Zum Liederabend am 12. Februar 1985 in Berlin


    

     Der Tagesspiegel, Berlin, 14. Februar 1985     

Aura der Authentizität

Alban-Berg-Konzert in der Akademie der Künste

     

Lange hat man darauf warten müssen, bis die bisher unter Verschluß gehaltenen Jugendlieder, mit denen der 15jährige Alban Berg sein kompositorisches Schaffen begann, nun endlich veröffentlicht wurden. Mit einer Auswahl daraus, die erst am vergangenen Sonnabend anläßlich von Bergs 100. Geburtstag in Köln uraufgeführt worden war, begannen Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann ein Berg-Konzert in der Akademie der Künste: zehn Lieder von Abschied und Liebesklage nach Texten von Goethe bis Arno Holz, Lieder, die, wie man heute weiß, vor dem Hintergrund verbotener Liebe, der Geburt der unehelichen Tochter Albine und eines Suizidversuchs entstanden, Lieder, die gerade deswegen trotz manchmal musikalisch noch unreifer oder epigonaler Züge spürbar die Aura der Authentizität ausstrahlen.

Berg dachte, wenn er Lieder schrieb, an die Baßbariton-Stimme seines Bruders Charley. Er hätte sich wohl die Stimme Dietrich Fischer-Dieskaus erträumt, wenn er sie damals schon gekannt hätte. Denn wie Fischer-Dieskau etwa das stilistisch noch an Schumann orientierte Heine-Lied "Geliebte Schöne" mit höchster Konzentration als kleine Szene sang, wie nachdenklich er "Schattenleben" nach Martin Greif gestaltete, wie intensiv er bei dem harmonisch avancierteren Eichendorff-Lied "Es wandelt, was wir schauen" – einem der schönsten der Gruppe – im langsamen Tempo die Spannung hielt, das war unübertrefflich und stellte sogar die Wiedergabe der reiferen Lieder Opus 2 in den Schatten. Aribert Reimann am Klavier hat das richtige Gespür für die Ausdruckswerte, die bei Berg gerade in der Harmonik liegen.

Autor nicht bekannt

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