Zum Liederabend am 20. August 1982 in Salzburg


     

     Salzburger Nachrichten, 22. August 1982     

     

Gesang mit Verstand und Herz

Dietrich Fischer-Dieskau sang Lieder von Schubert und Schumann im Kleinen Haus

      

"Der Musiker, der einen natürlichen Stil schreibt, ist eines der Wunder in der Musik", stellt Dietrich Fischer-Dieskau in seinem Buch über die Schubert-Lieder eingangs fest. Man könnte hiezu ergänzen, daß dieses Wunder, um offenbar zu werden, eines Interpreten bedarf, dessen Kunst ebenfalls in der Natürlichkeit liegt. Wer wäre wohl berufener, dies zu beweisen, als Fischer-Dieskau selbst: und so hatte sich am Freitagabend im Kleinen Festspielhaus ein treues Publikum eingefunden, um dem Sänger, mit Alfred Brendel als Partner am Klavier, bei Liedern von Schubert und Schumann zuzuhören.

Aus dem Zyklus "Schwanengesang" von Schubert wurden sechs Lieder nach Gedichten von Heinrich Heine herausgegriffen: Düstere Stimmung, Wehmut, Verzweiflung, durchbrochen von der ironischen Lustigkeit des "Fischermädchens". Der Sänger kennt die Bedeutung jeder Note, den Gefühlswert und Stimmungsgehalt jeder Gedichtzeile, und doch wirkte sein Vortrag so spontan, als bräche alles eben aus ihm heraus. Ein jedes Lied kam damit fast einem persönlichen Bekenntnis des Interpreten gleich. Die Modulationsfähigkeit der Stimme ist nach wie vor unerschöpflich. Problemzonen, beim Forte in der Höhe, wurden mit technischem Geschick unter Kontrolle gehalten, gelegentlich auch als Aufschreie gestaltet, wo es mit dem Inhalt des Gesungenen vereinbar ist. Hörbare Mühe bereitete Fischer-Dieskau eigentlich nur das hochdramatische Lied "Der Atlas". Aus dem Kontrast zu dem darauffolgenden "Ihr Bild" wurde offenbar, daß die stimmliche Stärke dieses Sängers mehr denn je zuvor im Lyrischen liegt. Mit raffinierter Technik versteht er es, vor allem im Piano wunderbare Schattierungen zu zaubern. Den stärksten Eindruck im ersten Teil des Programms hinterließ zweifellos "Der Doppelgänger": extrem langsam und mit "tastender" Stimme gesungen die erste Strophe, auf die dann der dramatisch zugespitzte Höhepunkt umso vehementer, schmerzerfüllter hereinbrach.

Von Schumann folgte der Zyklus "Dichterliebe", op. 48, ebenfalls nach Gedichten von Heine. Die Miniaturhaftigkeit mancher dieser Gesänge, die raschen, teilweise fast fließenden Übergänge von einem zum anderen nützte Fischer-Dieskau gestalterisch aus. Auf das Podium stellte er einen Dichter, von Gedanken, Erinnerungen bestürmt, so sehr, daß sich diese beim Mitteilen zu überstürzen schienen. Hier noch stärker als schon zuvor bei Schubert bewährte sich die Partnerschaft mit Alfred Brendel. Denn dieser Poet auf den Tasten versteht es, mit seinem Spiel die gesungenen Verse gedanklich vorzubereiten und zu ergänzen. So ergab sich bei der Wiedergabe dieses Zyklus eine Kontinuität zwischen Ausgesprochenem und Unausgesprochenem von seltener Dichte. Faszinierend war es, mit welcher Kunstfertigkeit der Sänger alle stilistischen Mittel, von zarter Kantilene über Sprechgesang bis zur dramatischen Attacke, oft in raschestem Wechsel einsetzte, und dies mit solch zwingender Überzeugungskraft, daß es hier und in diesem Augenblick gar nicht anders sein konnte. Um den Zauber dieser Darbietung zu beschreiben, fällt einem nichts anderes als eben wieder ein Wort dieses Künstlers in den Sinn: "Es ist mit der Kunst nicht anders als mit allen Lebensbezirken: Ohne die Liebe bleiben die Geheimnisse unerschlossen." Und Fischer-Dieskau liebt jedes einzelne der Lieder, die er da singt. Das Publikum fühlte es und dankte ihm mit Ovationen. Sie wurden mit vier weiteren Schumann-Liedern belohnt.

Edith Jachimowicz


    

     Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. August 1982     

    

Manuelle Meisterschaft ohne Mühen

Salzburger Solistenkonzerte

[…]

Zwei kurze Gruppen von Liedern Schuberts und Schumanns auf Texte von Heinrich Heine musizierte Dietrich Fischer-Dieskau auf seine unvergleichliche Art im Kleinen Haus. Wie er jedem der so heterogenen Stücke, etwa Schuberts "Ihr Bild", "Die Stadt" und "Doppelgänger" den besonderen Charakter gibt, das ist immer wieder eine künstlerische Erfahrung der sublimsten Art. Nur ein Mann, der im Leben alle Grade von Seligkeit und Hoffnungslosigkeit durchgemacht hat, kann eine Stimme zu solchem Ausdruck bringen. Dabei arbeitet er mit ganz unkonventionellen Mitteln, namentlich in den Differenzierungen der Lautstärke.

In womöglich noch stärkerem Maße galt das für Schumanns "Dichterliebe", in der Fischer-Dieskau das Grenzgebiet von lyrischem und dramatischem Vortrag um lauter neue Nuancen bereicherte. Vom "wunderschönen Monat Mai" bis zu den "alten bösen Liedern" eine ununterbrochene Folge von endgültigen Gestaltungen.

Dazu der Pianist Alfred Brendel, im Klavierpart bei Schubert und Schumann so selbständig wie dem singenden Partner zugehörig - , ein Doppelwunder.

[…]

H. H. Stuckenschmidt


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