Zum Liederabend am 2. November 1982 in Köln


     

     Kölner Stadtanzeiger, 4. November 1982     

     

Balance-Akt auf Messers Schneide

Fischer-Dieskau singt Mörike-Lieder in Köln

      

Mit den Worten "Ich habe die Ehr’, Ihr Rezensent zu sein", stellt sich der ungebetene Besucher in Eduard Mörikes Gedicht "Abschied" vor, mit dem Dietrich Fischer-Dieskau den ersten Soloabend in der Kölner Oper beschloß. Der Eindruck des Abends ist kaum besser zu resümieren als mit diesem Zitat. Bleibt die Hoffnung für den Rezensenten, besser davonzukommen als Mörikes Kritiker, den der Dichter schließlich mit einem kleinen Tritt verscheucht.

Hugo Wolf hat den Kritiker-Fall als grandiosen Wiener Walzer vertont, den Fischer-Dieskau seit jeher gern ans Ende seiner Mörike-Wolf-Abende gestellt hat. Daß der ursprünglich geplante Goethe-Liederabend nicht zustande kam, brauchte man nicht zu bedauern. Wolfs Mörike-Lieder gehören zu den Glanzstücken Fischer-Dieskaus, werden zumeist auch von denen akzeptiert, die gegenüber diesem Sänger skeptisch sind.

Sein hoher Manierismus wirkt hier eher steigernd als störend. Sicher: Fischer-Dieskau tendiert immer dazu, anläßlich der Musik noch einmal eine Privat-Interpretation des Textes zu liefern und als eigene, weitere Schicht über die Musik zu legen, und das ergibt einen im mehrfachen Sinne des Wortes melodramatischen Effekt. Was bei Schubert zur Gefahr werden kann, treibt die artifizielle Fragilität Wolfs auf die Spitze, macht seine Kunst als absturzbedrohten Balanceakt auf des Messers Schneide deutlich.

Das gilt für die merkwürdig abhebende Heiterkeit mancher Stücke ebenso wie für die selbstverlorene Melancholie anderer. Fischer-Dieskau bietet eine wahre Dramaturgie von Stimm-Färbungen: Da ist etwa der heisere Anfang in der "Warnung", verkatert zu dichten. Da werden die "Geigen" bei der "Trauung" des Paares, das nichts voneinander wissen will, raffiniert glissandiert. Hirsch und Rehlein in "Der Jäger" scheinen Rokoko-Porzellanfiguren zu sein.

Wie man Leises zum Höhepunkt erheben kann, machte "Von Tiefe dann zu Tiefe stürzt mein Sinn" aus "An die Geliebte" fühlbar; und "Gold in heil’gem Gram" aus "Peregrina I" konnte als Motto über dem ganzen Abend stehen. Die Färbung der "a’s" in der Schlußzeile von "Im Frühling" ("alte unnennbare Tage") war ein Mirakel, wie im Grund der ganze Abend. Besonders der zweite Teil und die Zugaben waren überwältigend, bestätigten Fischer-Dieskaus Rang als einer der größten Sänger der Gegenwart.

Jörg Demus am Klavier imponierte durch Musikalität und Sensibilität, weniger durch pianistischen Glanz. Weniger Pedal wäre manchmal mehr gewesen. Gerald Moore, den unvergleichlichen Wolf-Begleiter früherer Jahre, konnte er nicht vergessen machen.

Rolf Degeweit

       


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