-mordenden Moderne – das zärtlichste Pianissimo zu hauchen, die Klangfarben derart raffiniert zu wechseln versteht, wie andere Sänger nur die Krawatte an ihrem Hals.

Unter den Liedersängern ist Fischer-Dieskau zuallererst einmal der alle überragende Belcantist, der Singtechniker par excellence. Er ist aber mehr: So etwas wie ein singender Literaturwissenschaftler.

Seine poetische Ausdeutungslust, die jeder Dichtersilbe neugierig nachspürt, ist unerloschen. Freilich – sie drängt sich nicht wie früher mitunter neunmalklug vor. Heute genügt es Fischer-Dieskau, das ganze Gedicht wie mit einem interpretatorischen Paukenschlag voll in den Griff zu bekommen, und das gelingt ihm auf die vollkommenste Art, mag es sich nun um tiefsinnige Lyrismen handeln oder um gereimt hervorhüpfende Beiläufigkeit.

Dann aber ist Fischer-Dieskau natürlich vor allem der eminente singende Musiker, der die Absichten des Komponisten auf meisterhafte Art deutlich macht. Jeder Liedvortrag ist gleichzeitíg Verklärung und Analyse. Jeder Aspekt des Mini-Kunstwerkes Lied wird gleichermaßen wichtig genommen. Nichts wird geopfert, alles schön reinlich ineinandergeschweißt: Witz und Wort, Klang und Ton, Singen und Sagen.

Ganz sicher ist Fischer-Dieskau in seiner Kunst ein Perfektionist: Eine Art singender Rastelli, der mit den vielfältigsten Ingredienzien eines Liedes auf atemberaubende Art jongliert. Einzig ihm beraubt das aber nachweislich durchaus nicht den Atem.

Fischer-Dieskaus Matinee in der Deutschen Oper, ausschließlich Liedern von Richard Strauss gewidmet, verzichtete geradezu programmatisch auf die schwungvoll populäre Rhetorik der Bestseller im Oeuvre des Meisters. Der "unbekannte" Strauss wurde vorgestellt mit einer Fülle von Butzenscheibenliedern: Musikalische Kabinettstücke des Gelsenkirchener Barock, wenn auch in Bayern oder Berlin gefertigt, neben denen sich dann kleine Meisterwerke wie "Im Spätboot" auf ein Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer ausnahmen wie der Großglockner in flachgehügelter Landschaft.

Nach dem Umfang seines Oeuvre ist Strauss sicherlich der bedeutendste Liedmeister der Wilhelminischen Epoche. An künstlerischer Statur ist ihm wohl aber auch hier Gustav Mahler überlegen, dem unter der Hand das Komponieren sozusagen zu kosmischen Katastrophen geriet, von denen Splitter auch noch in die Lieder hineinstoben. Nicht so bei Strauss.

Oft hat man das Gefühl, seine Lieder gleichen musikalisch virtuos ausgefüllten Kreuzworträtseln: Ein künstlerischer Pausenzeitvertreib für das brachliegende Handgelenk. Stück um Stück bei Strauss wird zum Demonstrationsobjekt eines raffinierten kompositorischen Handwerks, das den Sänger wie seinen Pianisten gleichermaßen vor Aufgaben von denkbarer Schwierigkeit stellt. Undenkbaren, wenn auch im Grunde notwendigen Schwierigkeiten komponierte Strauss hingegen gern aus dem Wege.

Wolfgang Sawallisch am warmtönenden Bösendorfer, der eine Anschlagskultur minderer Art nicht so kraß bloßstellt wie der unerbittlich fordernde Steinway, war dem Sänger ein wundervoll mitmusizierender Begleiter. Die Begeisterung im dichtgefüllten Haus war begreiflich: Sie war über die Maßen groß.

Klaus Geitel


    

     Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. September 1981     

Berliner Festwochenmusik

Preußisch, doch nicht militärisch

[...]

Ein Sonntagvormittag rief Dietrich Fischer-Dieskaus große Gemeinde zu einem Programm mit Liedern von Richard Strauss in die Deutsche Oper Berlin. Strauss war gewiß auch in der kleinen lyrischen Form bewandert und zudem ein Mann von literarischem Geschmack. Dennoch wirken viele seiner Lieder heute verstaubt und allzu effektsicher, selbst wenn sie mit so überragender Kunst geformt werden wie von Fischer-Dieskau und seinem Klavierpartner Wolfgang Sawallisch. Zwischen Mediokrem stehen aber immer wieder Perlen wie Richard Dehmels "Stiller Gang" und Goethes "Ich ging im Walde so für mich hin". Den witzigen Beschluß machten vier Stücke aus dem "Krämerspiegel", dessen gegen Verleger gerichtete Texte der große Theaterkritiker Alfred Kerr 1917 für Strauss schrieb. Der Komponist sparte nicht mit Zitaten aus eigener Werkstatt und verkoppelte ungeniert das Schicksalsmotiv der fünften Beethoven-Symphonie mit der berühmten Aufforderung des Götz von Berlichingen. Die Hörer waren durch die vielseitigen, bald düsteren, bald humorigen Künste des Sängers fasziniert. Als schönstes Stück gab Fischer-Dieskau den unvergänglichen "Traum durch die Dämmerung" zu. [...]

H. H. Stuckenschmidt

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