Zum Liederabend am 10. November 1982 in Ludwigshafen


     

     Die Rheinpfalz, Ludwigshafen, 12. November 1982     

     

Lieder vom sanften Schwaben

Dietrich Fischer-Dieskau sang Mörike/Wolf in Ludwigshafen

      

Das BASF-Sonderkonzert im Ludwigshafener Feierabendhaus mit Dietrich Fischer-Dieskau – am Flügel: Jörg Demus – sollte zum Ausklang des Goethe-Jahres (150. Todestag) ein Abend mit Goethe-Liedern in den Vertonungen von Schubert,. Zelter, Beethoven, Schumann, Brahms und Wolf werden. In dieser Erwartung kamen die Besucher an, und die Vielseitigkeit der vom Weltstar angekündigten Werkfolge bewirkte ein ausverkauftes Haus. Nicht wenig Musikfreunde waren dann enttäuscht als sie erfuhren, daß der Kammersänger, "Symbol der Exklusivität", kurzerhand darauf bestanden hatte, das Programm zu ändern: Nur Hugo Wolf blieb übrig, und statt Johann Wolfgang von Goethe gab er Eduard Mörike den Vorzug, mit dessen Liedern er kürzlich in München äußerst erfolgreich gewesen war. Da man sich hier seit vielen Jahren vergebens um ein Auftreten von Fischer-Dieskau bemüht hatte, gab man sich auch mit der etwas einseitigeren Ausstattung der Vortragsfolge zufrieden. Der sanfte Schwabe Mörike mit seinem biedermeierlich bescheidenen Leben, musikalisch sehr begabt, kam in seiner rhythmisch ausgefeilten, bildhaften Lyrik, die Volksliedhaftes, Idyllisches und strenggefügte antikisierende Formen umfaßt, der Moderne näher als Goethe: So plastisch heiter und verklärt diese Dichtung auch erscheint, die Bedrohung des Menschen ist hier schon mitgeprägt.

Hugo Wolf, der sich immer als Durchgangsstation eines höheren Willens empfand, schöpfte ohne zu stocken auch Mörike aus: Es entstanden 53 Lieder, in der zusammenfassenden Sprachkraft des Dichters und mit den beredten Mitteln der Musik vertieft und überhöht. Sie zählen zu den bedeutendsten Liedkompositionen, die je geschaffen worden sind, von denen bekannte und weniger bekannte (insgesamt zwanzig) auf dem Programm erschienen.

Der wundersame Eingang mit "Der Genesende an die Hoffnung" und "In der Frühe" wies jedoch außer auf die Gestaltungskraft des 57jährigen Fischer-Dieskau auch auf gewisse Abnutzungserscheinungen seiner Stimme hin: Ungestützte Pianotöne waren ebenso wenig zu überhören wie sprödes derb-gespreiztes Forte und Intonationsschwankungen in der Höhe. Vielleicht wollte auch der Sänger das Publikum von Anfang an von konventionellen Genüßlichkeiten befreien, im weiteren Verlauf des Programms kam es dann doch seltener zu Nachlässigkeiten, Flüchtigkeitsfehlern und übertrieben freizügigen Dehnungen: So setzte sich Wolfs neudeutsch-fortschrittlicher Stil entschiedener durch. Die gruselige Legendenphantastik des "Feuerreiters" inspirierte Fischer-Dieskau zu jener Intensität der Gestaltung, mit der er stets ungewöhnliche Effekte zu erzielen weiß. Es gehört zum Stil dieses Sängers, daß er dieselbe Arie oder dasselbe Lied immer wieder anders gestaltet, weil er als "Intellektueller eine komplizierte Natur und ein Virtuose des Einfühlungsvermögens" ist. In letzter Zeit zog sich Fischer-Dieskau im Konzertsaal oft völlig auf ein bis zur letzten Konsequenz verinnerlichtes Erleben der Musik zurück und setzte seinen Bariton ökonomisch ein. Diesmal ging er wieder aus sich heraus und bewegte vor dem Publikum mit gleichsam schauspielerischem Raffinement die einzelne "Liedszene", verstärkte den Eindruck doktrinärer "Geistigkeit", was seinem Habitus sehr entgegenkommt, doch stellenweise wirkte seine Art schon ausgesprochen manieriert.

Im Volkston schloß der erste Teil mit dem "Jägerlied" und der bezaubernden Erzählweise der "Storchenbotschaft". Gleichsam gespalten ging der Künstler das Dynamische an, er setzte meist ohne Übergang vom Forte ins Piano um. Dadurch kam eine Art "barocke" Wellenbewegung zustande, die den Gesangsbogen zerstückelte, das Musikalisch-Melodische noch mehr dem Deklamatorischen anglich, womit Fischer-Dieskau zu seiner genauso speziellen wie pointierten Methode der Liedinterpretation fand. Der zweite Teil endete, nach dem schmerzlichen "Peregrina I und II", der ins Piano verwiesenen "Begegnung" und der Halbballade "Der Jäger" mit der Vereinigung des Humors von Dichter und Tonschöpfer sowohl "Bei einer Trauung", wie in den Kabinettstücken "Zur Warnung" und "Abschied".

Aus Jörg Demus’ Begleitung floß an Klang und musikalischer Artikulation hohes Niveau und ebenfalls Außergewöhnliches zu. Der enthusiastische Beifall forderte noch vier Mörike-Zugaben, unter anderem den weihevollen Choral in Klavierfassung "Das schlafende Jesuskind" und die erhabene Hymne "Weylas Gesang", beide Darbietungen von seltener Schönheit.

Kurt Unold


  

     Mannheimer Morgen, 12. November 1982     

  

Zwischen zwei Gefühlswelten

Dietrich Fischer-Dieskau und Jörg Demus mit Liedern von Hugo Wolf in Ludwigshafen

    

Vor fast auf den Tag genau zwei Jahren gab Dietrich Fischer-Dieskau im Mannheimer Mozartsaal einen in sich weitgehend geschlossenen Schubert-Abend. Seine Partnerschaft mit Jörg Demus, der ihn damals am Flügel begleitete, setzt der Bariton nun in einer Tournee fort. Sie führte ihn diesmal ins Ludwigshafener Feierabendhaus; sein Programm besteht aus Mörike-Vertonungen von Hugo Wolf, die Fischer-Dieskau nach Thema und Charakter zu mehreren kleinen Gruppen vereint, so wie er sie bereits vor neun Jahren mit Svjatoslav Richter (leicht verändert) auf einer Schallplatte festhielt.

Von Geschlossenheit kann bei dieser Lied-Auswahl wirklich nicht die Rede sein. Dieser Zusammensetzung aus seelischem Aufschrei und verklärtem Glück, Spuk-Ballade und göttlichem Trost, bitterster Liebesenttäuschung und heiter-ironischen Bonbons fürs Publikum mag auch hier wieder die Absicht des Interpreten zugrundeliegen, mit Hilfe der Texte ein Seelenporträt des Komponisten zu schaffen. Und eine Studie über den oft verkannten Eduard Mörike gleich dazu. Denn seine Gedichte haben ja Hugo Wolf 1888 in eine rätselhafte, eruptive schöpferische Phase versetzt; 42 Lieder entstanden in nicht einmal drei Monaten.

So kann man also das Lied-Programm als Personenbeschreibung des übersensiblen, überaus reizbaren Hugo Wolf lesen, der Stetigkeit nicht kannte, mal himmelhoch jauchzend und mal zu Tode betrübt war. Ähnlich stand es um Mörike, der Hermann Hesse so erstaunte, weil sich in seinen Dichtungen zwei völlig unterschiedlich scheinende Gefühlswelten berühren: die reine Kinderfreude am Schönen und die scheue Weltflucht, die in sich selbst wühlende Schwermut eines tief Leidenden.

Um diese Exzentrik über die Rampe zu bringen, arbeitet Fischer-Dieskau mit drastischen Kontrasten, mit Unter- und Übertreibungen, aber auch mit der Distanz einer gewissen Überlegenheit, die er nur selten aufgibt, vor allem in den Humoresken "Zur Warnung", in der er mit Behagen den komischen Kauz mimt, und "Abschied", in dem einem lästigen Rezensenten ordentlich heimgeleuchtet wird. Da überzeugt dann die feinfühlig ausbalancierte Wechselbeziehung zwischen der Aussagekraft des Wortes und dem musikalischen Gehalt restlos.

Im übrigen aber geschieht es in den Wolf-Liedern häufiger als bei Schubert, daß Fischer-Dieskau die Stimme forciert und damit an unüberhörbare Grenzen stößt, im "Feuerreiter" etwa, wo seine Stärke, die analysierende Vortragskunst, erst in den Piano-Passagen ganz zum Tragen kommen kann. In den Vertonungen "Neue Liebe" und "An den Schlaf" findet er zu einer vergeistigten Innenschau, deren innere Spannung sich unmittelbar auf den Zuhörer überträgt.

Jörg Demus hat in solchen Werken Gelegenheit vorzuführen, was es heißt, auf dem Klavier zu singen. Das Geisterhafte, Unirdische in Mörikes Gedichten gewinnt bei Demus mehr Gestalt als bei Fischer-Dieskau. Die leisen Wendungen, die impressionistischen Farben, das Spielerisch-Leichte – all das hat Demus sich zur Aufgabe gemacht, das ist sein unverzichtbarer Beitrag des Abends, den er in aller Bescheidenheit leistet. Wenn Fischer-Dieskau mit überraschender Heftigkeit in problematische Forte-Bereiche vorstößt, hält sich der Sänger am Klavier zurück.

Mit vier Zugaben bedankten sich die beiden Gäste beim begeisterten Publikum.

Monika Lanzendörfer

       


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