Zum Liederabend am 12. November 1982 in Karlsruhe

    

     Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe, 15. November 1982     

    

Eine ideale Partnerschaft

Dietrich Fischer-Dieskau sang Hugo Wolfs Mörike-Lieder

     

Die Entstehung von Hugo Wolfs Mörike-Liedern gehört zu den fast unglaublichen, genialen Ereignissen unserer Musikgeschichte. Hugo Wolf selbst sprach von einem "unerhörten Wunder", als er, 20 Jahre alt, am Ende des Jahres 1888 auf das Ergebnis dieses einen Jahres zurückblickte. Unter 92 Liedern und Balladen befanden sich auch die 53 Vertonungen von Mörike-Gedichten. Die meisten von ihnen entstanden innerhalb von drei Monaten, mitunter zwei oder gar drei an einem Tage. Man könnte glauben, Hugo Wolf sei nur in unsere Welt gekommen, seine Lieder zu schreiben, umd dann – jung noch – wieder gehen zu müssen. Während der Inhalt der Mörikeschen Gedichte noch tief in der späten Romantik verwurzelt ist, läßt Hugo Wolf alles Biedermeier hinter sich und weist in seiner, auch heute noch modern anmutenden Vertonung, weit über die Jahrhundertwende hinaus.

Mit einer Auswahl dieser Lieder schenkte Dietrich Fischer-Dieskau mit seinem Klavierpartner Jörg Demus dem Karlsruher Publikum einen unvergeßlichen Abend im Konzerthaus. Bei den beiden großen Künstlern stimmte alles: Musik und Deklamation, Auftritt, Gestik und Mimik. Nichts wirkte in Routine erstarrt, sondern einmalig und wie gerade neu zum Leben erweckt. Mit geradezu suggestiver Kraft erfüllte Dieskaus Stimme den Konzertsaal, etwa beim "Jägerlied". Die Spannungsfähigkeit dieser Stimme faszinierte bei jedem thematischen Aspekt. So die voll ausgenutzte dynamische Skala im Wechsel zwischen Leidenschaft und Lyrik des Liedes "Im Frühling", oder dem traumhaften "Gelassen stieg die Nacht ans Land". Atemlos folgte der Hörer Spukhaftem wie dem "Feuerreiter" oder der bis in die leisesten Schwingungen beherrschten Technik der zarten Liebeslieder "Peregrina".

Es ist zwar keine neue Erkenntnis, wurde aber dem Besucher dieses Abends wieder eindringlich bewußt, daß auch der genialste Sänger einen adäquaten Begleiter am Flügel braucht. Jörg Demus bot eine Partnerschaft, die dem Sänger bis ins kleinste Detail folgte. Und das mit der gerade bei Wolf-Liedern in besonderem Maße erforderlichen brillanten Technik. Mit einem fast bis zum Nichts verschwindenden und doch glasklar bleibendem Anschlag hielt er einen faszinierenden Spannungsbogen weit über den Liedschluß hinaus. Bei Liedern temperamentvollen Inhalts klatschte das Publikum mitunter leider in das pianistische Nachspiel hinein. In der geschickt zusammengestellten Liedfolge erweckte die Schlußgruppe mit ihrer Schalkhaftigkeit und ihrem hintersinnigen Humor eine heitere und gelöste Stimmung. Ganz besonders freute sich das Publikum über den drastischen Hinauswurf des Rezensenten in "Abschied". Der Jubel, die Begeisterung und die Erzwingung der obligatorischen Zugaben sollen nicht unerwähnt bleiben.

Margot Eisenmann

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