Zum Konzert am 14. Oktober 1984 in München


    

     Süddeutsche Zeitung,  16. Oktober 1984     

Liederspiele auf höchstem Niveau

Ein Jubiläumskonzert im Münchner Herkulessaal

     

Gesetzt den Fall, einem Festival oberen Ranges kommt die Programmidee – auch blinde Hühner finden zuweilen ein Korn - Robert Schumanns Liederkreise für drei und vier Stimmen, den "Liebesfrühling", das "Minnespiel" und das "Spanische Liederspiel", an einem Abend aufzuführen. Man wünscht sich die idealen Interpreten: Edith Mathis, Brigitte Fassbaender, Peter Schreier, Dietrich Fischer-Dieskau und den Pianisten Christoph Eschenbach. Wann und wie müssen im Betriebsbüro die Mathematiker des Terminkalenders ansetzen, eine solche Gleichung mit mehreren Weltbekannten zustande zu bringen? Daß die Lösung glückt, grenzt ans Unwahrscheinliche. Doch dem hundertjährigen Musikhaus Hieber am Münchner Dom gelang es, das Dreisterne-Vokalquartett zu einem Jubiläumskonzert in den entsprechend üppig geschmückten und selbstverständlich ausverkauften Herkulessaal zu bringen.

[...]

im "Liebesfrühling", aus dem in Liedern dokumentierten ersten Ehejahr, stehen einige Gesänge von Clara Schumanns Hand. Erstaunlich, wie sich über das Zeitidiom hinaus die Handschriften ähneln. Ein mehr stilles als lautes Glück äußert sich. Der lyrische Schimmer im hohen Sopran von Edith Mathis kam unverstellt herzlich zur Geltung, nicht minder der jünglingshafte, helle Klang in Peter Schreiers disziplinierter Tenorstimme und Dietrich Fischer-Dieskaus kantables Verständnis für das Ab- wie Hintergründige in Schumanns Lyrik, für den dunklen, bedrohten Unterton im Überschwang. Florestan und Eusebius, die beiden Seelen in Schumanns Brust, schienen personifiziert in den Stimmcharakteren der zwei Sänger.

Im "Minnespiel" trat Brigitte Fassbaender hinzu, impulsiv in der vokalen Attacke, geradlinig auf den dramatischen Beiklang der Altgesänge zustürmend. Die mittlere Stimmlage, sonst der Schwachpunkt in Vokalquartetten, wurde fast dominierend. Allenthalben glänzten Rückerts und Geibels Verse in pointierter Artikulation, schier zum Mitschreiben.

Die edlen Empfindungen der Liederkreise wurden endlich durch Humor neutralisiert: Fischer-Dieskau steigerte den spanischen "Contrabandiste" zu einem abgefeimten Bravourstück der sich im vokalen Stakkato unablässig verändernden Farben. Eine Murillo-Gestalt in Tönen, greifbar, sichtbar. Der gesanglich-artistische Höhepunkt des ohnehin auf höchstem Niveau angesiedelten Abends war erreicht. Beifall und Blumen wetteiferten im Überschwang.

Als Andenken (5 Mark) gab es eine vollständige Diskographie Dietrich Fischer-Dieskaus: eine Zwischenbilanz von mehreren Monaten aufgezeichneter Musik. Das Köchel-Verzeichnis der Taten Mozarts nimmt sich dagegen bescheiden aus.

Karl Schumann

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